Klartext Motorradlärm: Auf beiden Ohren taub

Seite 2: Früher war alles besser? Von wegen!

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Harleys sind mittlerweile selbst serienmäßig wieder laut, wo sie früher erst laut geschraubt werden mussten. Aprilia: Ich knie nieder vor diesen V4-Antrieben, aber bei Volllast brauche ich einen Gehörschutz dazu. Die Liste enthält praktisch alle Hersteller, die Ausnahmen sind heute Modelle, nicht mehr Modellpaletten. Wenn ich die stete Entwicklung lauterer Antriebe sehe: Wen wundert es eigentlich, dass die Gesellschaft irgendwann genug davon hat? Ich meine: Es ist eher ein Wunder, dass sie sich zwanzig Jahre Verschlechterung mit recht mildem Gegensteuern angeschaut hat.

Die Hersteller begründen ihre virtuosen Stücke auf der Klappenklaviatur damit, dass der Kunde das wolle. Schwer von der Hand zu weisen. Selbstverständlich bekundet jeder Motorradfahrer Mitgefühl mit lärmgeplagten Anwohnern. Gleichzeitig jedoch findet eine Mehrheit laute Auspuffanlagen tendenziell eher gut. Ja, ich schrieb eben "eine Mehrheit". Die Legende der "schwarzen Schafe", der "Einzelnen", die das Hobby für alle verderben mit ihrer Lautstärkeliebe, ich halte sie für ein Märchen.

Sicherlich fährt nur eine Minderheit mit Rennstrecken-Komplettanlage die Hausrunde. Um die geht es aber nicht, denn genauso sicherlich findet eine Mehrheit es gut, wenn die Maschine kräftig röhrt. Fühlt sich gleich viel schneller an. Eine echte Minderheit sind jene, die es gern leise wollen und dann von der enormen aktuellen Serienlautstärke überrascht werden. Vielleicht wächst diese Minderheit. Es gibt bereits Umbau-Angebote, die die GS leiser machen statt lauter (z. B. von Hattech).

Sondermodell R nineT /5. Schön klassisch. Schön laut, lauter als die /5 je war, trotz der damals milderen Vorschriften. Ketzerischer Gedanke: Vielleicht muss man einen regulatorischen Spielraum nicht immer bis zum Anschlag ausnutzen?

(Bild: Markus Jahn / BMW)

Wer wie ich Serienauspuff fährt oder gar einen übertrieben lauten Serienauspuff nachdämpfen will, erntet hauptsächlich Unverständnis und das ewige Gelaber vom "tollen Saaauuuunnnd", den man doch für viel Geld nachrüsten solle. Manche beschwören eine mystische Vergangenheit, in der Lärm niemanden gestört habe, im Gegenteil. Wie immer bei "früher war es besser" sind solche Argumentationen Hirngespinste. Lärm hat Leute damals genauso gestört, das Verkehrsaufkommen war lediglich geringer, ebenso die Ansprüche.

Zur Blütezeit des Motorradfahrens in den Neunzigern waren jedoch Serienmaschinen viel, viel leiser als aktuell. Und überhaupt: "Früher" gab es auch noch Leibeigenschaft und die Pest in Mitteleuropa. Wir wollen doch bitte vorwärts gehen. Solange eine Motorradfahrer-Mehrheit gern laut, an Feiertagen und am liebsten immer dieselben Schwerpunktstrecken fährt, solange wird die Gesellschaft das als Problem wahrnehmen. Wissen Sie, warum? Weil es eines ist, darum.

Um zu sinnvollen Lösungen zu gelangen, sollte sich der Gesetzgeber ausnahmsweise auch mit Interessengruppen zusammensetzen, die keine Drehtür mit gutbezahlten Posten für eine Sinekurekarriere nach der Politik anbieten können. IVM (Industrieverband Motorrad) und Co. WOLLEN mitsprechen und kennen die Materie. Ein Motorrad produziert zum Beispiel immer mehr mechanische Laufgeräusche als ein Auto, weil die Blechhülle fehlt. Dafür sind die Reifen viel leiser. Und damit gelangen wir an das letzte Ausstellungsstück dieses Kuriositätenkabinetts: das menschliche Ohr.

Wie laut etwas klingt und wie viel Schalldruck es tatsächlich erzeugt, das sind zwei Paar so verschiedene Schuhe, dass eins bei den Pumps steht und das andere in der Bergsportabteilung. Zwei gleich laut gemessene Geräusche können sich subjektiv sehr unterschiedlich laut anhören, je nach Frequenzbereichen, aber auch je nach Vorbildung des Gehörs. Und so kommt es, dass bei Messungen an Straßen Motorräder im Vorbeifahren meistens genauso laut sind wie Autos. Sie hören sich nur anders an. Vom Motorrad kommt mehr Motor, mehr Getriebe, vom Auto kommt mehr Reifengeräusch.

Vielleicht könnte man also doch einmal alle über einen Kamm scheren und vorgeben: Nachts darf egal welches Fahrzeug nur X dBA Schall emittieren, sei es nun ein Krad, PKW, Quad oder LKW. Oder es gibt wie am Sachsenring ein Schall-Dosimeter. Wenn die erlaubte Tagesdosis durch ist, wird die Strecke dichtgemacht. Dann müssten alle so vorsichtig fahren wie Renntrainingsteilnehmer an der Zielgeraden-Messanlage des Sachsenrings am Nachmittag.

So wird es aber nicht kommen. Es wird eine Verschärfung der Motorrad-Lärmvorgaben kommen. Die soll dieses Jahr in Brüssel diskutiert werden. Wenn alles supi und auf einem guten Weg gewesen wäre, hätte der EU-Ausschuss dazu sagen können "haja, die ECE-Rschießmichtot langt offenbar". Stattdessen steht der Ausschuss jetzt vor Konstrukten wie der Honda CBR 1000 RR-R Fireblade. Da bleibt nur zu sagen: "Sie lernen es einfach nicht."

(cgl)