Das Zeitalter der Paywalls

Seite 2: Kann man den Daten trauen?

Inhaltsverzeichnis

In der Tat geraten die Protagonisten des datenbasierten Werbesystems in den vergangenen Jahren immer mehr in die Defensive. Facebook musste mehrmals eingestehen, dass die gelieferten Daten über die Wirksamkeit der Werbeausspielung schlichtweg falsch waren. Google hat mit grassierenden Betrugswellen zu kämpfen. Wenn die fast lückenlose digitale Überwachung von Milliarden Nutzern nicht einmal solche Fehlkalkulationen ausschließen kann – was nützt sie überhaupt?

Einige Werbeunternehmen versuchen derzeit ihre Datenbestände als gesellschaftliches Gut anzupreisen, indem sie etwa die heimlich per App erhobenen Location-Daten von Millionen Nutzern in Corona-Dashboards verwandeln. Während deutsche Datenschützer sich Gedanken machen, wie sich Mobilfunkdaten privatsphäreschonend aufbereiten lassen, können die Datenhändler auf Knopfdruck Visualisierungen bereitstellen, wie Zehntausende von Jugendlichen von den Stränden Floridas quer durch die USA reisten.

Dass solche Daten jedoch tatsächlich effektiv zur Pandemie-Bekämpfung eingesetzt werden können, ist jedoch kaum zu vermuten – zu unpräzise ist die Lokalisierung der üblichen Smartphone-Techniken, zu unklar die Datengüte. Der Autor Wolfie Christl nennt die Strategie "Covidwashing", die ohnehin erhobenen Daten sollen nachträglich mit Bedeutung aufgeladen werden.

Die Kehrseite ist hingegen sehr konkret: Selbst die Werbeorganisation IAB beklagte den systematischen Schaden der "Brand safety"-Mechanismen, die wichtige Berichterstattung zum Verlustgeschäft machte. Das große Argument für die gewaltige Datenerhebung ist bislang: Nur so lassen sich viele Dienste wie eben Journalismus finanzieren. Doch diese Gleichung stimmt immer weniger. Rein werbefinanzierte Medien können allenfalls nur noch ein journalistisches Sparprogramm anbieten. Das Geld, das durch die umfassende Leseranalyse erwirtschaftet wird, landet in den Taschen der Datenindustrie. Selbst YouTube muss den Influencern neue Einkommenskanäle anbieten, damit die ihre Arbeit auf Dauer aufrechterhalten können.

Dass die großen Internetkonzerne nun eiligst Förderprogramme für Lokalmedien geschnürt haben, ist kein uneigennütziger Akt: Damit Inhalte in Suchmaschinen gefunden werden können oder damit sie in sozialen Netzwerken geteilt werden können, müssen sie erst einmal produziert werden. Und die Nachrichten-Produktion ist den Konzernen des Silicon Valley so wesensfremd, dass selbst millionenschwere Programme und Investitionen immer wieder im Nichts verschwinden.

Sicher: Google News ist für viele Journalisten unschätzbar wertvoll und an den Plattformen von Facebook geht kein Weg vorbei. Doch ein wirkliches Geschäft auf Gegenseitigkeit haben beide Seiten nie gefunden. Ob Facebooks Instant Stories oder ein Google-gestütztes Abosystem – es scheitert meist daran, dass die Digital-Konzerne in Journalismus lediglich eine Art Content sehen, der irgendwie in den Mix gehört und der sich im Lizenzgeschäft oder in die Gig-Economy auslagern lässt. Resultat ist eine lange Reihe von Misserfolgen. Wenn ein Modell wirtschaftlich erfolgreich ist, taugt es allenfalls zum Zusatzgeschäft.