FTX-Betrüger SBF: 110 Jahre Haft werden’s nicht, doch vielleicht lebenslang

Bis zu 110 Jahre Haft für Betrüger Bankman-Fried sagt das Gesetz. 100 Jahre empfiehlt die Behörde, sechs Jahre die Verteidigung.​

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Schwarz-Weiß-Porträt Samuel Bankman-Frieds

Samuel Bankman-Fried zu besseren Zeiten

(Bild: FTX Foundation)

Lesezeit: 6 Min.
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Diesen Donnerstag soll der in allen sieben Anklagepunkten verurteilte FTX-Betrüger Sam Bankman-Fried (SBF) sein Strafmaß erfahren. Der gesetzliche Strafrahmen reicht bis zu 110 Jahren Haft. So viel wird es nicht werden, doch ist durchaus möglich, dass SBF den Rest seines Lebens hinter Gittern bleiben wird – sofern seine Berufung gegen den Schuldspruch der Geschworenen keinen Erfolg hat.

SBF ist Mitgründer der im November 2022 pleite gegangenen Kryptospekulationsfirma Alameda Research sowie des ebenfalls insolventen Firmengeflechts der Kryptobörse FTX. Er hat Kundeneinlagen veruntreut und für Wetten auf Kryptowährungen, hohe Spenden an Politiker, Immobilienkäufe und andere Ausgaben missbraucht.

Das Office of Probation and Pretrial Services, ein nicht am eigentlichen Gerichtsverfahren beteiligter Arm der US-Justiz, hat dem Gericht 100 Jahre Haft empfohlen. Dazu hat es SBF kurz vor Weihnachten befragt und einen Presentence Investigation Report (PSR) erstellt, der viele persönliche Details enthält und unter Verschluss gehalten wird. Die Empfehlung für 100 Jahre ist aus Eingaben SBFs und der Staatsanwaltschaft öffentlich bekannt.

Die Staatsanwaltschaft möchte gar nicht so weit gehen, aber sicherstellen, dass SBF erst dann freikommt, wenn er nicht mehr im erwerbsfähigen Alter ist. Daher wünscht die Anklage 40 bis 50 Jahre Haft. Auch das könnte lebenslange Haft für den 32-jährigen Täter bedeuten. Statistisch gesehen reduziert jedes Jahr in US-Haft die Lebenserwartung um doppelt so viel Zeit. Außerdem hat die Staatsanwaltschaft beantragt, zahlreiche beschlagnahmte Vermögenswerte für verfallen zu erklären: Bankguthaben im Wert von mehr als 170 Millionen US-Dollar, Aktien sowie Kryptomünzen in der Größenordnung von einer Milliarde Dollar.

SBF hat sich für die Strafbemessungsphase neue Anwälte besorgt. Sie vertreten den Standpunkt, SBFs Verbrechen hätten überhaupt keinen Schaden angerichtet, und bezeichnen die PSR-Empfehlung als "grotesk" und "barbarisch". Ihre Empfehlung: 63 bis 78 Monate, also fünfeinviertel bis sechseinhalb Jahre. Was den Antrag auf Verfall der beschlagnahmten Werte anbelangt, halten SBFs Anwälte fest, dass diese Vermögenswerte sowieso nicht ihrem Mandanten gehören, sondern dem FTX-Alameda-Geflecht zuzurechnen sind. Daher sollten sie dorthin fließen. Sein persönliches Vermögen habe SBF bereits zum größten Teil in die Masse eingezahlt, was auch als Argument für eine mildere Strafe bemüht wird.

In den USA sind ellenlange Gefängnisstrafen enorm verbreitet. Angesichts dessen sind die beantragten zirka sechs Jahre Haft unrealistisch, trotz der Unbescholtenheit des Verurteilten. Da helfen wohl auch zahlreiche Briefe von SBF-Unterstützern nichts, die darauf hinweisen, was für ein gutmeinender Vegetarier der Mann nicht sei, und die sein vermeintlich zartes Alter (27 zum Zeitpunkt der FTX-Gründung 2019, 32 heute) als Milderungsgrund ins Treffen führen. Ebenso wenig dürfte es den Richter beeindrucken, dass SBFs Anwälte das zusammengebrochene Kryptowährungs-Spielhaus FTX als "fantastisch erfolgreich" beschreiben, ihren Mandanten als "Genie" bezeichnen, und ihm gleich viermal bescheinigen, "brillant" zu sein.

Ein Eigentor könnte die fortgesetzte Behauptung sein, SBFs Verbrechen hätten gar keinen Schaden angerichtet. Denn zahlreiche Eingaben von Ex-Kunden zeichnen ein völlig anderes Bild, nämlich das zusammengebrochener Existenzen. Zwar macht der FTX-Konkursverwalter den Kunden vorsichtige Hoffnung auf volle Entschädigung, doch gilt das nur unter Umständen, zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft, nur für bestimme Forderungen, nur zu historischen Kursen, die beispielsweise bei Bitcoin nur ungefähr einem Viertel des aktuellen Kurses entsprechen, und nicht für FTX-Aktionäre und bestimmte andere Geschädigte. Überhaupt begannen die Bemühungen zur Schadenswiedergutmachung erst, nachdem der Betrug aufgedeckt und gestoppt wurde.

Die Anklage beziffert den Schaden mit mehr als elf Milliarden Dollar. Dass SBF zur Schau stellt, weiter in einer Welt zu leben, in der er eigentlich nichts angerichtet hat, erweicht kaum ein Richterherz. Dabei ist unerheblich, ob der Schaden bei 1,7 Milliarden Dollar (dem nicht gedeckten Schaden der FTX-Aktionäre und -Kreditgeber) oder über elf Milliarden Dollar liegt: Die Richtlinien zur Strafbemessung enden bei 550 Millionen. Darüber macht das System keinen Unterschied mehr. Zumal es wenig Unterschied macht, ob ein Täter nun 100 oder 2.000 Jahre Gefängnis aufgebrummt bekommt.

Verschärfende Faktoren gibt es mehrere. SBF beharrt nicht nur auf seiner Unschuld, sondern war auch als Zeuge in eigener Sache alles andere als überzeugend. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm sogar Meineid vor. Auch die Beschreibung der Vorgänge in der aktuellen Eingabe im Strafbemessungsverfahren widerspricht mehrfach den dargelegten Beweisen und Zeugenaussagen. Echte Reue sieht anders aus.

Hinzu kommt, dass die Staatsanwaltschaft auf einen zweiten Prozess gegen SBF mit sechs weiteren Anklagepunkten verzichtet hat, darunter die Vorwürfe der Bestechung und illegaler Spenden an Politiker. Denn das bedeutet keineswegs kürzere Haft. Die Staatsanwaltschaft möchte, dass der Richter bei der Strafbemessung des ersten Verfahrens die zusätzlichen Vorwürfe hinzurechnet – selbst, wenn SBF dafür nicht verurteilt wurde und daher als unschuldig zu betrachten ist. Dieser Winkelzug ist nach den US-Bestimmungen für die Berechnung von Strafen nicht nur zulässig, sondern wird sogar häufig angewandt.

Lesen Sie dazu: Kein zweiter Prozess gegen FTX-Chef SBF

Juristisch ist SBF schuldig des

  • Betrugs an FTX.com-Kunden mit Einsatz von Telekommunikationsmitteln; darauf stehen bis zu 20 Jahre Haft; des
  • Betrugs an Kreditgebern Alameda Researchs mit Einsatz von Telekommunikationsmitteln (bis 20 Jahre), sowie der
  • Verschwörung zu Betrug an FTX.com-Kunden mit Einsatz von Telekommunikationsmitteln (bis 20 Jahre),
  • Verschwörung zu Betrug an Kreditgebern Alameda Researchs mit Einsatz von Telekommunikationsmitteln (bis 20 Jahre),
  • Verschwörung zu Geldwäsche (bis 20 Jahre),
  • Verschwörung zu Anlagebetrug an FTX-Investoren (bis 5 Jahre), und der
  • Verschwörung zu Anlagebetrug an FTX-Kunden (bis 5 Jahre).

Das Strafverfahren läuft am US-Bundesbezirksgericht für das südliche New York unter dem Az. 22-Cr-673 und heißt USA v Samuel Bankman-Fried.

(ds)