Peter Schaar: Der Staat ist ein feiger Leviathan

Seite 2: Unverhältnismäßig und kontraproduktiv

Inhaltsverzeichnis

Die Quellen-TKÜ soll in der gesamten, immer wieder vergrößerten Bandbreite von Delikten möglich sein, in denen die Telekommunikation mit herkömmlichen Mitteln abgehört werden darf. Auch der Katalog der Delikte, bei denen zukünftig heimlich auf Computersysteme mittels Online-Durchsuchung zugegriffen werden darf, ist weit gefasst. Zulässig soll eine solche Maßnahme etwa auch dann sein, wenn jemand verdächtig ist, jemanden zur missbräuchlichen Asylantragstellung zu verleiten. Wie durch ein solches Delikt Leib, Leben oder andere überragend wichtige Rechtsgüter betroffen sind, kann niemand erklären.

Wie leicht man in Verdacht geraten kann, Landesverrat begangen zu haben – auch eine Straftat, bei der die Online-Durchsuchung zulässig sein soll –, zeigen die Verfahren gegen Journalisten von netzpolitik.org, denen vorgeworfen wurde, geheime Informationen öffentlich gemacht zu haben.

Zudem schwächt der Staatstrojaner die IT-Sicherheit. Behörden nutzen genau dieselben IT-Schwachstellen wie Betrüger und Erpresser. Warum sollte der Staat zukünftig noch daran interessiert sein, die erkannten Sicherheitslücken zu schließen? Er würde sich ja dann selbst aussperren.

Wenn der Staat die Schwachstellen in Hard- und Software für seine Überwachungsaktivitäten nutzt, statt für das Schließen erkannter Sicherheitslücken zu sorgen, vergrößert er die ohnehin beträchtlichen technischen Risiken. So nutzte der Erpressungtrojaner WannaCry, der kürzlich zehntausende IT-Systeme blockierte, eine Sicherheitslücke im Windows-Betriebssystem, die zuvor von Geheimdiensten zur Überwachung und Spionage genutzt worden war. Mehr noch: Sicherheitsbehörden, die mit Kriminellen auf dem Schwarzmarkt für Zero-Day-Exploits konkurrieren, fördern damit Geschäftsmodelle von Betrügern und und Erpressern.

Bundesinnenminister de Maizière beschwört in Interviews und Artikeln einen "starken Staat", den wir auch in schwierigen Zeiten wie diesen bräuchten. Die immer neuen Sicherheitsgesetze und die Art, wie sie durchgesetzt werden, belegen, wie schwach und feige der staatliche Leviathan in Wirklichkeit ist.

Statt sich der öffentlichen Diskussion zu stellen, wird getrickst – die politische Führung stiehlt sich aus der Verantwortung. Dies gilt nicht nur für das Staatstrojanergesetz. Selbstverständlich muss geprüft werden, welche Befugnisse Sicherheitsbehörden benötigen und wo die Grenze zwischen Freiheit und Bürgerrechten verlaufen soll – auch unter Berücksichtigung technischer Entwicklungen und konkreter Bedrohungen. Für derartige offene Diskussionen und unabhängige Prüfungen scheint die Große Koalition jedoch nicht viel übrig zu haben. (ola)