Preis für Datenkraken: 20 Jahre Big Brother Awards – die Jubiläumsedition

Seite 2: BrainCo – Bildungs-Brain-Tracking

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Ist das Aufzeichnen von KFZ-Kennzeichen eine einfache Sache, ist das Aufzeichnen von Gehirnaktivitäten mit Hilfe der Elektroenzephalografie (EEG) schon wesentlich komplizierter. Nun hat die amerikanisch-chinesische Firma BrainCo einfach zu tragende Stirnbänder namens Focus EDU entwickelt, mit deren Hilfe die Aufmerksamkeit von Schülern beim Unterricht gemessen werden soll. Die Fokussierung auf den Lernstoff wird gespeichert und übertragen, auf dass das Lehrpersonal weiß, wer mitmacht oder anderen Gedanken nachhängt. Jedenfalls in China, wo das Focus EDU laut Werbevideo bereits in Schulen getestet wurde.

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Abgesehen von Zweifeln an der Zuverlässigkeit der Stirnbänder bekommt BrainCo einen Big Brother Award in der Kategorie "Bildung", weil mit der Technik das schulische Lernen zur Dressur ausartet, so die Jury. "Ich muss ganz konzentriert sein, sonst werde ich ertappt, denn es wird alles aufgezeichnet." Die Argumentation, das Lehrer so sehen können, ob alle Schüler beim Unterricht mitkommen, sei vorgeschoben.

Doch warum nach China schauen, wenn auch in Deutschland solche Technologien im Einsatz sind? Hier verweist die Jury auf die Forschungen über Cognitive Interfaces, die auf dem Leibniz WissenschaftsCampus in Tübingen durchgeführt werden. Die Tübinger Analyse der Aufmerksamkeit im Klassenzimmer arbeitet mit EEG und Eyetrackung und soll unerfahrenen Lehrkräften helfen, den Aufmerksamkeitsfokus einer Klasse einzuschätzen.

Das hält die Jury für ein vorgeschobenes Argument wie die Versuche, mittels Eytracking festzustellen, ob eine Aufgabe zu schwierig oder zu leicht war. Dramatisch heißt es: "So können die Begriffsstutzigen mit den Mittelmäßigen und den Überfliegern in einem Raum sitzen – aber nicht mehr so, dass sie voneinander lernen, sondern alle in Einzelhaft vor ihrem Computer." Klar, dass es dafür einen Big Brother Award gibt.

Zum zweiten Mal in der 20-jährigen Geschichte des deutschen Big Brother Awards kassiert eine Regierung den Preis der Datenschützer. Nachdem 2003 die US-amerikanische Regierung für das Speichern von Flugpassagierdaten den Negativpreis bekam, ist es diesmal die Bundesregierung, geführt von CDU/CSU und SPD, die einen Preis in der Kategorie "Politik" bekommt. Dies deshalb, weil die Bundesregierung duldet, dass die US-Regierung auf ihrer Flugbasis Ramstein ein Relais betreibt, über das Drohnen in Afghanistan oder Yemen über 6 Millionen Flugstunden absolvieren konnten, während mit ihnen gezielte Tötungen durchgeführt wurden.

Nach Ansicht der Jury trage die Bundesregierung die "rechtliche und politische Mitverantwortung, weil sie nichts gegen dieses mörderische Treiben auf deutschem Staatsgebiet unternimmt." Dabei verweist die Jury in ihrer Begründung auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster, das die Regierung Sorge tragen müsse, dass von Ramstein aus keine völkerrechtswirdigen Angriffe mit Kampfdrohnen erfolgen. Weil die Datenleitungen und Satellitenverbindungen in Ramstein auch nach dem geplanten Abzug von US-Streitkräften erhalten blieben und weiterhin genutzt würden, sei mehr als ein Verstoß gegen den Datenschutz. "Dass die zuständigen Staatsorgane bisher beharrlich untätig bleiben, ist nicht nachvollziehbar und dürfte an Verfassungsbruch grenzen."