Widerspruch zur Relativitätstheorie: Kosmische Gravitationssenken werden flacher

Massereiche Galaxien verzerren die Raumzeit womöglich inzwischen weniger stark als von der Relativitätstheorie vorhergesagt. Steht Einstein vor der Ablösung?

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Sternenhimmel

(Bild: ESA/Euclid/Euclid Consortium/NASA, image processing by J.-C. Cuillandre (CEA Paris-Saclay), G. Anselmi)

Lesezeit: 2 Min.
Von
  • Martin Holland

Mit zunehmendem Alter des Universums scheinen gigantische Massen wie Galaxien die Raumzeit etwas weniger stark zu verzerren, als sie es laut Albert Einsteins Relativitätstheorie tun sollten. Das legen Daten einer riesigen Himmelsdurchmusterung nahe, behauptet eine Forschungsgruppe um Isaac Tutusaus von der Universität Toulouse. Die meint, dass das entdeckte Phänomen direkt mit der beschleunigten Expansion des Universums zusammenhängen könnte. Noch gelte der Fund mit einer Signifikanz von 3 Sigma nicht als bewiesen, dafür gelten 5 Sigma als notwendige Grenze. Aber er rechtfertige weitere Untersuchungen, meint das Team.

Wie die Gruppe in Erinnerung ruft, geht aus Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie hervor, dass man sich das Universum als eine Art Bettlaken vorstellen kann. Das stellt dann die Raumzeit dar, in der massereiche Körper für Senken sorgen, in denen beispielsweise Licht gekrümmt wird. Je massereicher die Objekte, desto tiefer diese Senken. Wie tief genau, lässt sich anhand der Theorie berechnen und überprüft hat die Gruppe das jetzt mit den Daten des sogenannten Dark Energy Survey. Anhand von Gravitationslinsen haben sie ermittelt, wie tief die Gravitationssenken bei 100 Millionen Galaxien vor dreieinhalb, fünf, sechs und sieben Milliarden Jahren waren.

Die Analyse hat demnach ergeben, dass die Ausprägung der Gravitationssenken vor sechs und sieben Milliarden den theoretischen Vorhersagen entsprochen hätten. "Näher an heute – vor 3,5 und 5 Milliarden Jahren – sind sie jedoch etwas flacher, als von Einstein vorhergesagt", fasst Tutusaus die Entdeckung zusammen. Das sei gleichzeitig genau jene Epoche in der Geschichte des Kosmos, in der die beschleunigte Expansion begonnen habe. Möglicherweise sei die Erklärung für beide Phänomene dieselbe: Gravitation könnte in kosmischen Maßstäben anders funktionieren als von Einstein vorhergesagt. Vorgestellt wird die Studie jetzt im Fachmagazin Nature Communications.

Messdaten oder Theorien, die Einsteins Relativitätstheorie widersprechen, werden bisweilen vorgestellt, bisher hat die sich aber als resistent erwiesen. Der für den jüngsten Versuch genutzte Dark Eneryg Survey soll über die genaue Kartierung sichtbarer Objekte eigentlich auch für uns unsichtbare Gefüge finden und damit vor allem zur Erforschung der rätselhaften Dunklen Energie beitragen. Immerhin macht "normale" Materie nur etwa fünf Prozent des Universums aus, Dunkle Materie weitere 25 Prozent und Dunkle Energie die restlichen 70 Prozent. Bislang hatten die Daten das sogenannte Standardmodell der Kosmologie weitgehend bestätigt. Tutusaus Team will die eigene Behauptung nun anhand der Daten des Weltraumteleskops Euclid überprüfen.

(mho)