Bundesgerichtshof ebnet Weg für Softwarepatente

Im Streit über einen Patentanspruch von Siemens auf ein "Verfahren zur dynamischen Generierung strukturierter Dokumente" entschied die Berufungsinstanz, dass konzeptionelle Überlegungen ein technisches Problem lösen könnten und prinzipiell schutzwürdig seien.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 226 Kommentare lesen
Lesezeit: 6 Min.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat neue Möglichkeiten zur Patentierbarkeit von Software und Verfahren, die mit Hilfe von Computern ausgeführt werden, aufgezeigt. Im Streit über eine Patentanmeldung von Siemens auf ein "Verfahren zur dynamischen Generierung strukturierter Dokumente" beim Deutschen Patentamt mit der Nummer DE 10232674 hat die Berufungsinstanz entschieden, dass auch rein konzeptionelle Überlegungen unter bestimmten Umständen ein technisches Problem lösen können und somit prinzipiell schutzwürdig sind.

Ein Verfahren, welches das unmittelbare Zusammenwirken der Elemente eines Datenverarbeitungssystems betreffe, "ist stets technischer Natur", heißt es in der jetzt veröffentlichten Entscheidung Xa ZB 20/08 (PDF-Datei) vom 22. April. Dabei komme es nicht darauf an, "ob es in der Ausgestaltung, in der es zum Patent angemeldet wird, durch technische Anweisungen geprägt ist". Auf die Rechtsbeschwerde von Siemens hin hat der BGH so den Beschluss des Technischen Beschwerdesenats des Bundespatentgerichts vom 17. Januar 2008 aufgehoben. Die Sache wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an die niedere Instanz zurückverwiesen.

Das Patentamt hatte die zehn Ansprüche der 2002 eingereichten Anmeldung zunächst wegen "Fehlens erfinderischer Tätigkeit" zurückgewiesen. Siemens legte daraufhin Beschwerde ein. Der Konzern hielt darin den Großteil des Antrags unverändert und die Patentansprüche 1 und 10 in überarbeiteter Form aufrecht. Das Bundespatentgericht wies das Begehr zur erneuten Überprüfung der Anmeldung zurück. Zur Begründung holte es etwas weiter aus. So hielten die Richter fest, dass mit den Ansprüchen eine Möglichkeit geschaffen werden solle, strukturierte, mit rechnerlesbaren Instruktionen versehene Dokumente wie Dateien im HTML-Format aus Vorlagedokumenten, die in einer Skript- oder skriptähnlichen Sprache wie Java Server Pages abgefasst seien, auch auf solchen Leitrechnern dynamisch zu generieren, deren zu geringe Leistungsfähigkeit die Installation einer vollständigen Skriptsprachen-Laufzeitumgebung wie einer Java Virtual Machine nicht zulasse.

Zur Lösung dieses Problems lehre Patentanspruch 1, dass der Server aus den Anforderungsdaten für ein Dokument die Anfrageparameter extrahiere und diese durch ein Kontrollmodul auf den Befehlssatz des Leitrechners abbilde. Die von den Dienstnehmern enthaltenen Anweisungen sollten ebenfalls extrahiert, auf den beschränkten spezifischen Befehlssatz des Schnittstellenmoduls des Leitrechners abgebildet und unter Hinzuziehung der abgebildeten Anfrageparameter in der Laufzeitumgebung des Kontrollmoduls ausgeführt werden. Dies reiche nicht aus, um ein gewerbliches Schutzrecht zu erteilen.

Die beanspruchte Lehre müsse vielmehr Anweisungen enthalten, die der Lösung "eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln" dienten, befand das Patentgericht. Zwar möge die beanspruchte Lehre der Lösung eines grundsätzlich technischen Problems dienen, soweit sie versuche, durch eine bestimmte Weise der Erzeugung von Dokumenten die unterschiedliche Leistungsfähigkeit von Leitrechnern zu kompensieren. Dies werde aber nicht durch den Einsatz technischer Mittel bewirkt, sondern beruhe auf konzeptionellen Überlegungen. Damit verstoße der Anspruch gegen § 1 Absatz 3 des Patentgesetzes, der genauso wie Artikel 52 des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) "Programme für Datenverarbeitungsanlagen" beziehungsweise Software "als solche" von der Patentierbarkeit ausschließt.

Siemens machte in der Beschwerde geltend, Computer und deren Programmierung gehörten zum Gebiet der Technik. Die Verneinung der Technizität von Computerprogrammen sei eine von der Wirklichkeit nicht gedeckte Fiktion. Computerprogramme seien dem Grunde nach technisch.

Dieser Ansicht schloss sich der BGH nun im Prinzip an. Das Berufungsgericht betonte zunächst, dass das beanspruchte "System" aus Leitrechner und Client insgesamt "eine (komplexe) Datenverarbeitungsanlage" darstelle. Weiter hält es unter Verweis auf die umstrittene BGH-Entscheidung zur Patentierbarkeit einer "Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodalitäten" vom vergangenen Jahr fest, dass es für das Technizitätserfordernis unerheblich sei, ob der Gegenstand einer Anmeldung neben technischen Merkmalen auch nicht-technische aufweise und welche dieser Merkmale die beanspruchte Lehre prägten. Ob entsprechende Kombinationen patentfähig seien, hänge vielmehr allein davon ab, ob sie neu sind und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.

In den entscheidenden Urteilspassagen heißt es weiter, dass "ein technisches Mittel zur Lösung eines technischen Problems nicht nur dann" vorliege, "wenn Gerätekomponenten modifiziert oder grundsätzlich abweichend adressiert werden". Es reiche vielmehr auch aus, "wenn die Lösung gerade darin besteht, ein Datenverarbeitungsprogramm so auszugestalten, dass es auf die technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage Rücksicht nimmt". Diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall erfüllt.

Die erfindungsgemäße Lehre betreffe, gibt der BGH dem Patentgericht recht, "das grundsätzliche Konzept für die Generierung dynamischer Dokumente". Die Berufungsrichter unterstreichen aber weiter, dass sich die Lehre so "an den Systemdesigner" wende, "der die Gesamtarchitektur des Datenverarbeitungssystems im Auge hat und die unterschiedlichen Eigenschaften und die Leistungsfähigkeit von Hard- und Softwarekomponenten berücksichtigt". Gerade deshalb gehe es um "den Einsatz technischer Mittel zur Lösung des zu Grunde liegenden technischen Problems". Dass die Lehre nicht auf konkrete Maßnahmen zur Abbildung der Anfrageparameter auf einen begrenzten Befehlssatz beschränkt, sondern eher abstrakt formuliert sei, werde aber bei der noch vorzunehmenden Prüfung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit zu berücksichtigen sein. Für die dynamische Generierung statischer Webseiten wies das World Wide Web Consortium (W3C) bereits 2000 mit Standardisierungen für XML und XSLT einen Weg. Es bleibt so trotz der Ansage des BGH fraglich, ob Siemens das Patent doch noch erhält.

In ersten Reaktionen zeigten sich Softwarepatentgegner enttäuscht von dem Beschluss. Damit werde Software in Deutschland als unbegrenzt patentierbar eingestuft, erklärte der Patentblogger Florian Müller gegenüber heise online. "Unter Umständen wird es jetzt zu einer Flut von Durchsetzungsklagen durch Patentinhaber gegen sogenannte Verletzer kommen." Hartmut Pilch vom Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) betonte: "Wo Richterrecht zu Unrecht wird, ist der Gesetzgeber gefragt." Jetzt müsse "ein Ruck durch die Softwarebranche gehen und den Bundestag erreichen". (jk)