Abschied vom Mann im Mond

Wer erinnert sich an die zweite Landung auf dem Erdtrabanten? Bemannte Raumfahrt ist Religion hinter der Maske von Maschinen: ein vorläufiger Abgesang.

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Von
  • Peter Glaser

Der Abschiedsflug der Raumfähre Atlantis gibt Anlass für eine Rückschau. In den fünfziger Jahren hatte der Himmel sich in ein technisches Problem verwandelt: Er hieß nun Weltraum und hatte sich aus der duftigen Sphäre der Metaphysik zu einem handfesten politischen Interesse verdichtet. Im Oktober 1957 setzten die Russen Sputnik I aus, den ersten künstlichen Himmelskörper.

Ich bin im Sommer 1957 geboren, und in den sechziger Jahren fühlte man sich als kleiner Junge ganz selbstverständlich aufgerufen, an der Eroberung des Raums teilzunehmen. Wernher von Braun soll eine Geschichte von Arthur C. Clarke benutzt haben, um Präsident Kennedy von der Notwendigkeit der bemannten Raumfahrt und von Flügen zum Mond zu überzeugen. Die Illustratoren populärer Magazine wie "Colliers" oder "Popular Mechanics" und Wunderwelten-Profis wie Walt Disney entwarfen grandiose Bilder von Raumstationen und Reisen durchs All. Sie entzündeten die Fantasien einer zukunftshungrigen Generation. Wir alle waren verliebt in die großartige Technik.

Bald nachdem im deutschen Fernsehen die erste Raumpatrouille gestartet war, hatte das US-Raumfahrtprogramm mit Griffen in den antiken Götterhimmel – Mercury, Gemini, Apollo – das der Sowjets überflügelt. Machtpolitischer Nebel verstellte die Sicht auf Peenemünde und die Anfänge der Raketentechnologie im Deutschland des 2. Weltkriegs. Wir Jungs bauten aus Draht und Isolierband die Strahlenwaffen der Orion-Crew nach und laserten einander damit von den Juniorfahrrädern. Wenn die Raumpatrouille flog oder ein Lift-off von Cape Kennedy anlag (das später wieder in Cape Canaveral rückbenannt wurde), galt eine Ausnahmeregelung entgegen der sonst strikt dosierten Fernseherlaubnis. So waren die Raketenstarts von Cape Kennedy zugleich auch die Einflugschneise hinauf ins Erwachsenwerden: Fernsehen, stundenlang, während eine mächtige Saturn V-Rakete im Startturm wartete, Kältewolken von den Tankwänden wehten und Professor Heinz Haber technische Hintergründe erläuterte.

Die erste Mondlandung sah ich in einem Landgasthaus. Die nachfolgenden Mondmissionen, mit denen die siebziger Jahre begannen, waren langweilig und grau wie der Mond. Erinnert sich jemand an die zweite Mondlandung? Oder an die letzte? Als die Ära der Space Shuttles begann, war der gewaltige Zauber bereits verflogen, mit dem sich die Saturn-Raketen aus der Erdschwere erhoben hatten. Shuttle-Starts im Fernsehen waren banal, so als würde man die Abfahrt eines Schnellzugs übertragen. Das eigentliche Produkt der Mondlandemission war längst eingefahren. Es war nie um Forschung gegangen, sondern immer nur darum, Wolkenkratzer zu bauen, die fliegen können. Als der deutsche Raketenpionier Eugen Sänger 1958 sein Buch "Raumfahrt – technische Überwindung des Krieges" veröffentlichte, genügte zur Begründung der Raumfahrt ein Zitat des Papstes.

Bemannte Raumfahrt ist Religion hinter der Maske von Maschinen. Wieder und wieder versucht die Priesterschaft der Raumfahrtingenieure jenes besondere Gemeinschaftsgefühl hervorzurufen, mit dem wir uns dem unendlichen Schweigen der Natur entgegenstellen: Hello World – wir sind die Menschheit. Das hat aber nur einmal richtig funktioniert, bei der ersten Mondlandung. Längst hat die Erde sich in einen Schleier aus Satelliten gehüllt. Die phantastischen Verheißungen des Himmels sind nun wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Heute sehen wir in Cape Canaveral im "Rocket Garden" das paradoxe Gegenteil dessen, wozu die Anlage ursprünglich gebaut worden ist: liegende Raketen, die auch noch am Boden festgeschraubt sind. Längst haben wir damit begonnen, das All auf technologischem Weg nach Innen zu wenden. Das Internet ist die Demokratisierung der Raumfahrt. Nun kann jeder mitfliegen. (bsc)