Streit um neues Stromnetz für Europa

Nachdem die großen Energieversorgungsunternehmen sich jahrelang gegen den teuren Ausbau des europäischen Stromnetzes gewehrt haben, wollen sie sich nun offenbar an die Spitze der Bewegung setzen. Experten befürchten, dass diese Pläne zu Lasten erneuerbarer Energien gehen, berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe.

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Nachdem die großen Energieversorgungsunternehmen sich jahrelang gegen den teuren Ausbau des europäischen Stromnetzes gewehrt haben, wollen sie sich nun offenbar an die Spitze der Bewegung setzen. Experten befürchten, dass diese Pläne zu Lasten erneuerbarer Energien gehen, berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe (ab 27. 5. am Kiosk oder portokostenfrei online zu bestellen). Ob in Brüssel und Straßburg, Berlin, Madrid oder Paris, Strom-Lobbyisten jedweden Lagers ziehen in den nächsten Monaten alle Register. Denn mit den Ausbauplänen und den Betriebsregeln für das europäische Stromnetz der Zukunft werden die Bedingungen festgezurrt, nach denen Energieerzeuger, -transporteure und -verteiler auf Jahrzehnte hinaus ihr Geld verdienen.

Im Dezember beispielsweise 2008 fanden sich 42 Unternehmen aus 34 Ländern zu einem gemeinsamen europäischen Verband zusammen, der in Sachen Netzausbau Tempo machen soll. Die ENTSO-E (European Network of Transmission System Operators for Electricity) legte dann binnen eines einzigen Jahres einen detaillierten Ausbauplan für das Stromnetz Europas vor. Danach verteilen sich die 42.100 neuen Leitungskilometer, die in den kommenden zehn Jahren gebaut werden sollen, schwerpunktmäßig auf Nord-Süd-Verbindungen in Deutschland, Leitungen zwischen Spanien und Frankreich quer über die Pyrenäen sowie Netzverstärkungen in Skandinavien und rund um die Nordsee zum Anschluss der entstehenden Offshore-Windparks.

Experten wie der Fraunhofer-Forscher Kurt Rohrig betrachten dies Aktivitäten mit Skepsis, denn „die Gefahr besteht, dass der Netzausbau die Bedürfnisse der Windenergie und anderer regenerativer Einspeiser nicht ausreichend berücksichtigt“. Zudem sei „erhöhte Wachsamkeit“ angebracht, da die ENTSO-E neben den Bauplänen auch gleich die Regeln für den Betrieb des Netzes, die sogenannten Netzcodes, neu formuliere: In diesen Netzcodes wird verbindlich festgelegt, wie und wann ein Netzbetreiber einspeisende Kraftwerke – vom Atommeiler bis zum Windpark – abregeln darf, um Spannung und Frequenz im Stromnetz stabil zu halten. Im Klartext: Die Netzbetreiber könnten dann darüber entscheiden, ob der Strom bei Überangebot von einem Atomkraftwerk oder von einem Windpark produziert wird. Bleiben also beim europäischen Netzausbau die Interessen der kleineren Wind- und Solarbauer auf der Strecke? „Die großen Unternehmen sind in Brüssel besser vernetzt“, gibt Ulf Gerder, Pressesprecher des Bundesverbandes WindEnergie (BWE), mit Blick auf die Nähe der ENTSO-E zum deutschen Energiekommissar Günther Oettinger zu. „Aber unser wichtigster Lobbyansatz ist nicht die Kommission, sondern das Parlament.“ Denn weitreichende Richtlinien müssen auch von den Parlamentariern abgesegnet werden. (wst)