E-Books aufgebohrt

Nach einem verhaltenen ersten Jahr hoffen die Betreiber der "Antwortmaschine" Wolfram Alpha auf einen Durchbruch mit interaktiven elektronischen Büchern für Tablet PCs.

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Von
  • David Talbot

Nach einem verhaltenen ersten Jahr hoffen die Betreiber der "Antwortmaschine" Wolfram Alpha auf einen Durchbruch mit interaktiven elektronischen Büchern für Tablet PCs.

Gut ein Jahr ist es her, dass der Start der „Antwortmaschine“ Wolfram Alpha für einigen Wirbel sorgte. Würde das neue Konzept des britischen Mathematikers Stephen Wolfram, Antworten auf User-Fragen aus einer gewaltigen Faktensammlung zu errechnen, den Suchmaschinenmarkt aufmischen? Längst hat sich die Aufregung gelegt, und die Zugriffszahlen dümpeln knapp unter dem Wert, den Wolfram Alpha im Mai 2009 erreichte. Auch wenn darin nicht Nutzungen durch andere Diensten – wie die Suchmaschine Bing von Microsoft – eingerechnet sind, bleibt festzuhalten: Der Knalleffekt ist verpufft.

Nun sollen das iPad und andere Tablet-PCs der „Antwortmaschine“ zum Durchbruch verhelfen. Mit ihren zahlreichen Graphiken und Diagrammen in den Ergebnissen könnte sie eine ideale Anwendung für die neuen Allround-Lesegeräte sein, hoffen die Betreiber. „Tiefergehende Informationen sind jetzt mit einem Fingertippen erreichbar“, sagt Theodore Gray, Mitgründer von Wolfram Research.

Das erste Beispiel ist bereits fertig: eine Wolfram-Alpha-Anwendung für „The Elements“, Grays Buch über das Periodensystem. Während die gedruckte Ausgabe mit schicken Photos und Produktbeispielen für die chemischen Elemente glänzt, wartet die iPad-App mit einem Haufen von Buttons auf, die direkt zu Wolfram Alpha führen: Mit einer Fingerbewegung können Nutzer die Bilder, zum Beispiel von Wismutkristallen, vergrößern und gleich weiterklicken zu Schmelz- und Siedepunkten, zu endlosen Berechnungen und Molekülgraphiken der Verbindungen, die das Element enthalten. „Damit können Sie den klassischen Bildband um spannende und nützliche Dimension erweitern“, freut sich Gray.

Eine Dimension, die vielen E-Books noch fehlt: Viel mehr als die Schriftgröße zu verändern oder nach Begriffen zu suchen, bieten sie bislang nicht. „Wir wollen die Verlage ermuntern, elektronische Bücher zu gestalten, die über eine bloße statische Reproduktion der Papierausgabe hinausgehen“, fügt er hinzu.

Weitere solche Anwendungen seien geplant, versichert Gray, will aber keine genaueren Angaben machen. „Jedes Buch, dass quantifizierbare Fakten enthält, ist ein Kandidat für unser Konzept“, sagt er. „Die Verlage sparen sich damit eine eigene, aufwändige Infrastruktur, um solche erweiterten Bücher zu produzieren.“ Gerade für Schulbücher eigne sich die Einbindung von Wolfram Alpha, weil die Inhalte „geschützt“ seien.

Für bestimmte Bücher sei das Konzept auf jeden Fall nützlich, pflichtet Jared Spool, Geschäftsführer der Beratungsfirma User Interface Engineering, bei. „Für Lehrbücher ist das eine sinnvolle Weiterentwicklung, aber ob es auch etwas für Krimis ist, wage ich zu bezweifeln.“ Eine Wikipedia-App etwa könne aber von einer derartigen Interaktion mit Wolfram Alpha profitieren.

Auch Walter Bender, Chef des gemeinnüzigen Schulsoftware-Herstellers Sugar Labs und früherer Präsident der One-Laptop-Per-Child-Initiative, lobt den Ansatz von „The Elements“. Der werde darüberhinaus den Journalismus verändern. In Zukunft könne man sich nicht mehr darauf beschränken, nur ein paar Links statt direkter Verweise auf Quellenmaterial in Artikeln anzubieten. Das müssen nicht nur die Graphiken von Wolfram Alpha sein. Er ärgere sich seit langem, dass der Großteil des Recherchematerials von Journalisten bis auf ein paar knackige Zitate nicht in den fertigen Artikeln lande. Mit solchen neuen Darstellungsformen könnte man auch den Kontext der Zitate erhellen, so Bender.

James Spool kann dieser Entwicklung zu wirklich interaktiven elektronischen Büchern allerdings nicht nur Positives abgewinnen. „Nach meinem Dafürhalten ist die Konsequenz aus Konzepten wie ‚The Elements’, dass niemand mehr produktiv sein wird“, sagt Spool. „Sie werden immer mehr mehr klicken und und hin- und herdrehen, und 100 coole Anwendungen werden Sie ablenken.“
(nbo)