Twitter – was war das jetzt noch mal?
Vor gut einem Jahr ist der so genannte "Social-Media-Dienst" Twitter von den Medien hochgejazzt worden, dass man glauben konnte, es handele sich um die größte Sache seit der Erfindung des Internets. Jetzt, ein Jahr später, ist der Hype schon wieder vorbei und Twitter sorgt nicht einmal mehr für negative Schlagzeilen.
Lieber (ehemaliger?) Twitter-Fan Frank Garrelts,
Social-Media-Experte Frank Garrelts
vor wenigen Tagen erreichte mich eine Meldung mit der Überschrift "Nur jedes dritte deutsche Unternehmen hat eine Social-Media-Strategie". Wieso eigentlich "nur"? Das hört sich ja an, als ob jede gescheite Firma eine Social-Media-Strategie (SMS) haben MÜSSTE. Warum eigentlich? Und was ist mit denen, die keine haben? Steuern diese Ignoranten oder SMS-Verweigerer schnurstracks dem Untergang entgegen oder sind sie sogar schon pleite, ohne es zu wissen? Und was ist überhaupt eine Social-Media-Strategie? Jemand aus der Belegschaft, der hin und wieder einen Satz auf Twitter oder Facebook postet und wartet, dass jemand anders darauf antwortet?
Apropos Twitter: Erinnern Sie sich, lieber Herr Garrelts? Vor gut einem Jahr gab es einen medialen Hype um dieses Internet-Gezwitscher, dass man hätte meinen können, das Marketing sei neu erfunden worden. Jede Menge Experten waren wie besoffen von Twitter und überschlugen sich mit wohlmeinenden Ratschlägen auch an den IT-Handel, dieses Medium zu nutzen. Warum und wozu, die Antwort auf diese Fragen waren sie allerdings ebenso schuldig geblieben wie die, was man denn sinnvoller Weise in 140 Zeichen den (potenziellen) Kunden mitteilen sollte. Sie selbst, lieber Herr Garrelts, waren von Twitter ja auch ganz angetan, nicht wahr?
Ich hatte an dieser Stelle vor gut einem Jahr eine Kolumne zum Thema Twitter geschrieben (Überschrift "Twittern ist wie pupsen"). Damals habe ich neben einiger Zustimmung auch viel Prügel für meine skeptische Haltung kassiert. Auch hier auf dieser Seite, etwa von Axel Schultze, dem einen oder anderen noch als ehemaliger Computer-2000- und Infinigate-Manager bekannt. Schultze ist jetzt in den USA Chef einer Firma, die "Social Business Software" anbietet und unter anderem auch Chairman einer "Social Media Academy". Die Twitter-Jünger wie Schultze warfen den Skeptikern vor, sie seien dumpfe Hohlköpfe und wären von gestern. Heute, ein Jahr später, sieht die Sache anders aus. Von gestern ist nach meiner Beobachtung vor allem eins: der Social-Media-Dienst Twitter selbst. Twitter ist nahezu zur Bedeutunslosigkeit verkommen, in den Medien reicht es nicht einmal mehr für negative Schlagzeilen. Die Frage "Twitter: Ist der Hype bald vorbei?", die Anfang dieses Jahres auf einer Medienseite gestellt wurde, war schon damals rein rhetorischer Natur. "Der Durchbruch zum Massenphänomen steht nach wie vor aus und wird wegen der abflachenden Wachstumskurve nicht eben wahrscheinlicher. Twitter bleibt vorerst ein Insider-Ding", lautete das Fazit der Kollegen von meedia.de.
Da kann man den Händlern nur gratulieren, die im vergangenen Jahr nicht den Sirenenklängen der Twitter-Apologeten gefolgt sind (so wie zuvor schon der Parallelwelt "second life", die mehr oder weniger komplett am Ende ist) und sich so eine Menge Energie gespart oder für andere sinnvollere Aktivitäten eingesetzt haben. Allzu viele Händler waren es ohnehin nicht, welche die Begeisterung für Twitter teilten. Nachdem meine Suche nach Twitter-Aktivitäten einiger IT- und CE-Handelsfirmen im Herbst vergangenen Jahres nur wenige Treffer brachte, hat sich das Bild bei einem neuerlichen Scan vor ein paar Tagen nicht viel verändert. Im Gegensatz zu Facebook übrigens. Hier stellt sich die Situation völlig anders dar, was vor allem mit den reichhaltigeren Möglichkeiten zu erklären ist, die Facebook den Unternehmen bietet (Einbindung von Fotos, längere Texte, direkte Kommentarfunktion der Kunden etc.).
Dass vor diesem Hintergrund angeblich ein Drittel aller deutschen Firmen eine Social-Media-Strategie haben, wie die eingangs erwähnte Studie behauptet, ist kein "nur", sondern ein "erstaunlich viel". Sicher gibt es Unternehmen, für die es Sinn macht, sich mit diesen Möglichkeiten zu befassen und zum Beispiel Facebook für die Kundeninformation oder die Kundenbindung zu nutzen. Aber der Großteil des deutschen IT-Handels hat wichtigere Dinge zu tun.
Beste GrĂĽĂźe
Und hier die Antwort von Frank Garrelts
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