Die Zelltechniker

Die Wissenschaftler am J. Craig Venter Institute haben ein ausgeklügeltes Verfahren entwickelt, um synthetisierte Genome schnell in Zellkulturen zu testen. Es könnte sich schon bald in anderen Laboren etablieren.

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Von
  • Katherine Bourzac

Die Wissenschaftler am J. Craig Venter Institute haben ein ausgeklügeltes Verfahren entwickelt, um synthetisierte Genome schnell in Zellkulturen zu testen. Es könnte sich schon bald in anderen Laboren etablieren.

Mit dem ersten lebensfähigen Bakterium, das ein synthetisches Genom in sich trägt, hat das J. Craig Venter Institute vor einigen Wochen für weltweite Schlagzeilen gesorgt. Doch für die Forscher des Instituts ist dies nur ein weiterer erfolgreicher Zwischenschritt hin zu einem größeren Ziel: vollsynthetishen Einzellern mit Designergenomen, die als maßgeschneiderte Biofabriken dienen können.

„Wir hoffen, dass wir Zellen dazu bringen können, neue Sachen zu machen, wenn wir die Grundprinzipien zellulären Lebens verstehen“, sagt John Glass, einer der leitenden Wissenschaftler am Institut. Dazu versuchen er und seine Kollegen herauszufinden, wie viele Gene ein Mikroorganismus mindestens braucht, um am Leben zu bleiben. Dann könnte man mit den verzichtbaren Genen alle überflüssigen Stoffwechselwege in der Zelle ausschalten und stattdessen einen neuen einprogrammieren, der eine gewünschte Chemikalie produziert. „Wir haben jetzt endlich die Forschungswerkzeuge dafür“, sagt Glass.

Die klassische Herangehensweise, um das Minimalgenom eines Bakteriums – zum Beispiel Escherichia coli – zu ermitteln, wäre, der Reihe nach immer ein Gen zu deaktivieren und zu schauen, ob der Einzeller den Eingriff überlebt. Dieses „Knockout-Verfahren“ wird bereits seit langem in der Gentechnik praktiziert, ist aber sehr zeitaufwändig.

Die Forscher am Venter-Institut beginnen stattdessen am Rechner: Dort entfernen sie einzelne Gene aus der kurzen Genomsequenz eines einfachen Bakteriums oder fügen neue hinzu. Die Sequenzvariationen werden anschließend aus den chemischen Grundbausteinen synthetisiert und in eine Zelle transplantiert. Anschließend beobachten die Wissenschaftler, wie sich die Zelle mit dem veränderten Genom verhält. Dieses Verfahren beschleunige die Erforschung des Minimalgenoms deutlich, sagt Daniel Gibson, Molekularbiologe am Venter-Institut.

Der erste Schritt auf dem Weg zur vollsynthetischen Zelle ist dann der Entwurf eines neuen Genoms. Im Falle des Bakteriums Mycoplasma mycoides, mit dem die Venter-Forscher unter anderem experimentieren, ist das – natürliche – Genom 1.077.947 Basenpaare lang. Die werden auch als die „Buchstaben“ des genetischen Codes bezeichnet.

In ihren Experimenten haben die Biologen bislang bis zu 15 Gene von Mycoplasma mycoides ausgeschaltet. Bei dem im Mai publizierten Mycoplasma fügten sie zur besseren Unterscheidung von der natürlichen Variante noch eine Web-Adresse und ein paar Zitate, kodiert in den vier genetischen Buchstaben, ins Genom ein.

Nun ist es immer noch teuer und zeitraubend, eine Million Basenpaare am Stück zu synthetisieren. Deshalb zerlegen die Forscher am Rechner das Genom in 1100 Stücke zu je 1080 Basenpaaren, die sie relativ rasch synthetisieren können. An den Enden werden jeweils noch so genannte klebrige Enden angehängt. Das sind DNA-Einzelstränge, deren Basenfolge komplementär zum jeweils nächsten Einzelstrang ist. Wie zwei Legosteine rasten sie dann ineinander ein.

Diese 1100 Fragmente werden in Hefezellen eingefügt, deren Stoffwechsel hilft, sie zu einem ringförmigen Genom zusammenzufügen. Allerdings nimmt nicht jede Hefezelle schon am Anfang alle Fragmente auf. Stattdessen werden die Stücke in zehn Gruppen aufgeteilt, aus denen die Hefezellen erst einmal längere Teilabschnitte des Genoms produzieren. Diese zehn Teilabschnitte geben die Forscher in weitere Hefekulturen, bis schließlich eine Zellkolonie das komplette Mycoplasma-Genom erzeugt.

Diese Kolonie wird nun zum Wachsen angeregt, und bei jeder Zellteilung produzieren die Hefezellen auch ein paar Kopien des synthetischen Mycoplasma-Genoms mit. Das muss nun aus den Zellen isoliert und in eine neue Zellkultur eingebracht werden – der schwierigste Abschnitt des Verfahrens.

Denn auch wenn das Mycoplasma-Genom im Vergleich zu dem von anderen Lebewesen sehr kurz ist, handelt es sich immer noch um ein Riesenmolekül. Es ist so instabil, dass schon winzige Turbulenzen in Wasser es auseinanderreißen können. Um dies zu vermeiden, fixieren die Wissenschaftler die Mycoides-DNA in einem Gel-Bett, um sie an den nächsten Laborplatz transportieren zu können.

Dort warten präparierte Bakterien der verwandten Art Mycoplasma capricolum darauf, das synthetisierte Genom aufzunehmen. Hierbei kommt es auf den richtigen Augenblick an. Die Venter-Forscher haben in mühsamer Detektivarbeit herausgefunden, dass es im Lebenszyklus von M. capricolum ein Zeitfenster gibt, in dem es am ehesten in der Lage ist, fremde DNA aufzunehmen. Ein wenig Zufall ist also mit im Spiel.

Um die Empfänger-Bakterien aufnahmebereit zu machen, tauchen die Biologen sie zuvor in eine chemische Lösung, die die Zelloberflächen weich und klebrig macht. Anschließend kommen die Einzeller in die Lösung mit der Mycoides-DNA. Aufgrund der veränderten Zelloberfläche beginnen sie bald miteinander zu verschmelzen. Weil dabei ihr Zellvolumen zunimmt, müssen sie Flüssigkeit aus der Lösung aufnehmen – und mit ihr die fremde DNA.

Nach drei bis vier Stunden setzt dann die Teilung der Zellen ein, die inzwischen das fremde Genom enthalten. Dabei passiert es in einem von 100.000 Teilungsvorgängen, dass eine der neugebildeten Zellen nur das fremde Genom enthält – es entstehen also einige Mycoplasma-capricolum-Zellen mit Mycoides-Genomen. Wie trennt man die nun von den unveränderen Capricolum-Zellen?

Hierbei hilft den Forschern ein Gen für eine Antibiotika-Resistenz, das sie in das synthetische Genom eingebaut haben. Werden die Mycoplasma-capricolum-Kulturen dem Antibiotikum Tetracyclin ausgesetzt, sterben all die Zellen, denen das Resistenzgen fehlt – nur die mit dem synthetischen Mycoides-Genom überleben. Obwohl M. capricolum und M. mycoides zwei verschiedene Arten sind, ist der Hybrid lebensfähig. Eine „synthetische Zelle“, wie es die Venter-Forscher nennen, ist entstanden.

Mit diesem Verfahren können sie nun synthetische Zellen mit immer kleineren Genomen erzeugen. „In nur einem Laborexperiment können wir eine enorme Anzahl möglicher Genome testen“, sagt John Glass. Auf diese Weise brauchen er und seine Kollegen nur einige Wochen, um herauszufinden, was passiert, wenn sie aus dem natürlichen Mycoides-Genom zum Beispiel zehn Gene entfernt haben.

Dieses Verfahren bis hierhin zu entwickeln, war nicht ganz billig: Etwa 30 bis 40 Millionen Dollar haben verschiedene Investoren dafür aufgebracht. Ein Großteil kam von der von Craig Venter mitgegründeten Firma Synthetic Genomics. Der teuerste Part in dem Verfahren ist die Synthetisierung von DNA-Abschnitten, die heute bei vielleicht 70 Cent pro Basenpaar liegt (im Vergleich zu 1000 Dollar vor zehn Jahren).

„Wegen der hohen Kosten und des Aufwands machen das andere Forschungsgruppen noch nicht“, sagt Gibson. „Ich denke aber, dass durch unsere Arbeit diese Verfahren leichter werden.“ Das sieht auch James Collins von der Boston University so: „Wenn die Kosten runtergehen, werden einige Laborgruppen folgen und im großen Stil Genome synthetisieren. Und wenn sich das Verfahren als nützlich erweist, werden die Kosten noch weiter sinken.“ (nbo)