Durst, ohne Google

Wie die frühen Netz-Nomaden Oasen und Wasserstellen in der digitalen Wüste fanden.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Peter Glaser

Wie war das eigentlich damals in dieser dunklen Vorzeit, als das BRD-Fernsehen nach Mitternacht noch sein Programm mit der Nationalhymne beendete ("Sendeschluss")? Und Telefone noch Telephone hießen und mit runden Wählscheiben ausgestattet waren, in die man seinen Finger stecken und drehen musste? Es gab zwar schon ein Internet, aber noch keine Suchmaschinen.

Wer Anfang der 90er Jahre im Netz etwas finden wollte, musste auf seine Neugierde zurückgreifen – oder auf verstreute Listen. Sie wurden von digitalen Pfadfindern erstellt, die das unwegsame Netz durchstreiften und sammelten, was ihnen besonders gefiel. So konnte man interessante Dinge finden (die man meist gar nicht gesucht hatte). Eine der bemerkenswertesten dieser Listen im frühen Internet hieß "Interesting Devices Connected to the Net", und einer der Einträge darin verwies auf eine Kaffeemaschine in England.

1991, als das World Wide Web gerade einmal eine Handvoll Computer miteinander verband, gab es im Computerlabor der britischen Universität Cambridge eine Gruppe von Netzwerktechnikern, von denen einige im sogenannten Trojan Room im zweiten Stock arbeiteten. Am Gang stand eine Kaffeemaschine von Krups. Die Wissenschaftler, die in anderen Teilen des Gebäudes untergebracht waren, mussten etliche Treppen steigen, um an die Kaffeemaschine zu kommen, und wenn dann kein Kaffee mehr in der Kanne war, war das enttäuschend. Also wurde – innerhalb eines Tages – eine technische Lösung entwickelt: XCoffee. Der Informatiker Quentin Stafford-Fraser befestigte eine Videokamera an einem Retortenstativ neben der Kaffeemaschine und sein Kollege Paul Jardetzky schrieb ein Programm, das alle 20 Sekunden ein aktuelles Bild der Kaffeekanne auf einen Server holte ("Nur Graustufen, wie der Kaffee"). Nun konnte man bequem von überallher den Füllstand der Kaffeekanne checken.

Im Sommer 2001 sollte das Computerlabor umziehen und die Coffee Cam nach einem Jahrzehnt treuer Dienste abgeschaltet werden. Gekränkt stellte die Maschine bereits im Frühjahr die Arbeit ein. Bei einer nachfolgenden Auktion ersteigerte die Online-Redaktion des Hamburger Magazins "Der Spiegel" das Gerät für 3.350 Pfund.

Die Pionierleistungen auf dem Gebiet lagen dagegen bereits ein weiteres Jahrzehnt zurück. Seit den 70er Jahren hatte es in der Abteilung für Informatik an der Carnegie Mellon-Universität in Pittsburgh einen Cola-Automaten gegeben, in dem die Getränke ein paar Cent billiger waren als anderswo auf dem Campus. Da echte Programmierer ohne Koffein nicht funktionieren, war der Automat ziemlich beliebt. In unregelmäßigen Abständen wurde er von Studenten nachgefüllt. Mitte der 70er wurde die Informatik-Abteilung erweitert und etliche Büros an Orte verlegt, die weit von dem Raum entfernt waren, in dem der Cola-Automat stand. Es war frustrierend, drei Stockwerke runterzulaufen, bloß um zu sehen, dass der Automat leer war oder man für sein Geld nur eine warme Cola bekam.

1982 beschlossen die Studenten Mike Kazar, David Nichols, John Zsarnay und Ivor Durham, diesem Zustand mit modernsten Mitteln ein Ende zu bereiten. Sie installierten Sensoren in den sechs Automatenschächten und verkabelten sie mit dem Hauptrechner der Abteilung, einer Maschine namens CMUA. Einer schrieb ein kleines Programm, das anzeigte, wie viele Flaschen Cola in jedem der Schächte lagen, und wie lange sie schon drin waren (das heißt, ob sie auch schon kalt genug waren).

Das Programm benutzte für die Abfrage das Internet-Protokoll, und als das Netz Mitte der 90er Jahre seinen großen Auftritt in der Öffentlichkeit hatte, begannen User aus aller Welt den Füllstand des Cola-Automaten in Pittsburgh abzufragen. Sein Ende kam mit der Einführung der neuen Plastikflaschen, mit denen die alte Maschine nicht umgehen konnte. Sie wurde durch einen neuen Getränkeautomaten ersetzt. Die Cola-Liebhaber an der Carnegie Mellon-Universität hat das so verstimmt, dass sich bis heute keiner dazu durchringen konnte, den neuen Automaten ans Netz anzuschließen. (bsc)