Jenseits von Deepwater Horizon

Die Offshore-Ölförderung ist nur der Beginn der industriellen Erschließung der Tiefsee. Dort soll in den nächsten zwei Jahrzehnten auch der Erzabbau in Gang kommen – ökologisch eine ziemlich heikle Angelegenheit.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Niels Boeing

Über die Katastrophe der Ölplattform "Deepwater Horizon" haben in den vergangenen Wochen viele Zeitgenossen den Kopf geschüttelt. Solch eine Mischung aus Hybris, verkörpert durch den Ölkonzern BP, und gleichzeitiger technischer Unbedarftheit hatte dann doch kaum jemand erwartet. Dass damit das Rennen um die Bodenschätze der Tiefsee bis auf Weiteres gestoppt ist, dürfte aber ein frommer Wunsch bleiben.

Einiges spricht dafür, dass die Industrialisierung des Meeresgrundes demnächst erst richtig losgeht. Mehrere westliche Industrieländer sowie Indien und China, aber auch Öl- und Bergbaukonzerne intensivieren seit einiger Zeit ihre Forschung, um Rohstoffe jenseits der Kontinentalränder abzubauen.

Dabei geht es nicht nur um Öl und Erdgas – unter anderem in Form von Methanhydraten –, sondern auch um seltenere Metalle, ohne die eine grüne Hightech-Gesellschaft nicht denkbar ist. Exemplarisch für die Gemengelage sind für mich die so genannten seltenen Erden, 16 Metalle mit komplizierten Namen wie "Praseodymium", die im Periodensystem die Positionen 57 bis 71 einnehmen. Neodym etwa wird für die Herstellung von Permanentmagneten gebraucht, die für getriebelose Windräder wichtig sind.

Waren die USA bis in die achtziger Jahre noch das Hauptförderland für die seltenen Erden, ist es inzwischen China: Auf das Reich der Mitte entfallen 95 Prozent der Weltjahresproduktion (2008: 139.000 Tonnen). Diese Konzentration wird allmählich zum Problem, denn China hat seit 2002 die Exportquote für seltene Erden bereits um 40 Prozent gesenkt und signalisiert, sie noch weiter zu drosseln.

Gerade für rohstoffarme Nationen wie Deutschland und Japan, die voll auf den Ausbau von Cleantech setzen, ist deshalb der Reiz groß, die seltenen Metalle aus Manganknollen in 4000 bis 5000 Meter Tiefe, polymetallischen Krusten auf unterseeischen Bergrücken und Sulfiderzen an heißen Quellen (schwarzen Rauchern) zu erschließen. Für die großen Bergbau-Konzerne wiederum lockt die Aussicht, das begehrte Kobalt in der Tiefsee statt im politisch instabilen Zentralafrika zu fördern.

Spricht man mit Ausrüstern für Meerestechnik, scheint es nur noch um Detailfragen zu gehen, wie man die Erzvorkommen am Meeresboden fördert. Vor allem bei den Manganknollen im Pazifik lauern aber immense ökologische Probleme, gegen die sich die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko noch als überschaubar erweisen könnte.

Bei ihrer Förderung werden unvermeidlich Sedimente am Meeresgrund aufgewirbelt, die sich aufgrund der Bodenströmung im Pazifik in den gesamten Nordpazifik ausbreiten könnten, wie mir etwa Peter Herzig, Direktor des IFM-Geomar in Kiel, für den Fokus "Meerestechnik" in der Juli-Ausgabe von Technology Review erklärte. Solche eine Ausbreitung von Sedimenten könnte die kleinsten Meeresbewohner, die am Anfang der marinen Nahrungsketten stehen, empfindlich schädigen.

Auch bei manchen Sulfiderz- und Methanhydratvorkommen sind unterseeische Ökosysteme gefährdet. Die Forschung hat sich zwar darauf verständigt, dass eine Förderung nur dort stattfinden soll, wo keine Lebensgemeinschaften beeinträchtigt werden sollen. Schaut man sich aber die Chuzpe an, mit der schon heute Ölkonzerne wie BP vorgehen, kann man nicht davon ausgehen, dass solche Vereinbarungen ohne Wenn und Aber gelten. Erst recht nicht, wenn die Preise für wertvolle seltene Metalle in naher Zukunft kräftig anziehen sollten.

Es stellt sich also die Frage, wie weit wir die industrielle Erschließung der Tiefsee vorantreiben wollen. Der klassische Konflikt ist bereits programmiert: Umweltorganisationen wie der WWF, der die Forderung nach einem Moratorium für die Tiefseeförderung erarbeitet, mahnen einmal mehr das Vorsorgeprinzip an – das die Industrie auch diesmal als fortschrittshemmend kritisieren dürfte.

Fatalistisch muss man deshalb noch nicht werden, denn die Tiefsee ist immerhin kein rechtsfreier Raum jenseits der Hoheitsgebiete mehr. Seit 1994 wacht darüber die Internationale Meeresbodenbehörde ISA (Sitz: Kingston, Jamaika). Ob sie als Bollwerk gegen Totschlagargumente und Ressourcenhunger taugt, muss sich aber erst noch zeigen.

Mehr zum Thema "Meerestechnik" gibt es im Fokus der Juli-Ausgabe von Technology Review, die ab heute portokostenfrei online bestellt werden kann. (nbo)