Bericht: Datensammlung des Schweizer Geheimdiensts ist "nicht gesetzeskonform"

Die Erfassung von Personendaten in einer Datenbank der Schweizer Geheimdienste entspricht "in keiner Art und Weise" den rechtlichen Anforderungen. Dieses Fazit ziehen parlamentarische Kontrolleure in einem Bericht.

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Von
  • Tom Sperlich

Der Schweizer Staatsschutz hat Daten über 200.000 Personen erfasst und diese "nicht gesetzeskonform" verarbeitet. Zu diesem Schluss kommt ein Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des Schweizer Parlaments. Die parlamentarische Oberaufsicht forderte am Mittwoch in Bern den Einsatz eines externer Datenschutzbeauftragten. Der solle nun bestimmen, welche Daten in der Datenbank ISIS (Informatisiertes Staatsschutzinformationssystem) gelöscht oder behalten werden dürfen

GPDel-Präsident Claude Janiak rügte, die Datenbearbeitung sei "nicht gesetzeskonform erfolgt". Bei der Geheimdienstdatensammlung sei vor allem die Pflege und Systematik der Datenbank über Jahre hinweg enorm vernachlässigt worden, bemängeln die parlamentarischen Kontrolleure. Daten von heute 120.000 erfassten Personen "mit eigener Staatsschutzrelevanz" seien nicht richtig überprüft worden, häufig seien falsche Daten eingetragen worden. Um Kontrollen vorzutäuschen seien Daten auch verfälscht worden, heißt es in dem Bericht (PDF) der GPDel.

Rund die Hälfte der 200.000 Datensätze des Nachrichtendiensts seien zudem überhaupt nicht direkt von Belang. Unter den in ISIS gespeicherten Personen sind etwa auch 83.000 sogenannte Drittpersonen, die in der Mehrheit nicht staatsschutzrelevant seien. Ihre Speicherung, so folgert die GPDel, entspreche nicht den rechtlichen Vorgaben. Drittpersonen sind etwa erfasst, weil sie eine Verbindung zu einer registrierten Person oder zu einer Meldung in der Datenbank haben. Vor allem handelt es sich um über 50.000 Personen, die aufgrund der sogenannten Fotopasskontrolle registriert wurden. Im Rahmen dieses präventiven Fahndungsprogramms werden Personen aus einem Dutzend Staaten an der Grenze erfasst, wenn sie in die Schweiz ein- und ausreisen.

Die Mängel bei der Qualitätskontrolle haben nach den Erkenntnissen des Parlaments auch mit einer Umstellung auf ein neues Datenbanksystem zu tun. 2005 wurden die Daten aus dem alten, hierarchisch organisierten ISIS-System in eine relationale Datenbank mit dem Namen ISIS-NT (Neue Technologie) übertragen. Zudem haben die Nachrichtendienste laut GPDel in großem Ausmaß vernachlässigt, die gesetzlich alle fünf Jahre vorgeschriebene Überprüfung vorzunehmen.

Das vernichtende Fazit der parlamentarischen Kontrolleure: Die Datenerfassung entspricht den rechtlichen Anforderungen "in keiner Art und Weise", was "Zweifel an der Richtigkeit und Relevanz der Daten" aufkommen lasse. Die GPDel fordert nun eine provisorische Datensperre aller Daten, die nicht ordnungsgemäss überprüft wurden. Der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte (EDÖB) Hanspeter Thür hatte der GPDel entsprechende Hinweise gegeben. "Die Größenordnung zeigt, dass eine gewisse Eigendynamik entsteht, wenn Amtsstellen verpflichtet werden, Daten zu sammeln", sagte Thür und forderte eine Stärkung der beiden Aufsichtsorgane GPDel und EDÖB.

Mit Blick auf die sogenannte "Fichenaffäre" stellte Janiak zudem fest, dass ein Kulturwandel beim Staatsschutz wohl nicht stattgefunden habe. Die der Affäre den Namen gebende Personenkartei hatte Ende der 1980er Jahre einen der größten politischen Skandale der Schweiz ausgelöst hatte. Dabei stellte sich heraus, dass Bundespolizei und Nachrichtendienst rund 900.000 Personen, Organisationen und Ereignisse bespitzelt hatten. Jeder zwanzigste Schweizer und jeder dritte Ausländer war in der Kartei erfasst, die 1994 von ISIS abgelöst wurde. (vbr)