Anziehend

Vom Rettungshund bis zur Opernsängerin – „anziehbare Computer“ kann jeder brauchen. Für die aktuellen Modelle muss man auch kein Muskelpaket mehr sein, um sie zu tragen.

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Von
  • Diane Sieger
Inhaltsverzeichnis

Bereits 1998 berichteten die Internet-Infos über Wearable Computing als Forschungsgebiet. Angesichts des aktuellen Wissensstandes regt der Text heute eher ein wenig zum Schmunzeln an. Von schweren Laptops und gewichtigen Mobiltelefonen mit Ladeschale ist dort die Rede, so mancher Business-Reisende wurde damals mit einem Extra-Gewicht von bis zu 15 Kilogramm belastet.

Mehr als zwölf Jahre sind seitdem ins Land gegangen, und keine Branche hat sich rasanter entwickelt als die Computer- und Elektronikindustrie. Ein Blick auf den aktuellen Stand des Wearable Computing zeigt, welche Prognosen der damaligen Internet-Infos sich bewahrheitet haben – oder längst übertroffen wurden.

Wikipedia definiert einen Wearable Computer als tragbares Computersystem, das während der Anwendung am Körper des Benutzers befestigt ist. Der Unterschied zu anderen mobilen Systemen besteht darin, dass die hauptsächliche Tätigkeit des Benutzers nicht die Benutzung des Rechners selbst, sondern eine durch den Computer unterstützte Tätigkeit in der realen Welt ist. Ein simples Beispiel ist ein Hörgerät, das vom Nutzer unauffällig getragen wird, und den Hörsinn in Alltagssituationen unterstützt.

Zur Datenerfassung oder um gespeicherte Daten zu nutzen, bieten sich RFID-Tags an, die über elektromagnetische Wellen die automatische Identifizierung und Lokalisierung von Gegenständen und Lebewesen ermöglichen. Unter der Haut platziert erlauben die Chips der eigenen Mieze Zutritt durch die Katzenklappe, während Nachbars rauflustiger Streuner draußen bleiben muss. Auch für Menschen kann der richtige RFID-Tag über Zutritt oder Abweisung entscheiden. Die Fluggesellschaft Air New Zealand nutzt RFID-Technik beispielsweise, um ihren Kunden Eintritt zu den Flughafen-Lounges zu erlauben, sowie für den Check-in. Den Mini-Chip bewahrt man einfach im Geldbeutel auf oder klebt ihn aufs Handy. Bei Bedarf wird er über das RFID-Lesegerät gezogen, wodurch sich das lästige Ausdrucken elektronischer Tickets erübrigt. Ein Video erklärt, wie es geht.

Auch im medizinischen Bereich erweisen sich die „anziehbaren“ Geräte als hilfreich. Insbesondere unter Sportlern gewinnt das System an Bedeutung – das Schweizer Fernsehen hat sich bei Skispringer Simon Amman genau angeschaut, wie der Minisender im Sportanzug funktioniert. Durch die genaue Überwachung von Herzschlag und Körperhaltung gelingt es, seine erfolgreichsten Trainingssprünge unter Wettkampfbedingungen zu reproduzieren.

Was beim Sportler vielleicht zum Weltrekord führt, kann sich bei kranken Menschen lebensrettend auswirken. Etwa durch die Halskette, die ihren Träger dabei unterstützt, verschriebene Medikamente zum vorgegebenen Zeitpunkt einzunehmen. Mit Sensoren versehen, erkennt die Kette, wenn eine magnetisierte Pille oder Kapsel durch die Speiseröhre des Patienten rutscht und leitet die erfassten Informationen an ein Smartphone oder einen Rechner weiter. Vergisst der Patient die Einnahme, kann das medizinische Personal, das die Daten überwacht, ihn daran erinnern.

Wearable Computing kommt im medizinischen Bereich nicht nur bei kranken Menschen zum Einsatz, in der Prävention spielt es ebenfalls eine zunehmend wichtige Rolle. Der Deutschlandfunk berichtete vor wenigen Wochen über den „Anti-Stress-Assistenten“, der sowohl auf Burnout-Faktoren hinweisen als auch dem Schutz gefährdeter Berufsgruppen, beispielsweise Feuerwehrleuten, dienen kann.

Oftmals versteht man unter Wearable Computing in Kleidung integrierte Geräte. Ob funktional oder just for fun, die Möglichkeiten für den Einsatz von Computertechnologie auf und in der Kleidung sind vielfältig. Da wäre zum Beispiel eine Jacke für Radfahrer, die vor dem Abbiegen einen eingebauten Blinker auslöst. Eine Videodemo gepaart mit einer Anleitung zum Nachbasteln motiviert vielleicht den ein oder anderen dazu, die digital angereicherte Jacke selbst auszuprobieren. Auf jeden Fall scheint ein solches Kleidungsstück, das das Unfallrisiko verringert, für den Massenverkauf wie geschaffen.

Manchmal geht es jedoch nicht nur einfach um Funktionen oder Bequemlichkeit, auch in der Kunst findet Wearable Computing ein Publikum. Wie wäre es beispielsweise mit einem Kleid, das auf die Stimme seiner Trägerin reagiert? Eindrucksvoll präsentiert von der Opernsängerin Cary Ann Rosko.

Auch für Tiere gibt es Wearable Computing. Die mit GPS ausgestattete Weste für Rettungshunde beispielsweise spielt so lange Musik, wie der Vierbeiner herumläuft und nach Überlebenden eines Unglücks sucht, und kann so die auf Hilfe Wartenden auf den nahenden Hund aufmerksam machen. Bleibt Bello stehen, erklärt eine Stimme die Funktion des Hundes und erlaubt dem gefundenen Menschen die Aufzeichnung einer Nachricht über ein einfach zu bedienendes Tastaturfeld mit Bildschirm und Videokamera. Nach der Speicherung der GPS-Koordinaten begibt sich das Tier auf den Heimweg, während menschliche Rettungstruppen auf den richtigen Weg geschickt werden.

Wer nun auf den Geschmack gekommen ist und selbst interaktive Kleidung entwerfen möchte, dem sei LilyPad Adruino empfohlen. Hier gibt es eine genau Anleitung für die Nutzung des LilyPad, einer Arduino-Komponente, die für den Einsatz in Kleidung wie geschaffen ist. Damit lässt sich unter anderem der genannte Blinker für Radfahrer implementieren. Im Prinzip sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Wichtig ist aber, die Kreationen nach der Fertigstellung auf Flickr mit anderen Kreativen zu teilen, denn Geheimhaltung eigener Projekte, die mit der Open-Source-Hardware-Plattform Arduino realisiert wurden, ist langweilig.

Inspirierte, denen das bisschen Basteln im eigenen Wohnzimmer nicht ausreicht und die sich intensiver mit Wearable Computing und der Theorie dahinter auseinandersetzen möchten, sollten eine Teilnahme am „International Symposium of Wearable Computing“ in Erwägung ziehen. Die Veranstaltung findet in diesem Jahr bereits zum dreizehnten Mal statt, Veranstaltungsort im Oktober 2010 ist die koreanische Hauptstadt Seoul. (ka)