Mit oder ohne?

Bereits in der PC-Frühzeit traten zwei unterschiedliche Stämme gegeneinander an. Es ging nicht um Betriebssysteme, sondern um Gehäuse.

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Von
  • Peter Glaser

Es war heiß. Die Sonne kam hinter einer laptopgrauen Wolke raus und leuchtete auf meinen Rechner. Er schimmerte. Er sah gut aus. Es war ein weiter Weg dahin gewesen. Mein erstes Modem fiel mir ein, das mir ein Freund aus dem Chaos Computer Club Anfang der 80er Jahre gebaut hatte. Ein Modem bedeutete damals fantastischen Fortschritt. Es stellte die Verbindung zum Telefonnetz und anderen Computern ganz von selbst her, liebe Kinder, ohne Wählscheibengekurbel und unter heiserem Pfeifen.

Leider – aus meiner Sicht jedenfalls – hatte das Modem kein Gehäuse. Es bestand aus einer grünen Leiterplatte, auf der sich ein ungaubliches Gewöll von handgelöteten Kabelverbindungen türmte. Vorn ragten zwei Riesenleuchtdioden hoch, wie die Fühler einer außerirdischen Garnele. Vic, der das Modem für mich gebaut hatte, liebte solche Jumbo-LEDs. Seinen Hackernamen Vic hatte er von einem der ersten Homecomputer übernommen, dem Commodore VC-20 (der eigentlich VIC-20 hieß, aber um die zweideutige Aussprache zu vermeiden, im deutschsprachigen Raum in VC-20 umbenannt worden war). Ich fragte Vic, ob er mir nicht ein Gehäuse um das Modem herum machen könnte.

Gehäuse? Mein Ansinnen befremdete ihn. Man konnte doch alles so schön sehen ohne Gehäuse. Und man konnte sofort weiter herumbasteln, wenn einem wieder etwas zur technologischen Verbrilliantierung des Ganzen einfiel. Gehäuse waren uncool, der Vorwurf stand jedenfalls im Raum. Wenn das Ding hier liegt, sagte ich, habe ich das Gefühl, da liegt ein Freund mit geöffneter Bauchdecke.

Mit den Gehäusen war es in den frühen Jahren der PC-Ära wie mit den Verkleidungen der Menschen. Es gab zwei Stämme. Die Mitglieder des einen Stamms, die sogenannten Schrauber, hatten gerne alles möglichst offenliegend. Sie waren wie Urwaldindianer, die nackt bis auf Blasrohr und Penis-Köcher durch den Dschungel flitzen, ohne unnötigen Ballast. Die Mitglieder des anderen Stammes kann man mit missionierten Indianern vergleichen, denen bereits erfolgreich nahegelegt worden war, Kleidung zu tragen. Wobei die Verkleidung damals keine Frage der Ästhetik war. Es gab keine schönen Gehäuse, nur unterschiedlich hässliche. Großrechner waren hässlich, um ihre Männlichkeit angemessen zum Ausdruck zu bringen. Hammerschlaglackierte Blechkästen, die sich widerstandlos öffnen ließen, umtost vom kraftvollen Geräusch von Kettendruckern.

Frauen, die Nylons trugen, wurden in Rechenzentren nicht gern gesehen, da sie (die Strümpfe) sich reibungselektrisch aufluden und die empfindliche Elektronik störten. PCs galten als Spielzeug, das nicht ernst zu nehmen war. Die Hersteller der kleinen Rechner mühten sich also nach Kräften, durch möglichst hässliche Gehäuse Erwachsensein zu signalisieren. And here we are now: Der Laptop schimmerte immer noch, cool und ein bisschen matter, da die Sonne wieder hinter der Wolke verschwunden war. Ich ging mir eine Limonade holen. (bsc)