"Die Frage ist, ob das auch für unser Universum gilt"

Der Physiker Heinrich Päs spricht im TR-Interview über Theorien jenseits des Standardmodells und die Frage, ob Zeitreisen möglich sind.

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Von
  • Udo Flohr

Dieser Text ist der Print-Ausgabe 06/2010 von Technology Review entnommen. Das Heft kann, genauso wie die aktuelle Ausgabe, hier online portokostenfrei bestellt werden.

Der Physiker Heinrich Päs spricht im TR-Interview über Theorien jenseits des Standardmodells und die Frage, ob Zeitreisen möglich sind.

Päs lehrt theoretische Hochenergie- und Astroteilchen-Physik an der TU Dortmund. Seine Forschungsschwerpunkte sind Neutrinos und Theorien jenseits des Standardmodells.

Technology Review: Professor Päs, halten Sie Zeitreisen für denkbar?

Heinrich Päs: Ja. Im Jahr 1949 machte der Mathematiker Kurt Gödel Albert Einstein ein unverhofftes Geburtstagsgeschenk: eine Lösung für die Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie.

TR: Das bedeutet was?

Päs: Diese Lösung beschreibt auch ein Universum, das Zeitreisen zulässt. Allerdings ist nicht bekannt, ob diese Lösung auch für unser Universum gilt. Offen bleibt daher auch die Frage von Stephen Hawking, warum bisher keine Touristenströme aus der Zukunft unsere Städte überschwemmt haben.

TR: Welche Voraussetzungen müssten erfüllt sein, damit das möglich ist?

Päs: Teilchenphysiker diskutieren seit circa zehn Jahren die Existenz von zusätzlichen Dimensionen außerhalb der drei Raumdimensionen und der Zeit. Sie müssten auf eine besondere Art gekrümmt sein, um Zeitreisen zu erlauben. Extra-dimensionen werden in der Stringtheorie vorhergesagt. Es wäre durchaus möglich, dass fast unsere gesamte Alltagswelt in drei Dimensionen gefangen ist, während die Gravitation und exotische Elementarteilchen sich in zusätzlichen Dimensionen ausbreiten können.

TR: Was für Teilchen wären das?

Päs: Zum Beispiel Neutrinos – superleichte und -flüchtige Elementarteilchen. Sie müssten in sogenannte "sterile Neutrinos" verwandelt werden, die noch flüchtiger wären. Solche Teilchen würden sich in den Extradimensionen ausbreiten und könnten als Medium für Nachrichten in die Vergangenheit dienen.

TR: Kann man auch Menschen auf Zeitreisen schicken?

Päs: Wollte man Menschen in Neutrinos kopieren und dann in die Vergangenheit schicken, erforderte das noch viel weitergehende wissenschaftlich-technische Revolutionen. Die ersten Zeitreisenden wären daher mit Sicherheit Elementarteilchen, keine Menschen.

TR: Aber prinzipiell wäre es möglich, auch Menschen zu schicken?

Päs: Das wissen wir nicht. Selbst das Schicken von Nachrichten kann bereits zu Paradoxien führen. Man könnte zum Bei-spiel, nachdem man sein nagelneues Auto zu Schrott gefahren hat, sich selbst eine Warnung in die Vergangenheit schicken. Konsequenz: Man bricht nicht auf, man hat keinen Unfall, man schickt die Nachricht nicht, man erhält keine Nachricht, man bricht auf, hat doch einen Unfall und so weiter...

Solche Paradoxien sind der Grund dafür, dass die meisten Physiker vermuten, irgendetwas verhindere Zeitreisen. Aber sicher ist das absolut nicht. Die Physik hat uns in der Vergangenheit oft mit scheinbaren Paradoxien genarrt und dann doch eine Lösung parat gehabt: Gleichzeitigkeit ist subjektiv, die strikte Kausalität gibt es nicht mehr, und Uhren gehen langsamer, wenn man sich bewegt. Es ist nicht undenkbar, dass uns auch die Physik der Zeitreise wieder verblüfft.

Mehr Antworten:

Rüdiger Vaas: "Zeitreisen durch höhere Dimensionen", Bild der Wissenschaft, Mai 2010, Seite 64

Heinrich Päs, Sandip Pakvasa, James Dent, Thomas J. Weiler: "Closed timelike curves in asymmetrically warped brane universes", Phys.Rev.D80:044008,2009, März 2006. E-Print: gr-qc/0603045 (bsc)