Zellen mit Gedächtnis

Eine Harvard-Studie versetzt dem Optimismus der Stammzellforschung einen Dämpfer: Aus Körperzellen gewonnene Stammzellen lassen sich nicht gleich gut in beliebige andere Gewebearten verwandeln.

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Von
  • Lauren Gravitz

Eine Harvard-Studie versetzt dem Optimismus der Stammzellforschung einen Dämpfer: Aus Körperzellen gewonnene Stammzellen lassen sich nicht gleich gut in beliebige andere Gewebearten verwandeln.

Für alle, denen die Nutzung embryonaler Stammzellen ethische Probleme bereitet, schien die Forschung zuletzt eine gute Richtung zu nehmen: Verschiedene Forschungsgruppen konnten zeigen, dass sich ausdifferenzierte Körperzellen in Stammzellen zurückverwandeln lassen. Die können sich dann zu verschiedenen Zellarten weiterentwickeln. Eine Entdeckung von Harvard-Biologen trübt das schöne Bild nun: Die so genannten induzierten pluripotenten Stammzellen (IPS) behalten Informationen darüber, aus welchem Gewebe sie einst erzeugt wurden. Diese Entdeckung, von den Forschern in Nature publiziert, könnte die Eignung von IPS für manche Stammzellanwendungen in Frage stellen.

Seit es 2007 den Stammzellforschern Shinya Yamanaka vom Gladstone Institute in San Francisco sowie James Thomson und Junying Yu an der Universität von Wisconsin gelungen war, Körperzellen chemisch zu IPS umzuprogrammieren, hat die Technik in viele Labore Einzug gehalten. Zwar haben IPS in zahlreichen Tests ihre Fähigkeit zur Pluripotenz bewiesen. Aber die hat ihre Grenzen, wie Biologen um George Daley von der Harvard University zeigen konnten.

Sie entnahmen Mäusen Blutzellen und verwandelten diese in IPS. Während sich aus den Stammzellen normale Blutzellen formen ließen, entwickelten sie sich jedoch zu qualitativ schlechteren Knochenzellen. Dasselbe Ergebnis bei IPS aus Knochenzellen: Die ergaben zwar gute Knochenzellen, aber schlechte Blut- oder Nervenzellen.

Daleys Team verglichen auch Maus-IPS mit Stammzellen, die durch einen Austausch des Zellkerns erzeugt wurden – eine Technik, mit deren Hilfe schon das Schaf Dolly geklont worden war. Dabei zeigte sich, dass die chemische Umprogrammierung Körperzellen nicht ganz so gründlich in Stammzellen verwandelt wie ein Zellkern-Transfer. Der Grund: IPS bewahren die chemischen Veränderungen der DNA, die ein Organismus im Laufe der Zeit ansammelt. Dabei handelt es sich um Anlagerung von Methyl-Gruppen an das Doppelhelix-Molekül, die die Ausprägung von Genen beeinflussen können. Der Zellkern-Transfer hingegen macht hinsichtlich dieser „epigenetischen“ Änderungen tabula rasa: Die neu entstandene Stammzelle enhält keine chemischen „Erinnerungen“ an ihr früheres Dasein.

Für die Forschung ist dies eine schlechte Nachricht. Viele Gruppen haben inzwischen IPS-Sammlungen aus den Hautzellen von Patienten angelegt. Aus den Stammzellen wollen sie Gewebe herstellen, das von bestimmten Krankheiten betroffen ist, um so den molekularen Verlauf des Leidens besser zu verstehen. Im Falle einer neurologischen Krankheit wie Parkinson müssten die Stammzellen in Nervenzellen umprogrammiert werden. Wenn nun aber aus Haut-basierten IPS nur schlechte Nervenzellen erwachsen, könnten deren Defekte die Merkmale von Parkinson überlagern. Für die Forschung wäre also nicht viel gewonnen.

Für die Herstellung von Ersatzgewebe könnte die Studie der Harvard-Biologen hingegen nützlich sein. „Es hat sich als sehr schwierig erwiesen, IPS zu anderen Zellarten zu differenzieren“, sagt George Daley. Wenn aber IPS sich leichter in den ursprünglichen Zelltyp entwickeln lassen, könnte man den bevorzugt als Ausgangsmaterial nehmen. Neue Knochenzellen würde man dann aus IPS herstellen, die ihrerseits aus Knochenzellen entstanden sind und nicht aus Blut- oder Hautzellen.

Eine zweite Studie von Harvard-Biologen, veröffentlicht in Nature Biotechnology, zeigt außerdem, dass die genetische Erinnerung allmählich schwächer wird. Je häufiger sich neue Zellen, die aus IPS stammen, teilen, desto mehr gehen die molekularen Spuren der Vergangenheit verloren. „Nach Hunderten bis Tausenden von Zellteilungen verschwindet die Erinnerung anscheinend“, sagt Stammzellforscher Konrad Hochelinger, der die Studie geleitet hat. „Die Zellen werden ununterscheidbar.“ Einziger Haken: Im Verlaufe vieler Zellteilungen können genetische Mutationen auftreten, so dass dieser Ansatz nicht die beste Lösung ist, um die molekulare Erinnerung von Zellen auszulöschen.

Beide Studien zeigen auf jeden Fall: Auf die Stammzellforscher wartet noch viel Arbeit, um die IPS wirkliche zu verstehen. „Wir sollten den Zellkern-Transfer weiter untersuchen, und wenn es nur hilft, um herauszufinden, wie die Natur selbst Zellen programmiert“, rät Evan Snyder, Leiter der Stammzellforschung am kalifornischen Sanford-Burnham Medical Research Institute. Allerdings ist der Transfer von Zellkernen ein vertracktes Verfahren, das in menschlichen Zellen noch nicht gelungen ist. Als Forschungswerkzeug spielte es zuletzt kaum noch eine Rolle: Wegen der vielversprechenden IPS-Technologie haben die meisten Labore es ad acta gelegt. Das könnte sich nun wieder ändern.


Die beiden Paper:

Kim, K. et al., „Epigenetic memory in induced pluripotent stem cells“, Nature, Online-Veröffentlichung, 19.7.2010.

Polo, J. et al., „Cell type of origin influences the molecular and functional properties of mouse induced pluripotent stem cells“, Nature Biotechnology, Online-Veröffentlichung, 19.7.2010. (nbo)