An der Grenze zur Scharlatanerie

Widersprüchliche Ergebnisse, fragwürdige Auskünfte, unhaltbare Versprechen: Eine Studie des US-Rechnungshofes stellt Anbietern von persönlichen Gentests ein schlechtes Zeugnis aus.

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Von
  • Emily Singer

Widersprüchliche Ergebnisse, fragwürdige Auskünfte, unhaltbare Versprechen: Eine Studie des US-Rechnungshofes stellt Anbietern von persönlichen Gentests ein schlechtes Zeugnis aus.

Zeig mir deine Gene, und ich sag dir, ob du krank wirst. Nach diesem Motto haben in den vergangenen zwei Jahren zahlreiche Firmen wie 23andme oder Navigenics begonnen, in den USA bezahlbare Gentests für jedermann anzubieten. Eine Studie des US-Rechnungshofes GAO geht nun mit den Anbietern hart ins Gericht: Verbraucher könnten durch die Gentests verwirrt werden, und die Ergebnisse fielen so unterschiedlich aus, dass sie „wenig bis gar keinen Nutzen“ hätten.

Bereits seit einiger Zeit versuchen der US-Kongress und die US-Arzneimittelzulassungsbehörde FDA, das neue Geschäftsfeld stärker zu regulieren. Verbraucher erhoffen sich von den Tests Klarheit darüber, ob ihre Gene ein erhöhtes Krankheitsrisiko mit sich bringen. „Das Problem an der Vermarktung der Tests ist, dass unklar bleibt, ob die wissenschaftlichen Entwicklungen der Humangenetik tatsächlich helfen, die Gesundheitsversorgung zu verbessern und zu individualisieren“, beklagte der kalifornische Abgeordnete Henry Waxman vergangenen Donnerstag in einer Kongressanhörung zu dem Thema.

Die Ergebnisse der GAO-Studie sind zum Teil schockierend. Sie beruhen auf Telefonaten von fiktiven Kunden mit 15 Unternehmen, die persönliche Gentests anbieten. In den Gesprächen fragten die Ermittler nach der Zuverlässigkeit der Tests, nach Versicherungspolicen oder Lebensmitteln und anderen Produkten, die zum individuellen Genom passen würden. Die Aufzeichnungen enthüllen unbegründete oder gar medizinisch unsinnige Ratschläge: Laut der GAO-Studie behaupteten mindestens vier Firmen, die DNA des Verbrauchers lasse sich für personalisierte Therapien oder Lebensmittelzusätze nutzen. Zwei Firmen scherten sich nicht darum, dass „eine möglicherweise illegale Untersuchung von DNA ohne Zustimmung“ des Betroffenen verlangt wurde. Zehn der 15 Firmen wiederum vermarkteten die Tests in einer Art und Weise, die teilweise an Betrug grenze.

Sowohl Kongressabgeordnete als auch Firmenvertreter zeigten sich in der Anhörung bestürzt, nachdem sie die Aufzeichnungen der fiktiven Kundenanrufe gehört hatten. Allerdings versicherten beide Seiten, das medizinische Potenzial der Tests sei groß, und es wäre bedauerlich, wenn unseriöse Geschäftemacher eine ganze Branche in Misskredit brächten.

In den vergangenen drei Jahren sind die neuen Gentests kaum reguliert worden. Sie kosten zwischen 100 und 1000 Dollar und können online bestellt werden. In den Tests untersuchen die Firmen die DNA eines Kunden auf bekannte genetische Variationen, die die Forschung als Hinweis auf ein erhöhtes Risiko bei bestimmten Krankheiten identifiziert hat.

Ärzte und Wissenschaftler haben allerdings von Anfang an die Aussagefähigkeit der Tests für die Gesundheit in Frage gestellt. Obwohl viele der Firmen darauf hinweisen, dass sie keine medizinische Dienstleistung anbieten – um einer Zulassung durch die FDA zu entgehen –, versprechen sie in ihren Werbeinformationen doch eine Verbesserung der Gesundheit.

Das GAO schickte zusätzlich auch DNA-Proben von fünf Testpersonen an die Firmen 23andme, Navigenics, Pathway Genomics und DeCode. Diese würden als die „vier seriösesten Anbieter der Branche angepriesen“, sagt Gregory Kutz, der die Sonderuntersuchungen des GAO leitet. Jede der DNA-Proben wurde einmal mit korrekten Angaben zu Alter und ethnischer Zugehörigkeit verschickt und einmal mit falschen. Die GAO-Ermittler riefen dann inkognito die Firmen an, um ihre Testergebnisse zu besprechen.

Alle „Testpersonen“ hätten widersprüchliche Ergebnisse bekommen, sagt Kutz. Unter den eingeschickten DNA-Proben war auch seine eigene: Er fand heraus, dass er – je nach Anbieter – ein vermindertes, ein durchschnittliches oder ein erhöhtes Risiko für Prostatakrebs hatte. „Meines Erachtens zeigen die Ergebnisse, dass diese Tests noch nicht ausgereift sind“, konstatiert Kutz.

Für alle, die das Gebiet aufmerksam verfolgt haben, dürfte das keine Überraschung sein. Bereits im vergangenen Jahr war der Genforscher Craig Venter im Wissenschaftsjournal Nature zu einem ähnlichem Schluss gekommen. Frances Collins, Leiter der US-Gesundheitsbehörde NIH, hatte für sein Buch „The Language of Life“ ebenfalls verschiedene Anbieter getestet und vergleichbare Erlebnisse gehabt wie die GAO-Ermittler.

Die Unterschiede der Testergebnisse rühren von verschiedenen Algorithmen her, mit denen die Anbieter die DNA analysieren. Sie berücksichtigen zum Teil unterschiedliche Genvarianten. Ashley Gould, Anwalt von 23andme, räumte in der Kongressanhörung denn auch ein, dass die Branche Standards brauche, um das Risiko für den Ausbruch einer Krankheit zu berechnen. Die Firma hatte sich hierfür bereits vor der GAO-Untersuchung an die FDA und die NIH gewandt.

Der Großteil der Testergebnisse sei aber in Ordnung und identifiziere verdächtige Genvariationen korrekt, erklärten Jeff Shuren, Direktor des Center for Devices and Radilogical Health der FDA, und James Evans, Genetiker an der Universität von North Carolina, in der Anhörung. Das Problem sei die Risikoberechnung. „Niemand weiß, wie man die Daten interpretieren soll“, sagte Evans. Die FDA nimmt nun eine umfangreiche Regulierung von Labortests in Angriff. Dabei wird es auch darum gehen, Kriterien für die klinische Aussagekraft solcher Tests festzulegen.

Der GAO-Report zeigt zudem, dass die Gentest-Anbieter Probleme mit Kunden afrikanischer oder asiatischer Abstammung haben. Weil die Genforschung vor allem auf Genmaterial europäischer Herkunft basiert, ist nicht klar, wie aussagekräftig Befunde für Angehörige mit einem anderen ethnischen Hintergrund sind. Die Firmen weisen auf ihren Webseiten und in Broschüren auf diese Schwierigkeit zwar hin. Sie hätten sich dazu aber nicht geäußert, wenn man die Tests bestelle und bezahle, sagt GAO-Ermittler Kutz.

Einige Anbieter haben sich darüber beklagt, dass sie in dem GAO-Bericht mit nicht näher bezeichneten unseriösen Firmen in einem Atemzug genannt werden. Die renommierten Branchenführer schneiden im Vergleich jedoch nicht unbedingt besser ab. In einer Telefonaufzeichung sagt beispielsweise ein Vertreter von Pathway, es sei in Ordnung, wenn der Kunde heimlich eine DNA-Probe von seiner Verlobten nehme, um diese als Geschenk analysieren zu lassen. Das ist jedoch in 33 amerikanischen Bundesstaaten illegal.

Eine Ermittlerin erkundigte sich, ob der Befund eines erhöhten Brustkrebs-Risikos bedeute, dass die Krankheit definitiv ausbreche. Die Antwort eines Vertreters von Navigenics lautete daraufhin: „Bei Ihnen wäre, sozusagen, das Risiko groß, dass sie Brustkrebs bekommen.“ (nbo)