Volte im Orbit

Der US-Kongress fährt Obama-Regierung und Industrie in die Parade: Das Budget für die Entwicklung eines kommerziell betriebenen Raumtransport-Systems soll drastisch gekürzt – und Teile des Constellation-Programms wiederbelebt werden.

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Von
  • Jeff Foust

Der US-Kongress fährt Obama-Regierung und Industrie in die Parade: Das Budget für die Entwicklung eines kommerziell betriebenen Raumtransport-Systems soll drastisch gekürzt – und Teile des Constellation-Programms wiederbelebt werden.

Ein Kernstück der neuen amerikanischen Raumfahrtstrategie sind private Dienstleister. Da die Tage des Space Shuttle gezählt sind, sollen Unternehmen für die NASA den Transport von Astronauten in die niedrigen Umlaufbahnen, etwa zur Internationalen Raumstation ISS, übernehmen. Doch nun droht der US-Kongress das gesamte Konzept wieder auf den Kopf zu stellen.

Vor sechs Monaten hatte die Obama-Regierung einen Budget-Entwurf vorgelegt, der bis 2015 sechs Milliarden Dollar vorsieht, um die Entwicklung privater Raketensysteme zu unterstützen. Die Kongress-Vorschläge, die nun auf dem Tisch liegen, stutzen diesen Betrag drastisch – im schlimssten Fall würden nur fünf Prozent übrigbleiben.

Dabei ist die NASA dringend auf private Raumfahrt-Unternehmen angewiesen, um den Personentransport zur ISS aufrecht erhalten zu können, wenn das Space Shuttle im Februar 2011 außer Dienst geht. Die Unternehmen wiederum können die Entwicklungskosten für neue Raketen, die in die Hunderte Millionen bis Milliarden Dollar gehen, nur mit Hilfe der NASA stemmen.

Die Industrie für den ISS-Pendelverkehr einzuspannen, war eigentlich eine der wesentlichen Empfehlungen des so genannten Augustine-Komitees gewesen, das im vergangenen Jahr das bemannte Raumfahrtprogramm der NASA einer kritischen Revision unterzogen hatte. Mehrere Firmen hatten sich daraufhin mit eigenen Konzepten für den Transport von Astronauten beworben.

„Alle waren sich einig, dass ohne Unterstützung der Regierung keine Aussicht besteht, die Investitionen wieder hereinzubekommen“, sagte Phil MacAlister auf der Konferenz NewSpace 2010. McAlister war leitender Direktor des Augustine-Komitees und arbeitet derzeit für die NASA an kommerziell betriebenen Lösungen für den Crew-Transfer in den Orbit.

Den kaufe die NASA schon jetzt auf Sojus-Raketen der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos ein, bemerkte Mark Sirangelo, Vorsitzender der Commercial Spaceflight Federation, bei einer Podiumsdiskussion. Und fragte: „Kann die US-Industrie nicht selbst das leisten, wofür wir jetzt Verträge mit den Russen abschließen müssen?“

Firmen wie SpaceX oder Sierra Nevada Corporation – die Sirangelo gehört – könnten bei Budget-Einschnitten gezwungen sein, ihre Entwicklungsprogramme einzustellen. Selbst große Unternehmen dürften sich schwer tun, die Entwicklung weiter zu finanzieren.

Auf der Farnborough International Airshow in England stellte etwa der Luft- und Raumfahrtkonzern Boeing vergangene Woche seine Pläne für die Astronauten-Kapsel CST-100 vor. Boeing ist dabei in der relativ komfortablen Lage, neben der NASA mit Bigelow Aerospace einen weiteren potenziellen Kunden zu haben. Die Firma des US-Milliardärs Robert Bigelow will private Raumstationen in der Erdumlaufbahn errichten und hat bereits zwei kleine Prototypen entwickelt. „Mit dem Geld im Rücken, das uns die NASA in Aussicht gestellt hat, können wir das andere Geschäft abschließen“, sagte Boeing-Manager John Elbon in Farnborough. Ohne das NASA-Geld sehe es hingegen schlecht aus.

Nach dem Beschluss des Handelsausschusses des US-Senats am 15. Juli sieht es zumindest nicht gut aus: Der hat das Gesetz über die NASA-Finanzierung für 2011 bis 2013 zwar gebilligt – für die kommerzielle bemannte Raumfahrt gibt der Ausschuss in diesem Zeitraum aber nur 1,3 Milliarden Dollar frei statt der von der Obama-Regierung geforderten 3,3 Milliarden.

Der Ausschuss für Wissenschaft und Technik im US-Repräsentantenhaus, der über das Gesetz eine Woche später beriet, will noch weniger bewilligen: 150 Millionen Dollar in den kommenden drei Jahren für die Entwicklung neuer Transportsysteme selbst und 300 Millionen Dollar für Kreditbürgschaften, damit die privaten Raumfahrtfirmen sich anderswo eine Finanzierung besorgen können.

Das eingesparte Geld wollen Senat und Repräsentantenhaus lieber in die Entwicklung NASA-eigener Raumfahrzeuge stecken – die im ursprünglichen Budget-Entwurf des Weißen Hauses gar nicht enthalten sind. Pikant daran ist, dass die Vorschläge an das Constellation-Programm von 2004 erinnern, das eine Rückkehr zum Mond vorsah und von Präsident Obama im Februar endgültig gestoppt worden war.

Der Senat möchte bis 2013 6,9 Milliarden Dollar in ein „Space Launch System“ stecken, eine Schwerlastrakete, die mindestens 70 Tonnen Material in den Orbit bringen soll. Weitere 3,9 Milliarden Dollar sollen in eine neue Raketen-Kapsel für den Transport von Astronauten gehen. Dabei gehörte zum Constellation-Programm die Orion-Kapsel, an der bereits mehrere Jahre gearbeitet worden war.

Das Repräsentantenhaus plant gar 13,2 Milliarden Dollar ein: Sie sollen die Entwicklung einer Kapsel und einer neuen Trägerrakete finanzieren. Letztere soll an die Ares-I-Rakete angelehnt sein. Auch deren Bau wurde mit dem Aus für das Constellation-Programm gestoppt.

Die Abgeordneten bemühten sich allerdings, die Gesetzesänderungen als Kompromiss zwischen dem Constellation-Programm und den Vorschlägen der Obama-Regierung darzustellen. Dabei betonten sie, dass es ihnen darum gehe, die technische Entwicklung und kommerzielle Lösungen zu stärken. „Das Ziel war, die Führungsrolle der USA in der Erkundung des Weltraums zu bewahren und möglichst viele Arbeitsplätze in der Raketenindustrie zu erhalten“, sagt Bill Nelson, demokratischer Senator aus Florida und Vorsitzender des Unterausschusses für Weltraumangelegenheiten im Handelsausschuss des Senats.

Die Verfechter privatwirtschaftlicher Crew-Transportsysteme bereiten sich nun auf eine lange Schlacht vor, wenn Repräsentantenhaus und Senat die Gesetzesvorlagen ihrer jeweiligen Ausschüsse beraten. Hinzu kommen Zusatzgesetze für die Finanzierung der Summen, die in den Budget-Entwürfen aufgeführt sind.

Jim Muncy, Präsident der Raumfahrt-Lobbyfirma PoliSpace, geht davon aus, dass eine endgültige Gesetzesvorlage erst nach den Kongress-Wahlen im November zustande kommen wird. „Die gute Nachricht ist, dass der Kampf um das Raumfahrt-Budget noch nicht verloren ist“, sagte er auf der NewSpace 2010. „Der Kampf hat wohl noch nicht einmal begonnen.“

(nbo)