NASA, Mord und Datenschutz

Erstaunlich genug, dass Raumfahrtspezialisten den entscheidenden Beitrag zur Aufklärung eines seit fast 20 Jahren ungelösten Verbrechens lieferten. Aber das Ganze reicht auch noch auf verhängnisvolle Weise in die Zukunft.

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Von
  • Peter Glaser

Erstaunlich genug, dass Raumfahrtspezialisten den entscheidenden Beitrag zur Aufklärung eines seit fast 20 Jahren ungelösten Verbrechens lieferten. Aber das Ganze reicht auch noch auf verhängnisvolle Weise in die Zukunft.

Es geht heute um Datenschutz, dazu muss ich als zunächst eine bemerkenswerte Geschichte erzählen: Die NASA hat der Staatsanwaltschaft des Distrikts Santa Clara, in dem unter anderem das Silicon Valley liegt, zur Aufklärung eines seit 18 Jahren ungelösten Mordfalls verholfen. Die ungewöhnliche Schützenhilfe, die Anfang Juli zur Lösung des "Cold Case" führte, kam in Zusammenarbeit mit dem Carnegie Mellon Innovations Lab (CMIL) und der United States Geological Survey (USGS) – einer wissenschaftlichen Abteilung des Innenministeriums – zustande.

Das Team brachte einen Senseta MAX 5.0A-Rover zum Einsatz, ein autonomes Landfahrzeug in der Art der Marsrover, das die magnetischen Verhältnisse im Boden eines weitläufigen unbebauten Grundstücks in der Stadt Alviso untersuchen sollte, das früher als Müllplatz Verwendung gefunden hatte. Gesucht wurden möglicherweise vergrabene Fahrzeugteile und eine Leiche. Spezielle Algorithmen, die von Mitarbeitern der NASA und des CMIL entwickelt worden waren, die Geländedaten der USGS sowie die kleine Senseta-Maschine führten dazu, dass die gesuchten Beweisstücke gefunden und der Fall gelöst werden konnte.

1991 hatte ein gewisser Bernado Bass eine Frau namens Dawn Sanchez erschossen, im Lauf der Ermittlungen konnten aber weder eine Pistole noch eine Leiche gefunden werden. Auch das Auto von Bass, in dem Sanchez zuletzt gesehen worden war, blieb verschwunden. Ende 1991 mussten die Ermittlungen wegen Mangels an Beweisen eingestellt werden. Der Fall kam vor einiger Zeit wieder in Gang, nachdem ein Informant behauptet hatte, der Wagen sei zerlegt und in einer Müllkippe in Alviso vergraben worden. Den genauen Ort konnte er aber nicht angeben und die ganze Müllkippe umgraben zu lassen, wäre zu teuer gewesen. Dazu kam, dass auf dem Gelände auch jede Menge Schrott abgelagert worden war, was die Suche mit normalen Metalldetektoren obsolet machte.

Also bat der Staatsanwalt bei der USGS um Expertise, wo man sich wiederum an die NASA wandte. Die USGS-Leute wussten, dass die NASA ein magnetfeldsensibles Bodenradar entwickelt hatte, das für geowissenschaftliche Zwecke gedacht war. Es stammte von der Firma Senseta, die auf unbemannte intelligente Systeme spezialisiert ist. Damit konnte eine Karte der magnetischen Verläufe im Boden und damit der wahrscheinlichen Fundorte von Auto-Metallteilen erstellt werden. Auf Basis der Karte ordnete der Staatsanwalt Grabungen an und man fand Teile des gesuchten Fahrzeugs. Am 29 August 2009 wurde Bernardo Bass vor Gericht mit den neuen Beweisen konfrontiert und bestritt die Vorwürfe der Anklage. Er wurde wegen Totschlags zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt.

Was mich bei dieser Geschichte sofort auf die Frage des Datenschutzes gebracht hat, ist die Tatsache, dass mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden wie der verfeinerten DNA-Analyse oder der NASA-Magnetfeldkarte inzwischen immer öfter zum Teil Jahrzehnte zurückliegende Kriminalfälle gelöst werden können. Das dient der Gerechtigkeit – aber niemand weiß heute, welche Möglichkeiten der Datenerschließung in den kommenden Jahren zur Verfügung stehen werden und in welchem Ausmaß wir durch sie verraten und verkauft werden könnten.

Auch wenn wir vielleicht gar nichts Unrechtes getan, sondern einfach nur hier und da im Netz Daten hinterlassen haben, könnte uns diese Technik treffen. Manchmal reichen schon wirtschaftliche Probleme, um den Schutz hochsensibler Datenbestände aufzuheben. Vor zwei Jahren stieg Anne Wojcicki, die Ehefrau von Sergej Brin, in das Geschäft mit privaten Gentests ein. Man kann sich von ihrer Firma 23andMe das eigene Genom entschlüsseln lassen – allerdings mit zweifelhaftem Aussagewert. Zur selben Zeit wie 23andMe startete die isländische Firma deCODEme mit einem gleichartigen Angebot. Im November 2009 musste das an der amerikanischen Technologiebörse NASDAQ notierte Unternehmen allerdings Insolvenz anmelden. Was mit den vorhandenen persönlichen DNA-Daten von deCODEme passieren wird, ist unklar – möglicherweise werden sie im Zuge des Insolvenzverfahrens versteigert. (bsc)