Nach Streit um Sicherungsverwahrung: Debatte um Internet-Pranger für Schwerkriminelle

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft rennt mit seiner Forderung nach einem Internet-Pranger für Schwerkriminelle bei manchen Politikern offene Türen ein. Die Gewerkschaft der Polizei dagegen lehnt den Vorschlag ab. Die Debatte ist aber hierzulande nicht neu, und in den USA wurden bereits Erfahrungen mit Internet-Prangern gesammelt.

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Von
  • Jürgen Kuri

Rainer Wendt ist nicht gerade für Zurückhaltung bekannt. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), mit rund 80.000 Mitgliedern die kleinere Gewerkschaft für Polizeiangehörige neben der Gewerkschaft der Polizei (GdP) mit rund 170.000 Mitgliedern, bezeichnete das Internet schon einmal als "größten Tatort der Welt". Nun möchte er dieses Internet dazu nutzen, den Aufenthaltsort freigelassener Schwerkrimineller öffentlich zu machen. Mit dieser Forderung findet er bei einzelnen Politikern Anklang – eine heftige Diskussion um einen Internet-Pranger für Verurteilte, die ihre Strafe verbüßt haben und nicht in Sicherungsverwahrung sind, scheint unabwendbar.

"Die Bevölkerung hat ein Recht darauf zu erfahren, wo sich entlassene Schwerkriminelle befinden. Ich will wissen, wenn ein Vergewaltiger in der Nachbarschaft meiner Enkelin wohnt", sagte Wendt der Bild am Sonntag. Elektronische Fußfesseln zur Überwachung als gefährlich eingestufter entlassener Straftäter, wie dies Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vorschwebt, lehnt er dagegen ab: "Eine Fußfessel ist höchstens etwas für Kleinkriminelle, aber bei Schwerverbrechern völlig sinnlos. Denn man weiß zwar, wo der Verbrecher ist, aber nicht, was er macht."

Die Argumentation von Wendt griff der Innenexperte der CDU-Bundestagsfraktion, Reinhard Grindel, unverzüglich auf: Er wolle prüfen lassen, ob Name, Anschrift und Foto von Sexualstraftätern künftig auf Internetseiten der Polizei öffentlich gemacht werden können. Nötig sei dann aber eine einheitliche Linie bei Bund und Ländern, meinte Grindel gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger. Grundsätzlich betonte der CDU-Politiker aber, die Veröffentlichung von Daten im Internet sei "allenfalls die zweitbeste Lösung". Deshalb verstehe er nicht, warum sich Leutheusser-Schnarrenberger der nachträglichen Sicherungsverwahrung "aus reiner Prinzipienreiterei" widersetze.

Auch der Rechtspolitiker Norbert Geis schloss sich dem Vorschlag Wendts an. "Zusätzlich zur Sicherungsverwahrung muss darüber nachgedacht werden, die Bevölkerung besser zu schützen. Dazu kann auch ein Hinweis im Internet über den Wohnort von gefährlichen und noch immer frei herumlaufenden Sexverbrechern zählen", erklärte Geis gegenüber Bild. Gegen einen Internet-Pranger wandte sich dagegen der Vorsitzende der GdP, Konrad Freiberg. "Man sollte nicht mit populistischen Vorschlägen an die Öffentlichkeit gehen. Das dient auch nicht der Polizei und wäre verfassungsrechtlich gar nicht haltbar", meinte er gegenüber dpa. "Es ist unverantwortlich, die berechtigte Beunruhigung der Bevölkerung über Sexualstraftäter, die aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden, für Effekthascherei und Populismus zu nutzen. Der Pranger war ein Instrument des Mittelalters und entspricht nicht unseren heutigen rechtsstaatlichen Grundsätzen", erklärte Freiberg laut einer Mitteilung der GdP.

[Update: Auch die Bundesregierung lehnt es bislang ab, die jetzt aus der Sicherungsverwahrung freikommenden 80 Schwerkriminellen mit Namen, Adresse und Foto ins Internet zu stellen. Dies sei "kein gangbarer Weg", sagten Sprecher von Bundesjustiz- und Bundesinnenministerium gegenüber dpa. Sie verwiesen dabei auch auf die Vorbehalte der Datenschützer. Nach dem ersten Eindruck sei hier auch mit verfassungsrechtlichen Problemen zu rechnen. Im Übrigen sollten die Ängste der Bürger vor diesen Menschen nicht unnötig geschürt werden.]

Die Debatte wird ausgelöst von einer notwendigen Reform der Regelungen zur Sicherheitsverwahrung. Diese Maßnahme im deutschen Strafrecht soll dazu dienen, Täter, bei denen nach Ansicht der Richter und der Gutachter die Gefahr eines Rückfalls besteht, auch nach der Haft in Verwahrung halten zu können. Bislang kann auch zum Haftende nachträglich die Sicherungsverwahrung angeordnet werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte allerdings im Dezember 2009 eine nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung für rechtswidrig erklärt. Seit 1998 ist in Deutschland unbegrenzte Sicherungsverwahrung möglich.

Nach den neuen Plänen soll es die Sicherungsverwahrung nur noch bei schweren, gemeingefährlichen Straftaten geben, wenn eine von zwei Bedingungen erfüllt ist: Entweder ist die Sicherungsverwahrung bereits im Urteil vorgesehen oder das Gericht hat sich eine spätere Anordnung zumindest vorbehalten. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hatte dagegen angeregt, Sexualstraftäter nach ihrer Entlassung aus der Sicherungsverwahrung in anderen Einrichtungen unterzubringen. Für Fälle, in denen keine Sicherheitsverwahrung möglich ist, die Täter aber weiter als gefährlich eingestuft werden, setzt Leutheusser-Schnarrenberger auf elektronische Fußfesseln – was allerdings auch in der FDP umstritten ist.

Bereits 2007 gab es hierzulande im Rahmen der Einrichtung zentraler Sexualstraftäterdateien in einzelnen Bundesländern eine Debatte um eine öffentlich zugängliche Datenbank und damit einen "elektronischen Pranger" im Internet. Datenschützer warnten schon damals vor solchen Maßnahmen: An Kindern begangene Sexualstraftaten müssten mit allen zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft werden. Dies schließe jedoch die Anwendung eindeutig rechtsstaatswidriger Mittel aus. "Um ein solches verfassungswidriges Mittel würde es sich aber bei einer solchen Datei handeln."

In den USA hatte das Repräsentantenhaus im Juli 2006 grünes Licht für die Einrichtung einer nationalen Sexualstraftäter-Datenbank in Form der National Sex Offender Registry gegeben. Damit sollten Informationen über Sex-Verbrecher der Öffentlichkeit besser zugänglich gemacht werden. Zahlreiche US-Bundesstaaten und Städte führen bereits auf eigene Faust vergleichbare Verzeichnisse von Schwerverbrechern im Netz. 2005 stellte das US-Justizministerium die "National Sex Offender Public Registry Web Site" online, um einen gebündelten Zugang auf die Einzelprojekte zu bieten. Die erste Website mit persönlichen Informationen über verurteilte Sexualstraftäter einschließlich Foto, Angaben über ihre Straftaten und ihren derzeitigen Aufenthaltsort veröffentliche Florida 1997 im Web. Auch in den USA aber werden solche Projekte unter Bürgerrechtlern und Datenschützern heftig kritisiert.

Unter anderem scheinen die Betreiber der Datenbanken die Tendenz zu haben, diese, sind sie erst einmal eingerichtet, auf immer mehr Straftaten auszudehnen. In Maine wurde die öffentlich zugängliche Datenbank erst einmal vom Netz genommen, nachdem dort zwei Sexualstraftäter erschossen wurden. Viele Strafverfolger sind zudem nicht davon überzeugt, dass die Anprangerung von Straftätern durch eine Online-Datenbank zu einer Abnahme von Straftaten führt. Durch die Stigmatisierung werde in jedem Fall eine Resozialisierung verhindert, was eine Wiederholungstat mitverursachen kann, kritisierten Bürgerrechtsorganisationen die Internet-Pranger für Straftäter. Von den Betreibern der Datenbanken wird dagegen darauf hingewiesen, dass die Veröffentlichung der Daten die öffentliche Sicherheit erhöhe, da die Bürger nun erfahren, wer in ihre Nachbarschaft ziehe und welcher straffällig gewordene Nachbar gerade wieder aus dem Gefängnis entlassen worden sei. (jk)