Hinter dem Peak nach links abbiegen

Analysten der Bundeswehr haben sich Gedanken zu den Auswirkungen schwindender Erdölressourcen gemacht. Sie sollten nicht nur im Verteidigungsministerium gelesen werden.

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Von
  • Niels Boeing

Kann es sein, dass in Berlin das ganze Jahr Sommer ist? Die Diskussionen unserer Politiker dort wirken jedenfalls wie ein ständiges Sommerloch, in dem ad hoc nachgedacht und behauptet wird, um das Thema nach zwei Wochen wieder fallen zu lassen. Bei der Bundeswehr indes wird derzeit weiter in die Ferne geschaut. Nicht zum Hindukusch, nein, viel weiter. Das Dezernat Zukunftsanalyse am Zentrum für Transformation der Bundeswehr hat kürzlich eine Studie zu den Auswirkungen von "Peak Oil" vorgelegt, die hoffentlich nicht nur im Verteidigungsministerium gelesen wird.

Peak Oil bedeutet bekanntlich, dass die globale Ölförderung ihr Maximum erreicht hat. Ob dieser Fall bereits vor einigen Jahren eingetreten ist oder noch 10, 20 Jahre entfernt ist, ist eher ein akademischer Streit. Angesichts endlicher förderbarer Erdölressourcen ist Peak Oil unvermeidlich.

Nun sagen Optimisten, dass sei nicht weiter schlimm. Wenn nach dem Peak Oil der Ölpreis steige, werde das Geld irgendwann ganz von selbst in andere Energieformen investiert. Das Ergebnis sei ein quasi selbstorganisierter Übergang in eine postfossile globale Wirtschaft. Also alles kein Problem?

Das sehen die Bundeswehranalysten anders. Die Bundesrepublik bezieht zwar nur noch 20 Prozent ihres Öls aus OPEC-Ländern – vor den Ölkrisen der 1970er Jahre waren es noch 90 Prozent. Aber die drei Hauptölexporteure Russland, Großbritannien und Norwegen haben ihr Peak-Oil bereits hinter sich. Zudem ist Deutschland als selbsternannter Exportweltmeister mit seiner Leitindustrie Automobilität hochgradig in die fossile Weltwirtschaft eingebunden. Das bedeutet: Die Bundesrepublik wird sich den Verwerfungen, die ein knapperes und teureres Ölangebot weltweit mit sich bringt, auf keinen Fall entziehen können.

Eine "Transformationsarbeitslosigkeit ist als eine Folge dieser Umbrüche sehr wahrscheinlich", schreiben die Autoren. Eine "grundlegende Neuausrichtung" der Autoindustrie halten sie für kaum vermeidbar. Peak Oil werde außerdem die Liberalisierung der Ölmärkte nach den 70er-Ölkrisen rückgängig machen, warnen sie. Wenn die Zahl der relevanten ölexportierenden Länder abnimmt, und die Bedeutung staatlicher Ölkonzerne aus Schwellenländern gleichzeitig zunimmt, ist einerseits mit neuen Monopolen zu rechnen. Andererseits werden sich neue zwischenstaatliche Machtbeziehungen bilden, in denen die Position Deutschlands – und der anderen EU-Länder – nur schwächer werden kann.

Den Ausbau der Kernenergie, der für manche auch eine Strategie gegen die Ölabhängigkeit darstellt, sehen die Autoren jedoch kritisch. Sie verschärft nicht nur die Gefahr der Proliferation von Nuklearmaterial. Neue potente Ölstaaten könnten auch versucht sein, für gute Lieferkonditionen Gegenleistungen bei der Weitergabe von Nukleartechnik zu verlangen.

Sehr interessant sind die Überlegungen, die die Autoren zu einer nachhaltigen Politik anstellen: Für die werde "nicht nur Effizienz, sondern zunehmend auch Robustheit" ein entscheidendes Kriterium. Robustheit bedeutet: Infrastrukturen weniger störungsanfällig zu machen. Dieser Paradigmenwechsel aber "widerspricht ökonomischer Logik und kann deswegen nur in begrenztem Umfang Marktkräften überlassen werden". Zugleich warnen die Autoren explizit vor einem Erstarken rechter und nationalistischer Tendenzen in einer verunsicherten Gesellschaft - übrigens nur vor diesen, nicht vor linken. Im Dezernat Zukunftsanalyse scheint es kluge Leute zu geben.

Dazu passt, dass die Autoren nicht irgendwelche Gegenmaßnahmen fordern, sondern "systemischen 'Grundtugenden' wie Unabhängigkeit, Flexibilität und Redundanz" den Vorzug geben.
Für diese Grundtugenden sieht der Dresdner Wirtschaftsinformatiker Norbert Rost, der seit langem an neuen Konzepten zu regionalem Wirtschaften arbeitet – und der mich auf die Bundeswehrstudie aufmerksam gemacht hat –, vor allem die Kommunen als entscheidende Handlungsebene. Sie sind es, die eine nachhaltige, postfossile Politik am wirkungsvollsten anschieben könnten. Sie müssten, so Rost, parallel zu den großen Infrastrukturen lokale Ergänzungen stärken: in der Mobilität den öffentlichen Nahverkehr, in der Finanzwirtschaft zum Beispiel Regionalwährungen, in der Kommunikation lokale öffentliche Netzstrukturen sowie erneuerbare Energien und eine regionale Wirtschaft.

Dann bestünde nicht nur eine Chance, dass ein denkbarer Peak-Oil-Schock materiell schwächer ausfällt. Eine regionale Redundanz könnte auch eine soziale Verunsicherung der Menschen mindern.
Der Politik bleibt zu wünschen, dass sie bald ähnliche Schlüsse aus der Bundeswehr-Studie zieht wie Rost. Vielleicht hat das Sommerloch ja doch mal ein Ende. (nbo)