"Freiheit statt Angst": Breites Bündnis ruft zur Demo gegen Überwachung

Bürgerrechtlern, Berufsverbände, Gewerkschaften und einzelne Parteien hoffen, mit der erneuten Kundgebung für Datenschutz und gegen "den Überwachungswahn" am kommenden Samstag in Berlin unter anderem die Vorratsdatenspeicherung endgültig kippen zu können.

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Von
  • Jürgen Kuri

Am Wochenende ist es nun soweit: Ein breites Bündnis von Bürgerrechtlern, Berufsverbänden und Gewerkschaften hat für kommenden Samstag in Berlin zu einer erneuten Großdemonstration für Datenschutz und gegen "den Überwachungswahn" in Wirtschaft und Staat geladen. Die Protestaktion steht – wie in den Vorjahren – unter dem Motto "Freiheit statt Angst". Sie startet – am neunten Jahrestag der Terroranschläge des 11. September 2001 in den USA – um 13.00 Uhr am Potsdamer Platz. Von dort soll sich der Protestzug, zu dem die Veranstalter wieder mehrere zehntausend Teilnehmer erwarten, durch das östliche Zentrum der Hauptstadt vorbei am Gendarmenmarkt und dem Auswärtigen Amt über den Boulevard Unter den Linden und die Wilhelmstraße zurück zu seinem Ausgangspunkt erstrecken. Dort ist nach rund zwei Stunden eine Abschlusskundgebung geplant.

Die organisierten Unterstützer, zu denen unter anderem der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, der Chaos Computer Club (CCC), die Humanistische Union, Reporter ohne Grenzen und verschiedene Parteien gehören, wollen vor allem eine umfassende Protokollierung von Nutzern elektronischer Kommunikationsmittel verhindern. "Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung haben wir per Verfassungsbeschwerde gekippt", heißt es im Demo-Aufruf. Das nächste Ziel nach diesem Etappensieg müsse es nun sein, auch die entsprechenden EU-Vorgaben zur verdachtslosen Aufbewahrung von Telefon- und Internetdaten zu kippen. Weiter sei der elektronische Einkommensnachweis (ELENA) zwar "angeschlagen", aber noch keineswegs gestoppt. Ähnlich verhalte es sich bei der Gesundheitskarte. Auch beim Gesetzesentwurf zum Arbeitnehmerdatenschutz handle es sich bislang noch vor allem um Augenwischerei.

"Wir haben geschafft, unsere Themen auf die politische Agenda zu setzen, doch ohne weiteren öffentlichen Druck wird nichts passieren", schreiben die Veranstalter in diesem Sinne. Es sei daher "mal wieder an der Zeit, auf die Straße zu gehen und zu zeigen: Wir sind gegen Überwachung und wir sind viele". Der Appell spricht sich weiter etwa gegen RFID-Ausweisdokumente, einheitliche Schülerkennziffern und ­dateien, die systematische Überwachung des Zahlungsverkehrs oder sonstige Massendatenanalysen durch das transatlantische SWIFT-Abkommen oder die pauschale Registrierung aller Flug- und Schiffsreisenden mithilfe von Passenger Name Records (PNR) aus. Zu den Forderungen zählt weiter die Verhinderung heimlicher Durchsuchungen von Privatcomputern oder von Internetsperren sowie der Ruf nach einer gesetzlichen Festschreibung der Netzneutralität und einem "freien, ungefilterten und unzensierten Internet". Am Vorabend der Demonstration lädt die Bundestagsfraktion der Grünen zu einer "Netzpolitische Soirée" zum Thema Freiheit und Überwachung in der digitalen Welt, die Linke veranstaltet ein "Werktstattgespräch" Schönes Leben in der digitalen Überwachungsgesellschaft.

Bereits im vergangenen Jahr demonstrierten Zehntausende gegen den Überwachungswahn. Unter dem Motto "Freiheit statt Angst" hoffen die Veranstalter auch in diesem Jahr auf eine große Mobilisierung.

(Bild: heise online / Stefan Krempl)

Die Kundgebung war im vergangenen Jahr – nicht zum ersten Mal – von Polizeizugriffen auf einzelne Demonstranten überschattet worden. Videos im Internet hatten gezeigt, wie ein Ordnungshüter einen Radfahrer am Hemd zerrt, ein Kollege diesem ins Gesicht schlägt und der Mann dann zu Boden gedrückt wird. Die Schuldfrage ist ein Jahr danach noch nicht geklärt. Zur Zeit lägen die Akten zur Einsicht bei der Verteidigung der Polizisten, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft der dpa. Der Anwalt des Radfahrers, Johannes Eisenberg, hatte schon vor einiger Zeit kritisiert, dass das Verfahren so lange dauert. Ermittlungen gegen den Radfahrer, den die Polizisten des Widerstandes gegen die Staatsgewalt beschuldigt hatten, wurden bereits eingestellt. Eine Zusammenstellung der Ereignisse aus verschiedenen Filmaufnahmen zeigte laut Eisenberg, dass der Radfahrer nichts getan habe, außer einen Gesetzeshüter nach dessen Dienstnummer zu fragen.

Einblicke in die Funktionsweise eines Überwachungsstaates liefert gerade eine Sondersendung des Deutschlandfunks, die am gestrigen Dienstag im Radio zu hören war. Sie zeigt, wie ein junger Mann durch eine Panne bei seinem Mobilfunkbetreiber erfährt, dass er von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt abgehört wird. Er wird verdächtigt, Gründer der angeblich terroristisch ausgerichteten "Militanten Gruppe" zu sein. Nach sieben Jahren vergeblicher Bemühung um Aufklärung, Hausdurchsuchung und schließlich doch noch erfolgter Verhaftung zieht erst das Bundesverfassungsgericht dem Treiben eine Grenze. Laut den Sendemachern lässt sich an den Aufzeichnungen der Ermittler deren "paranoide Geisteshaltung" nachvollziehen. Fraglich sei, ob es sich bei der hohen Abhörquote hierzulande um einen Einzelfall handle. (jk)