Softwarepatente durch die WIPO-Hintertür?

Freien Wettbewerb und das Beispiel erfolgreicher "Kopierer" von Technik führen Patentrechtsexperten gegen eine Ausweitung des Patentschutzes ins Feld, den sie durch das "Abkommen zur Harmonisierung materieller Fragen zum Patentrecht" der WIPO befürchten.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 97 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Monika Ermert

Ein mögliches neues internationales "Abkommen zur Harmonisierung materieller Fragen zum Patentrecht" (Substantive Patent Law Treaty, SPLT) darf nicht zur Ausweitung patentfähiger Technik durch die Hintertür führen, warnen Experten. Bei dem von der World Intellectual Property Organisation (WIPO) veranstalteten Diskussionsforum zum SPLT verglich der britische Richter Hugh Laddie vorliegende Entwürfe für den von den USA, Europa und Japan favorisierten neuen WIPO-Vertrag mit einem Becher Magerjoghurt: "Joghurt mit null Prozent Fett steht auf dem Becher, aber es steht nicht auf dem Becher, was eigentlich alles drin ist", kommentierte Laddie. Er fürchtet bei einer raschen, unbedachten Harmonisierung um Ausnahmen, die sich seiner Meinung nach in Europa bewährt haben – darunter die Nichtpatentierbarkeit von Software und die Nichtpatentierbarkeit von Geschäftsmodellen.

Während ein Vertreter von Kodak beklagte, dass Geschäftsmodelle oder Software nicht prinzipiell patentierbar seien, sang Laddie das Lobeslied auf einen darwinistischen Wettbewerb. "Es ist gut, dasselbe wie mein Nachbar zu tun, nur besser und schneller. Das hat Großbritannien zu einer erfolgreichen Wirtschaftsmacht gemacht, es hat die USA zu einer erfolgreichen Wirtschaftsmacht gemacht, es hat Japan zu einer erfolgreichen Wirtschaftsmacht gemacht." Software per Copyright zu schützen habe sich bewährt, sagte Laddie. Ein Patentschutz dagegen würde Innovation eher behindern.. "Ich kenne niemanden", betonte der streitlustige Richter, "der glaubt, dass wir heute bei Word 2003 wären, würde es Softwarepatente geben. Wir wären dann doch eher bei Wordperfect 1.2, denn warum sollte man weiter entwickeln, wenn man einen geschützten Markt hat." Die im WIPO-Prozess angestrebte Harmonisierung klinge ja sehr schön. Allerdings müsse man sehr wohl schauen, was im Joghurt-Becher genau drin sei.

Ein Vertreter der WIPO betonte gegenüber heise online, die Ausweitung von patentfähigen Bereichen sei in früheren SPLT-Entwürfen zwar vorgesehen, inzwischen aber gestrichen worden. Die Einführung von Softwarepatenten stehe nicht zur Debatte. Graham Dutfield, Patentexperte des Center for Commercial Law Studies an der Universität von London, bestätigte dies. Unabhängig davon hält Dutfield die gesamte Harmonisierungsdebatte für überflüssig.

"Es gibt keinen Grund für den SPLT", meinte Dutfield. Er stellte der von US-Patentexperten gelegtentlich vertretenen Idee vom geistigen Eigentum als Menschenrecht und dem Kopieren als Diebstahl das Beispiel erfolgreicher "Kopierer" entgegen. Ericsson etwa sei zum Telefonhersteller geworden, weil Graham Bell sein Patent in Schweden nicht angemeldet habe. Die US-Wirtschaft profitiere von der Enteignung deutscher Patentinhaber nach dem Krieg, während die chemische Industrie in Deutschland sich im 19. Jahrhundert gegen Patente in Deutschland ausgesprochen hätte, um einen freieren Wettbewerb zu ermöglichen und erst einmal ausländische Patentanmeldungen abzuwehren. Wenn es ums Stehlen von geistigem Eigentum gehe, "sind wir hier alle nicht ganz ohne Schuld", meinte Dutfield.

Die Beispiele zeigten allerdings sehr deutlich, dass Patentsysteme auf jeden Fall der jeweiligen nationalen wirtschaftlichen Entwicklung angepasst sein müssten, betonte Dutfiled weiter. Eine Harmonisierung auf der Basis des US-Systems – möglicherweise sogar ohne bestehende Ausnahmeregelungen – würde den Entwicklungsländern extrem schaden. Der Brite rechnet allerdings angesichts der bestehenden Differenzen auch nicht damit, dass es rasch zu einer diplomatischen Konferenz zur Verhandlung des SPLT kommt. Würden sich Europa und die USA einigen und in Richtung eines bi- oder trilateralen Abkommens weiterarbeiten, sei die Softwarepatentfrage neu zu stellen. Doch auch die Einigung zwischen den SPLT-Befürwortern hält Dutfield – im Gegensatz zu WIPO-Vertretern – noch für Zukunftsmusik.

Dass sich die Softwarepatentgegner zurücklehnen können, glaubt auch Andre Rebentisch nicht, der für die Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur e.V. (FFII) an der Konferenz teilnimmt. "Am Ende kommt es sehr darauf an, wie das genau verhandelt wird", sagte Rebentisch. Der FFII-Experte meinte, er sei erstaunt, wie wenig konkrete Fortschritte das Forum und auch frühere Konferenzen bisher auf grundsätzliche Fragen gemacht hätten. Einigkeit über die Definitionen, wie genau – und dann auch global – der "erfinderische Schritt" zu definieren sei, steht daher ebenso aus wie eine einheitliche Auslegung, was für eine komplette Offenlegung erforderlich ist. Letztere sei bereits innerhalb einzelner nationaler Systeme unterschiedlich, sagte der brasilianische Jurist Carlos Correa mit Blick auf DNA-Patente einerseits und Softwarepatente andererseits. So geht auch die Strategie der so genannten B-Länder, der westlichen Länder, sich mit den aufbegehrenden Entwicklungsländern erst auf scheinbar "nicht kontroverse" Grundsätze zu einigen, vorerst noch nicht auf.

Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente in Europa und die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Monika Ermert) / (jk)