Her mit der Roadmap!

Das Öko-Institut hat seine Jahrestagung 2010 Nanotechnologien und Nachhaltigkeit gewidmet. Hoffentlich bekommt die Nanodebatte damit einen neuen Dreh.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Niels Boeing

Bereits vor mehr als drei Jahren habe ich in diesem Blog dafür plädiert, Nanotechnik endlich nicht mehr nur als große Wundertüte oder als den Billionen-Markt 2015 darzustellen. "Nano ist öko" lautete mein Vorschlag für einen neuen Fokus, sprich: Für welche Nachhaltigkeitsprobleme können Nanotechnologien Lösungen sein? Seitdem hat sich unter dem Schlagwort "green nano" (in den USA) oder "grüne Nanotechologien" (hierzulande) in der Nanoszene einiges getan. Die meisten Medien haben dies allerdings ignoriert und sind zuletzt nur noch auf dem Slogan "kleine Teilchen, großes Risiko" rumgeritten.

Umso erfreulicher ist, dass das Öko-Institut Nanotechnologien und Nachhaltigkeit zum Thema seiner diesjährigen Jahrestagung gemacht hat. Potenziale gibt es tatsächlich reichlich: von neuen Solarzellen aus nanostrukturierten Materialien über leichtere, emissionsärmere Werkstoffe aus Nanokompositen bis hin zu Nanofiltern für die Trinkwasseraufbereitung (umfassende Übersichten zu Anwendungen im Energiesektor und im Umweltschutz hat etwa das VDI Technologiezentrum zusammengestellt).

In den Diskussionen auf der Tagung wurde aber deutlich, dass es mit dem Aufzeigen von Potenzialen allein noch nicht getan ist.

Denn zum einen fehlt es an aussagekräftigen Ökobilanzen für strategisch wichtige Nanoanwendungen. Wie viel Energie oder CO2-Emissionen sie sparen helfen, lässt sich bislang nicht quantifizieren. Zwar haben einige erste Studien dies probiert, die untersuchten Anwendungen erschienen aber doch eher marginal.

Unklar ist auch, welche Belastungen im Lebenszyklus selbst nützliche Nanoanwendungen verursachen können: Was passiert beispielsweise mit den Nanomaterialien in neuen organischen Solarzellen nach der Entsorgung?

Und können Nanoanwendungen zu Rebound-Effekten führen, die Effizienzgewinne unterm Strich zunichte machen? Können sie, wie im Falle von Nanomaterialien für leistungsfähigere Batterien, den Wechsel zu Elektroautos fördern, damit aber zugleich andere Probleme der heutigen Mobilität – Lärm, Verkehrsdichte, Landschaftsversiegelung – für die Zukunft fortschreiben?

Nicht alle Teilnehmer der Tagung taten sich denn auch mit der Perspektive "Nanotech fördert Nachhaltigkeit" leicht. Was derzeit fehle, sei die Transparenz von Nanoanwendungen und -produkten hinsichtlich verschiedenen Kriterien von Nachhaltigkeit, bemängelten einige zurecht.

Neben Ökobilanzen könnte ein Nanoproduktregister zu dieser Transparenz beitragen. Zurzeit betreibt nur das Woodrow Wilson Center in Washington ein solches "Inventory". Es stützt sich aber auf Herstellerangaben zu Nanokomponenten, und eine gründliche Bewertung und Einordnung der Produkte fehlen. Dass ein Nanoproduktregister für die Bundesrepublik oder gar die EU rechtlich machbar ist, hat das Öko-Institut kürzlich in einer Studie gezeigt. Ein Nachhaltigkeitscheck für Nanoprodukte wird dort ebenfalls entwickelt. Denn man los, möchte man der Politik zurufen.

Vor allem aber wäre eine Roadmap für Nanotechnologien im Dienste von Nachhaltigkeit und Klimaschutz nötig, die Felix Christian Matthes, der am Öko-Institut das Thema Klimapolitik koordiniert, angemahnt hat. Wollen wir die Treibhausgas-Emissionen bis 2050 wirklich drastisch reduzieren – um mindestens 80 Prozent –, geht es nicht ohne technische Sprünge. Die derzeit aufkeimende Verzichtsdebatte erweckt bei mir hingegen den Eindruck, als seien allein Verhaltensänderungen der Königsweg in eine nachhaltige Zukunft.

Die vergangenen Jahre haben allerdings gezeigt, dass Nanotechnologien nur schwer planbar sind. Nanotube-Transistoren sind auch zwölf Jahre nach dem ersten Proof of Principle nicht zur Massenfertigung bereit. Von hunderten potenzieller Krebstherapien mit Nanopartikeln hat es bislang nur eine einzige zur Zulassung geschafft: das an der Berliner Charité entwickelte Hyperthermie-Verfahren mit magnetischen Eisenoxid-Nanoteilchen – in diesem Sommer, rund zwanzig Jahre nach dem ersten Konzept und fünf Jahre später als erhofft. Auch die verschiedenen Nanosolarzelltypen haben es noch nicht zur Serienreife gebracht, obwohl Firmen wie Konarka oder Nanosolar längst größere Fertigungsanlagen errichtet haben. Das große Problem vieler Nanotechnologien ist nach wie vor ihre Skalierung.

"Green nano" ist leider nicht so etwas wie die Monopoly-Karte "Du kommst aus dem Gefängnis frei", wie es Wolf-Dieter Lukas vom Bundesforschungsministerium treffend ausdrückte. Dennoch sollten wir das Innovationspotenzial von Nanotechnologien nicht voreilig wegen Bedenken über Skalierungsprobleme, mögliche Rebound-Effekte oder so fragwürdige Produkte wie Socken mit Nanosilber abtun. Nanotechnik ist nicht die Wildcard für eine nachhaltige Zukunft – aber ganz sicher eine von mehreren wesentlichen Zutaten. (nbo)