Und sie bewegt sich doch (nicht)

Das rationale Fundament der Moderne bröckelt munter weiter: Nun versucht der Geozentrismus ein Comeback. Was geht hier eigentlich vor sich?

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Von
  • Niels Boeing

Wer viele Mails bekommt, findet so manche Skurrilität in seinem Postfach. Über eine war ich vor einigen Tagen aber doch bass erstaunt: ein Link zu einer Konferenz mit dem Titel "Galileo was wrong". Im ersten Moment dachte ich, es handele sich um eine hübsch aufgemachte Hoax. Bei näherem Hinsehen wurde mir klar, dass tatsächlich einige Leute Anfang November in einem Hilton in Notre Dame (US-Bundesstaat Indiana) ihre Argumente dafür ausbreiten wollen, dass die Erde im Mittelpunkt des Universums ruht. Unbeweglich. 400 Jahre Wissenschaftsgeschichte stehen damit in Frage.

Natürlich weht hier der Wind einmal mehr aus einer christlich-fundamentalistischen Ecke. Ähnlich wie beim "Intelligent Design" gehen die Verfechter dieses neuen Geozentrismus aber nicht so dumpfbackig wie die Kreationisten vor, sondern argumentieren quasi-wissenschaftlich, hier vor allem mit Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie. Dazu garnieren sie das Ganze mit "verblüffenden" Lücken zwischen Beobachtung und physikalischer Theorie, mit clever herausgesuchten Zitaten von Max Born, Albert Einstein und Fred Hoyle. Bei Amazon kann man sich sogar ein Begleitbuch zur Konferenz bestellen.

Phil Plait hat sich im Blog "Bad Astronomy" des Magazins Discover einigermaßen ernsthaft mit der Weltsicht der modernen Galileo-Gegner auseinandergesetzt – auch wenn es ihm spürbar schwer fiel, die Contenance zu wahren. Man könnte auch einfach darüber lachen und sagen, na dann diskutiert mal schön in Notre Dame.

Ganz so lustig ist die Sache aber doch nicht. In den vergangenen zwanzig Jahren poppen immer mehr Alternativ-"Theorien" auf, die stets mit einem raunenden Enthüllungsgestus daherkommen. Der vom Menschen verstärkte Klimawandel, Viren und Aids, die Entstehung des Erdöls aus Pflanzenresten, die biologische Evolution – alles Fiktionen, mit denen sinistre Wissenschaftler die Öffentlichkeit an der Nase herumführen. Von dort ist es ein fließender Übergang zu klassischen Verschwörungstheorien wie der nie stattgefundenen Mondlandung.

Fast kommt es mir vor, als falle ganz langsam das rationale Fundament der Moderne des 20. Jahrhunderts auseinander. Und dieser Prozess findet ja nicht nur in obskuren gesellschaftlichen Nischen statt. Vor einiger Zeit staunte ich bei einem Abendessen nicht schlecht, als ich mich eingerahmt fand von einem, der den Klimawandel im Brustton der Überzeugung als Hokuspokus abtat, und einem, der überzeugt war, dass die NASA die Mondlandung gefaket hatte. Die beiden waren keinesfalls blöd.

Ich jedenfalls war etwas ratlos. Was treibt die Leute bloß um? Eine vorschnelle Diagnose läuft meist darauf hinaus, die heutige hochtechnisierte Gesellschaft sei sinnentleert oder hinterlasse ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber intransparenten Riesenapparaten. Krude Hypothesen, wie es "wirklich" ist, versprächen hier Orientierung.

Inzwischen glaube ich, dass diese Deutung zu kurz greift. Vielmehr wird für mich eine Abwehrreaktion erkennbar gegen die Herausforderung, Verantwortung – als einzelne, als Menschheit – für die weitere Entwicklung der Zivilisation zu übernehmen. Dass wir als Spezies unser weiteres Schicksal selbst in der Hand haben und nur wir, ist für viele offenbar doch eine ziemliche Zumutung.

Aber weder wird eine höhere Macht diese Welt retten, weil sie mit ihr noch etwas Besonderes vorhat, noch lösen sich Probleme mit Klima, Energieversorgung oder Pandemien "von selbst", während jeder weiter seinen persönlichen Geschäften nachgeht und Big Science eine Nase dreht. Die Zukunft wird ein hartes Stück Arbeit sein, bei der jeder mit Hand anlegen muss. (nbo)