Der RNA-Trick

Einem Harvard-Forscher ist es gelungen, Hautzellen in Stammzellen zu verwandeln, ohne ihr Genom mittels Viren zu verändern. Das neue Verfahren könnte das Krebsrisiko einer Stammzellen-Therapie erheblich verringern.

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Von
  • Karen Weintraub

Einem Harvard-Forscher ist es gelungen, Hautzellen in Stammzellen zu verwandeln, ohne ihr Genom mittels Viren zu verändern. Das neue Verfahren könnte das Krebsrisiko einer Stammzellen-Therapie erheblich verringern.

Embryonale Stammzellen haben seit ihrer Entdeckung große Hoffnungen geweckt: Die Gewebe, die sich aus ihnen züchten lassen, sollten bislang unheilbare Erkrankungen wie Parkinson und infarktgeschädigte Herzen behandeln helfen. Die Gewinnung der Wandlungs- künstler ist allerdings ethisch umstritten, und auch aus medizinischer Sicht gibt es Fragezeichen.

2005 entdeckten japanische Wissenschaftler überraschend eine ethisch unbedenkliche Alternative und lösten eine rasante Entwicklung in der Stammzellforschung aus: Mit vier Genen programmierten sie Hautzellen zu sogenannten „induzierten pluripotenten Stammzellen“ (iPS) um. Nicht selten tauchten aber nach der Transplantation Tumore oder andere unerwünschte Gewebe auf, weil sich die Zellen nicht wie geplant entwickelt hatten. Der Harvard-Biologe Derrick Rossi hat nun im Wissenschaftsjournal Cell Stem Cell ein Verfahren vorgestellt, das dieses Problem lösen könnte. „Rossi hat herausgefunden, wie man Hautzellen in Stammzellen verwandelt, ohne das Genom zu verändern – und das auch noch effizient“, sagt Doug Melton, Kodirektor des Harvard Stem Cell Institute, anerkennend.

Rossis Innovation besteht darin, mit RNA statt mit DNA zu arbeiten. RNA oder Ribonukleinsäuren übermitteln – als „messenger RNA“ – die genetische Information von der DNA an die Ribosomen. Diese winzigen biologischen Fabriken in Zellen bauen anhand der Information Aminosäuren zu Eiweißmolekülen zusammen. Um Hautzellen zu Stammzellen umzuprogrammieren, sind vier solcher Proteine nötig. Indem Rossi RNA mit dem Bauplan für die vier Eiweiße direkt in die Hautzellen einbringt, kann er auf Viren als Überträger der Geninformation verzichten.

Letzteren Weg hatte vor vier Jahren erstmals der japanische Biologe Shinya Yamanaka aufgezeigt. Zuvor war die Forschung auf embryonale Stammzellen angewiesen, die menschlichen Föten entnommen werden müssen und deshalb zu einer heftigen ethischen Debatte geführt hatten. Yamanakas Verfahren umging dieses Problem: Mit seiner Hilfe konnten Mediziner nun Hautzellen von Patienten in „induzierte pluripotente Stammzellen“ (iPS) verwandeln.

Die lassen sich anschließend chemisch zu anderen Gewebearten weiterentwickeln: etwa zur Insulin produzierenden Zellart der Langerhans-Inseln für Diabetiker oder zu neuen Nervenzellen für Gelähmte. Weil diese Zellen aus dem Körper des Patienten selbst stammen, ist die Gefahr geringer, dass dessen Gewebe die Zellen abstößt.

Yamanakas Verfahren ist allerdings wegen der dabei eingesetzten Viren riskant. Besonders ergiebig ist es auch nicht: Nur eine von 1000, in manchen Fällen gar 10.000 Hautzellen wird zu einer iPS.

Derrick Rossi kam deshalb auf den Gedanken, das Verfahren abzukürzen und gleich die RNA-Moleküle zu nutzen, die den gewünschten Protein-Bauplan kodieren. Seine ersten Versuche waren jedoch Fehlschläge: Jedesmal aktivierten die fremden RNA-Stränge das Immunsystem, und die meisten Hautzellen starben ab.

Dann fand er ein chemisches Verfahren, die RNA-Moleküle so zu verändern, dass das Immunsystem nicht mehr ansprang. „Das war der Schlüssel zu unserem Erfolg“, sagt Rossi, der auch am Children’s Hospital Boston forscht. „Wir konnten nun RNA für jedes beliebige Protein herstellen und in Zellen einschleusen.“

Dass die Ausbeute bei der Umwandlung von Hautzellen in iPS sich auch noch verhundertfachte, sieht Rossi als glücklichen Zufall. Es könne daran liegen, dass das Verfahren dem Prozess ähnele, in dem sich Zellen selbst verändern. Er durchschaue jedoch noch nicht, ob die eingeschleuste RNA an der zelleigenen DNA so genannte epigenetische Veränderungen bewirke, räumt er ein.

Rossi bezeichnet seine Stammzellen als „RiPS“ – für RNA-induzierte pluripotente Stammzellen. Sie seien embryonalen Stammzellen ähnlicher als herkömmliche iPS. Die ersten RiPS konnte er erfolgreich in Muskelzellen verwandeln. Doug Melton hat bereits angekündigt, dass iPS an der Harvard University und in den angeschlossenen Krankenhäusern künftig mit Rossis Methode produziert werden.

Auch Stammzellen-Pionier Shinya Yamanaka, der heute an der University of California in San Franciscio forscht, hat Rossis Ansatz in einer ersten Stellungnahme als vielversprechend gelobt. „Die Qualität der mit dieser Methode hergestellten iPS muss nun sorgfältig untersucht werden“, sagt Yamanaka, „denn deren Eigenschaften hängen von der Induktionsmethode und den Ursprungszellen ab.“ Bislang habe sich noch kein Standard für die Erzeugung von iPS etablieren können. „Ich glaube, dass diese Methode das Potenzial dazu hat“, so Yamanaka weiter.

Rossi hat bereits das Start-up ModeRNA gegründet, um seine RNA-Technik zu kommerzialisieren. Sie könnte auch für die Gentherapie interessant sein, die bislang ebenfalls auf Viren als Übermittler von genetischer Information angewiesen ist, fügt Rossi hinzu. Mehr wolle er hierzu aber noch nicht sagen: „Dafür ist meine Arbeit in einem zu frühen Stadium.“


Das Paper:
Warren, Luigi et al.: „Highly Efficient Reprogramming to Pluripotency and Directed Differentiation of Human Cells with Synthetic Modified mRNA“, Cell Stem Cell, 30.9.2010 (nbo)