Die Bremser

Die Kabelbranche wehrt sich gegen die Konkurrenz durch Fiber-to-the-Home. Mit Exklusivklauseln zur Breitbandverteilung in den Gebäuden versucht sie, Wohnungsgesellschaften an sich zu binden und die Glasfaser auszubremsen. Das Nachsehen haben die Mieter.

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Von
  • Richard Sietmann
Inhaltsverzeichnis

Bei den Diskussionen zu „Next Generation Access“ (NGA), den Zugang zu den Netzen der nächsten Generation, heben die Vertreter der Kabelindustrie bei jeder Gelegenheit gern hervor, wie wichtig der „infrastrukturbasierte Wettbewerb“ zwischen den verschiedenen Netzplattformen sei. Nur mit „Investitionen in den Aufbau eigener Infrastrukturen“, argumentiert beispielsweise der Branchenverband ANGA, könnten die Beteiligten technisch überlegene Breitband- und Triple-Play-Angebote schnüren und unabhängig am Markt agieren, „da sie nicht von den Vorleistungsprodukten des etablierten Netzbetreibers abhängig sind“.

Sobald es jedoch um den eigenen Beritt geht, läuft hinter den Kulissen nicht selten ein anderes Drehbuch ab. Da bedingen sich Kabelgesellschaften im Kleingedruckten der Versorgungsvereinbarungen mit der Wohnungswirtschaft den ausschließlichen Betrieb des Hausverteilnetzes aus. Der Hauseigentümer verpflichtet sich, so lautet etwa eine solche Exklusivklausel, „in den vertragsgegenständlichen Häusern keine weiteren Breitbandkabel-Verteilnetze für Hörfunk- und/oder Fernsehprogramme zu errichten und/oder zu betreiben. Er duldet auch die Errichtung und/oder den Betrieb solcher Verteilanlagen durch Dritte nicht“.

Im Klartext heißt das: Die Glasfaser bleibt draußen, nix Infrastruktur-Wettbewerb. Den gibt es allenfalls bis zum Vertragsabschluss oder bei einer anstehenden Verlängerung. Danach ist erst einmal eine lange Weile Ruhe: Die Verträge, in denen die Wohnungsgesellschaften über den Netzzugang ihrer Mieter entscheiden, werden in der Regel mit einer Laufzeit von mehr als zehn Jahren abgeschlossen. Derartige Versorgungsvereinbarungen sind ein Vertrag zu Lasten Dritter: Wenn sich Hauseigentümer und Kabelgesellschaft exklusiv aneinandergekettet haben, ein Mieter aber statt der asymmetrischen „bis zu“ 50 MBit/s aus dem Kabelnetz garantierte 100 MBit/s symmetrisch im Up- und Download möchte und es einen Betreiber gibt, dessen Lichtwellenleiter schon am Haus vorbeiführen und der sie ihm auch liefern würde, heißt das eben noch lange nicht, dass Angebot und Nachfrage zueinanderkommen.

Einen Anspruch auf Modernisierung gibt es gegenüber dem Vermieter nicht. Das bekräftigte der Bundesgerichtshof erst kürzlich wieder in seiner „Trittschall-Entscheidung“. Probleme mit dem Schallschutz, entschied der BGH, stellen keinen Mangel der Mietsache dar und berechtigen somit auch nicht zu einer Mietminderung, wenn bei der Errichtung des Gebäudes die einschlägigen Standards eingehalten wurden (BGH VIII ZR 85/09 v. 7.7.2010). Legt man dieselbe Elle an die Art des Netzzugangs an, ist ebenfalls die Ausstattung beim Einzug in die Wohnung maßgeblich und der Mieter kann darüber hinaus gehende Konnektivitätsansprüche hinterher nicht einfordern. Die rechtlichen Rahmenbedingungen machen den Vermieter, so die juristische Umschreibung, zum „Verbrauchsdisponenten“ – er ist es, der die Auswahlentscheidung über die Anschlussmöglichkeiten trifft.

Zudem profitieren die Kabelnetzbetreiber von einem Privileg der Betriebskostenverordnung, die es ermöglicht, die Kabelentgelte in die Betriebskostenabrechnung aufzunehmen und mit der Miete einzuziehen (§ 2 Nr. 15 BetrKV). Der Kabelanschluss wird in diesen Fällen als integrierter Bestandteil der Wohnung selbst angesehen; bei der Anmietung der Wohnung besteht keine Möglichkeit, auf den Anschluss zu verzichten und so die Miethöhe um den entsprechenden Rechnungsposten zu verringern. Nach den Erkenntnissen des Bundeskartellamtes macht der Anteil der über Sammelinkassoverträge versorgten Wohneinheiten im Bestand der größeren Netzbetreiber weit über 50 Prozent aus. Den Mietern bescheren diese Verträge allerdings meist auch kräftige Rabatte.

Das Sammelinkasso wirkt sich auf dem Endkundenmarkt schon bei IPTV über DSL-Anschlüsse als Wechselhindernis aus, weil demjenigen, der trotz bestehender Kabelversorgung zu IPTV wechseln möchte, zusätzliche Kosten entstehen; er kann ja nicht einseitig aus der Betriebskostenabrechnung aussteigen und zahlt wohl oder übel weiterhin für den Kabelanschluss. Aber während die IPTV-Anbieter immerhin auf Einzelverträge ausweichen und den Endkunden direkt ansprechen können [1] , da die Telefonleitungen als DSL-Plattform ohnehin schon in den Gebäuden liegen, müssen die FTTH-Betreiber dort erst einmal hinein. Die rechtliche Grundlage ist der sogenannte „Gestattungsvertrag“, der die Erlaubnis der Eigentümer zur Gebäudeeinführung des Kabels sowie die Versorgungsvereinbarung zur Nutzung einer vorhandenen oder zur Errichtung einer eigenen Inhouse-Verkabelung umfasst.

Mit Open Access besäßen Kabelfirmen nicht mehr Exklusivität beim Hausverteilernetz; Energieversorgungsunternehmen könnten zu Betreibern der passiven Infrastruktur werden.

Solche Gestattungsverträge haben auch die Kabelgesellschaften. Die jüngeren Vereinbarungen schließen im allgemeinen neben der Lieferung des TV-Signals auch die Versorgung mit Breitbandinternet und Telefonie (Triple Play) mit ein, sodass der Mieter – auf einzelvertraglicher Basis – auch den Internetzugang und Telefonanschluss vom Kabelnetzbetreiber erhalten kann. Exklusivklauseln in diesen Vereinbarungen hindern jedoch umgekehrt die Newcomer an einem vergleichbaren Triple-Play-Angebot.

Die Klauseln selbst sind oftmals interpretationsfähig. In einem Aufsatz in der Zeitschrift MultiMedia und Recht unterscheiden die Autoren „eigentumsbezogene“, „netztechnologische“ und „dienstebezogene“ Vereinbarungen zum Ausschluss von Wettbewerbern [2] . Doch ob die Exklusivität sich nun auf die Errichtung eines zweiten Netzes bezieht, oder nur auf den speziellen Dienst der Verbreitung von TV-Signalen, das läuft für den FTTH-Anbieter auf dasselbe hinaus. Denn selbst wenn er ein zweites Netz in den Häusern parallel betreiben darf und nur der Dienst der TV-Verteilung exklusiv der eingesessenen Kabelgesellschaft vorbehalten bleibt, ist dies schon eine erhebliche Beschränkung des Wettbewerbs.

„Die langjährige Exklusivbindung großer Teile der Wohnungswirtschaft durch Kabelnetzbetreiber über Gestattungsverträge“, stellte das Bundeskartellamt bereits im Präzedenzfall von IPTV fest, „erschwert den Markteintritt nachhaltig“. Dass die langfristigen Verträge nach Ablauf erneut ausgeschrieben oder informell neu vergeben werden, ändert an der Abschottungswirkung offenbar wenig; nach den Erkenntnissen der Kartellwächter lässt sich das tatsächliche Wettbewerbsgeschehen um Gestattungsverträge kaum ermitteln, da es sich bei der Vergabe „nicht um ein förmliches, transparentes Verfahren handelt“. Kabel Deutschland indes sieht in diesem Bereich überhaupt keine wettbewerbsrechtlichen Probleme. „Gestattungsvertragliche Regelungen“ zwischen den Kabelnetzbetreibern und der Wohnungswirtschaft, erklärt Vorstandsvorsitzender Adrian von Hammerstein apodiktisch, „stehen der Errichtung von weiteren Hausübergabepunkten nicht entgegen“.

Inwieweit die Praxis der Gestattung den FTTH-Ausbau behindert, stellt sich in verschiedenen Teilen der Republik offenbar ganz unterschiedlich dar. Nördlich von Hamburg hat die Norderstedter Stadtwerkstochter wilhelm.tel eine eigene Strategie entwickelt, mit dem Problem umzugehen. „Die Exklusivklauseln sind ein Hindernis, das man mit Kommunikation überwindet“, meint Geschäftsführer Theo Weirich. „Dieses Thema löst man ganz einfach: Man macht ein Agreement mit dem Eigentümer und nimmt ihm das Prozessrisiko ab.“ In Hamburg hätte es zwar einige gerichtliche Auseinandersetzungen mit Kabel Deutschland um den Hauszugang gegeben, doch inzwischen sei das kein Streitpunkt mehr.

Nicht immer will sich der Vertragspartner allerdings das Prozessrisiko abnehmen lassen. Andernorts dienen die Exklusivklauseln in bestehenden Verträgen als willkommener Hebel, am Mehrwert der Glasfaser zu partizipieren, indem Wohnungsbaugesellschaften die Gestattung an Gegenleistungen wie Kompensationszahlungen oder Umsatzbeteiligungen knüpfen und um Vergütungsmodelle für die Inhouse-Installation pokern. Jeder weiß: Für den Betreiber ist die Anschlussquote ein kritischer Parameter – wenn zu viele Gebäude bei der Planung umgangen werden müssen, kann dies den Ausbau ganzer Stadtviertel verhindern oder erheblich verzögern. Der weinende Dritte ist der Mieter, der im Falle der Verweigerung keinen Glasfaseranschluss bekommt, obwohl er es wünscht und seine Wohnung in einem Ausbaugebiet liegt.

Im NGA-Forum bei der Bundesnetzagentur, in dem derzeit ein elitärer Zirkel von 14 Spitzenmanagern die Weichenstellungen für den Zugang zu den Netzen des 21. Jahrhunderts verhandelt, hat Münchens M-Net-Chef Hans Konle als Lösung einen gesetzlich abgesicherten Anspruch der Mieter auf Zugang zum Glasfasernetz vorgeschlagen. Nach dem Telekommunikationsgesetz müssen Eigentümer die Verlegung von Leitungen auf ihren Grundstücken bereits dulden; eine ähnliche Duldungspflicht wäre auch für die Hauseinführung und die Errichtung der Inhouse-Infrastruktur vorstellbar. Dies birgt jedoch einigen Zündstoff, denn in der Bevormundung der Mieter durch die „Verbrauchsdisponenten“ prallen mit den Eigentumsrechten des Vermieters und der Informationsfreiheit des Mieters zwei Grundrechte aufeinander.

[1] Michael Schmittmann: Wem gehört das Inhouse-Telefonkabel? MMR 8 (2009) 520–525

[2] Martin Geppert, Jens Schulze zur Wiesche: Wer darf ins Haus? MMR 6 (2010) 388–392 (jk)