Digitaler OP: Wie das UKE den Operationssaal der Zukunft realisiert
Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf digitalisiert seine OP-Räume – mit viel Glasfaser. Für IT-Sicherheit ist auch dank physischer Netztrennung gesorgt.
Eine Videokonferenz läuft in einem OP-Raum des UKE. Das Technik-Team ist zu Vorführungszwecken "On Air".
(Bild: Marie-Claire Koch / heise medien)
Wer durch den Schleusenflur die Operationssäle der Martini-Klinik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) betritt, kommt in eine Welt, die zugleich an ein Zukunftslabor, eine Raumstation und eine Präzisionswerkstatt erinnert. Leises Summen, sterile Luft, kontrollierte Bewegungen: Hier findet keine Science-Fiction statt, sondern moderne Hochleistungsmedizin – in einem der ersten vollständig digital vernetzten Operationssäle Europas.
Minimalinvasiv – maximal vernetzt
An diesem Morgen steht eine Roboter-assistierte Prostata-Operation an. Der Operateur, Herr Prof. Dr. Alexander Haese, leitender Arzt der Martini-Klinik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf sitzt konzentriert an der Konsole, blickt in ein hochauflösendes 3D-Sichtsystem, während vier Roboterarme millimetergenaue Bewegungen im Körper des Patienten ausführen. Gleichzeitig kommentiert er für ein internationales Publikum, wie er mithilfe des Robotersystems die Entfernung der Prostata vornimmt. Auf den großen Monitoren erscheint währenddessen jedes Detail des Eingriffs in gestochen scharfen Bildern.
Beeindruckend ist nicht nur die Operationsmethode, sondern auch das unsichtbare Netz im Hintergrund: ein hochsicheres Video- und OP-Managementsystem, das alle Bild-, Ton- und Diagnostikdaten der Operation in Echtzeit verwaltet und verteilt.
"Früher musste für jedes Gerät das passende Kabel und die zugehörige Schnittstelle gesucht werden", erklärt David Rickert, IT-Lösungsarchitekt Collaboration & eHealth am UKE, während er über das Touchdisplay der Nutzeroberfläche für das Videosystem streicht. "Heute schließen wir alles über einen Standardstecker an, ziehen das Vorschaubild von der Kamera auf den Bildschirm – und schon läuft die Verbindung – unkomprimiert und ohne Delay."
72 bis 96 Glasfasern führen aus jedem OP-Saal in die zentralen Technikräume. Alle Video-, Steuer- und Kommunikationssignale laufen dort zusammen, weit entfernt von den sensiblen hygienischen Bereichen. In einer Glaswand auf der anderen Seite des Korridors sieht man Racks voller Technik – leise blinkende Server, die das digitale Rückgrat dieser modernen Chirurgie bilden.
Null Latenz, maximale Präzision
Die technische Basis bildet ein modulares System des Herstellers Caresyntax mit einer AV-over-IP-Plattform von Barco. Die Entscheidung, unkomprimierte Signale ĂĽber 10-Gigabit-Glasfasernetze zu ĂĽbertragen, war essenziell.
Jede Millisekunde Verzögerung könnte bei minimalinvasiven chirurgischen Eingriffen fatale Folgen haben. Besonders bei bildgebenden Verfahren (die beispielsweise in der Endoskopie und Laparoskopie eingesetzt werden) müssen Bewegungen ohne spürbare Zeitverschiebung übertragen werden.
"Wenn der Operateur eine Millimeterbewegung ausführt, muss das Live-Bild in Echtzeit dargestellt werden", erklärt Rickert und zeigt dabei auf den Monitor, der jede Kameraperspektive verzögerungsfrei anzeigt.
Das System lässt sich flexibel konfigurieren: Es können parallel Endoskopiebilder, MRT-Aufnahmen, Vitalparameter und Patient:innendaten gezeigt werden – alles steuerbar über die einheitliche Oberfläche.
Videos by heise
Sicherheit durch Isolation
Eine der größten Herausforderungen in der Implementierung des Video- und OP-Managementsystems lag im Spannungsfeld zwischen Cyberresilienz und Arbeitspraxis. Das System ist physisch vom Internet getrennt und kein einziges Datenpaket kann den besonders geschützten OP-Bereich verlassen. Und doch lassen sich Telekonsile, Lehraufzeichnungen und Live-Übertragungen durchführen. Möglich machen das Hardware-basierte, gesondert betriebene Videokonferenzsysteme von Cisco, die lediglich über eine Audio/Video Anbindung an das OP-System verfügen. Wenn Studierende oder Kollegen aus anderen Kliniken zugeschaltet werden, geschieht das nach einem klar definierten Protokoll über den hausinternen Cisco-Meeting-Server. Versehentlich einen Call starten funktioniert nicht. WebRTC und SIP-basierte Verbindungen ermöglichen den Live-Zugang, ohne dass der Schutzwall des internen Netzes geöffnet wird. IT-Sicherheit hat höchste Priorität im UKE. Das über 200-köpfige Team der hauseigenen IT-Abteilung überarbeitet hierfür regelmäßig die Schutzkonzepte und lässt diese wiederkehrend im Rahmen der BSI Grundschutz-Zertifizierung auditieren.
Nach der Operation demonstriert Rickert im leeren Saal die Video- und OP-Management-Technik. Der Raum strahlt mit seinen Oberflächen eine fast unwirkliche Sterilität aus und in die Wand ist ein großformatiger Bildschirm eingelassen. Auf dem gläsernen Controlpanel können mit einer simplen Handbewegung Quellen und Ziele verbunden werden: die Raumkamera auf den Hauptmonitor, Patientenakte oder das Röntgenbild auf einen der Bildschirme über dem OP-Tisch.
"Das Ganze funktioniert wie ein interaktives Mischpult", erklärt er. "Ich kann den KIS-Arbeitsplatz, also unser Krankenhausinformationssystem, aufrufen, radiologische Befunde einblenden und bei Bedarf eine Aufnahme starten – und das alles über ein Interface." Mehrere Systeme – die chirurgischen Geräte, das KIS, die Videokonferenzanlage, die DICOM-Weiche für den Import von Metadaten – sind über standardisierte Schnittstellen verbunden. Die Integration ist robust konzipiert, auch bei einem temporären Netzausfall kann ein "Notfall-Benutzer" lokal am System weiterarbeiten.
Moderne Operation im UKE (15 Bilder)

Marie-Claire Koch / heise medien
)Für die umfassende Planung und die reibungslose Inbetriebnahme der neuen Geräte in den verschiedenen OP-Sälen war Medizintechnik-Projektleiter Sven Scholz verantwortlich: "Die aufwendige Umsetzung ist ein positives Beispiel für die hervorragende interdisziplinäre Zusammenarbeit von Medizintechnik, IT, Facility Management, OP und externen Firmen."
Er ist auch wieder dabei, wenn im gesamten UKE in mehreren Bauabschnitten insgesamt 49 OP-Säle auf den digitalen Standard umgerüstet werden. Das Projekt begann 2023 mit 16 Sälen im Hauptgebäude (O10) und wird bis 2027 abgeschlossen sein. Als Nächstes wird die Technik in das neue Herzzentrum (O60) und das Kinder-UKE (O47) eingebracht. Die Umrüstung erfolgt im laufenden Betrieb – ein Balanceakt unter Zeitdruck, der genaue Absprachen zwischen den Technikteams, OP-Teams und der Krankenhaushygiene erfordert. "Zwei Säle pro Wochenende durften zeitweise außer Betrieb gehen", erinnert sich Kai Krügener, IT-Projektleiter des UKE.
Der Ablauf war akribisch geplant: Donnerstagnachmittag schloss der OP und die Baustelle wurde eingerüstet, am Freitag begannen die handwerklichen Arbeiten für die Installation der Glasfaserleitungen, Bedienkonsolen und Kamerasysteme. Parallel arbeiteten Elektriker und Medizintechniker, während Projektleiter und Fachplaner den Ausbau millimetergenau überwachten und dokumentierten. Samstagmittag erfolgte die Inbetriebnahme der Verkabelung, Sonntag die Fehlerprüfung, Reinigung, Luftmessung und die hygienische Endabnahme.
Selbst kleinste Arbeitsschritte – das Abdichten von Bohrlöchern, das Justieren der Laminar-Air-Flow-Anlage oder das Entfernen von Staub während der Endreinigung – wurden mehrfach kontrolliert. Zwischen Glasfaserverlegung, CE-Konformität der Kameragehäuse und Anforderungen der Krankenhaushygiene liefen Medizintechnik-Planung, Bauleitung und IT-Projektteams Hand in Hand. Erst wenn alle Hygieneproben bestanden waren, durften am Montagmorgen wieder Patient:innen im Saal operiert werden. "Am Ende war das fast wie eine OP am offenen Herzen des Krankenhauses", sagt Rickert rückblickend.
Förderung und Weitblick
Das Projekt konnte auch dank einer Förderung aus dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) realisiert werden. Für den von der IT-Anwendungsbetreuung und der Medizintechnik verantworteten laufenden Betrieb, der nicht durch die Förderung abgedeckt ist, hat das UKE ältere Bestandssysteme durch das neue Video- und OP-Managementsystem ersetzt. So konnten die OP-Prozesse deutlich optimiert werden, was sowohl die Effizienz als auch die Funktionalität spürbar verbessert.
Das Video- und OP-Managementsystem wurde so konzipiert, dass es mit zukünftigen Anforderungen wachsen kann und Erweiterungen oder Umbauten möglich sind. Wenn künftig etwa 8K Auflösungen im OP zum Standard werden, oder künstliche Intelligenz Arbeitsabläufe analysiert und weitere Aufgaben übernimmt, ist die technische Basis hierfür bereits gelegt.
Das UKE bringt für solche Innovationen bereits Erfahrung mit, denn die hauseigene IDM gGmbH bündelt seit ihrer Gründung 2024 fundiertes Know-how aus der seit 2009 etablierten voll digitalen Patient:innenakte. Hier werden unter anderem leistungsstarke Large Language Models (LLMs) im eigenen Rechenzentrum trainiert und erprobt. Ein erstes Ergebnis ist Orpheus, ein medizinischer Sprachassistent, der Fachsprache präzise transkribiert und kontextsensitiv in die Dokumentation einbindet – und damit den Dokumentationsaufwand für Chirurgen und Krankenhauspersonal spürbar reduziert.
Viele Kliniken in Deutschland erkennen inzwischen den wachsenden Bedarf an digitalisierter OP-Infrastruktur. Die beim UKE integrierte Lösung stößt dabei auf großes Interesse und dient zunehmend als Blaupause für den Ausbau digitaler OP-Architekturen. Dies zeigt, wie wichtig vernetzte und zukunftsfähige OP-Systeme für moderne Kliniken geworden sind.
Das Konzept – klare Netztrennung, standardisierte Anschlüsse, intuitive Bedienung und verteilte Intelligenz – lässt sich auf Neubauten und bestehende Häuser übertragen. "Man denkt am Anfang, man baut nur ein paar Monitore ein", sagt Rickert schmunzelnd. "Aber in Wahrheit plant man das Nervensystem des gesamten OP-Bereichs neu."
Mehr als Hightech: ein Kulturwandel
Die größte Veränderung findet nicht am OP-Tisch, sondern in der Arbeitsweise statt: Wo Chirurginnen und Chirurgen früher ihr Umfeld selbst koordinieren mussten, sorgt heute smarte Technik dafür, dass alle relevanten Informationen im richtigen Moment bereitstehen. Mit wenigen (Touch-)Bewegungen lassen sich benötigte Datenquellen in Sekundenschnelle auf den gewünschten Bildschirm holen.
Während sich die Ärztinnen und Ärzte auf den Eingriff und die Steuerung von medizinischen Geräten konzentrieren, unterstützt das Video- und OP-Managementsystem bei der Dokumentation, Bildarchivierung und ermöglicht, das Vorgehen später für Bildung und Forschung zu analysieren. All das steht für einen neuen Umgang mit Digitalisierung – nicht als Experiment, sondern als fester Bestandteil klinischer Routine: verlässlich, transparent, alltagstauglich: "dass dabei Datenschutz und Innovationsgeist Hand in Hand gehen können, zeigt das Projekt," sagt Rickert. "Fortschritt ist möglich, ohne Kompromisse bei der Sicherheit einzugehen".
Umfangreich überarbeitet und Zitate ergänzt.
(mack)