Wenn jede Minute zählt: Predictive Maintenance in der modernen Landwirtschaft

Maschinenausfälle in der Landwirtschaft können die Ernte und die Existenz bedrohen. Smarte Sensoren und KI-gestützte Wartung sollen vorbeugen.

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Zwei Mechatroniker reparieren einen Mähdrescher

(Bild: Vladimir Mulder / Shutterstock.com)

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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Auf der Systems & Components, die derzeit im Rahmen der Agritechnica in Hannover stattfindet, können sich Besucher über neue Technologien für mobile Arbeitsmaschinen informieren. Ein zentrales Thema sind smarte Sensoren und KI-gestützte Wartungsvorhersagen für Landmaschinen – denn bei Ernte und Aussaat kann ein Maschinenausfall zur Existenzbedrohung werden.

Anders als in der Industrie, wo Produktionslinien oft rund um die Uhr laufen und Wartungsfenster planbar sind, unterliegt die Landwirtschaft den unberechenbaren Launen der Natur. Wenn das Wetter stimmt und die Ernte reif ist, entscheiden oft wenige Tage oder sogar Stunden über den Erfolg einer ganzen Saison. Ein Mähdrescher, der mitten in der Getreideernte ausfällt, oder ein Traktor, der während der zeitkritischen Aussaat den Dienst versagt, kann für Landwirte schnell zur existenziellen Bedrohung werden. Umso wichtiger wird es, Maschinenausfälle nicht nur zu reparieren, sondern sie bereits im Vorfeld zu verhindern.

Diese Realität macht Predictive Maintenance – die vorausschauende Wartung anhand von Sensordaten und KI-Analysen – zu einer Schlüsseltechnologie für die moderne Landwirtschaft. Während in anderen Branchen die Optimierung von Wartungskosten im Vordergrund steht, geht es hier um weit mehr: um die Sicherung der Ernährungsgrundlage und die wirtschaftliche Existenz der Betriebe.

Das Grundprinzip basiert auf der kontinuierlichen Überwachung von Maschinenzuständen durch Sensoren und der intelligenten Auswertung der gewonnenen Daten. Zunächst werden Normwerte definiert, die den fehlerfreien Betrieb charakterisieren. Sensoren erfassen dann fortlaufend Parameter wie Vibrationen, Temperaturen, Drücke oder Drehmomente an kritischen Komponenten.

Machine-Learning-Algorithmen verarbeiten diese Datenströme, vergleichen sie mit Erfahrungswerten und erkennen Muster, die auf einen anstehenden Wartungsbedarf hinweisen. Sie lernen aus Abweichungen und identifizieren Verschleiß frühzeitig – lange bevor es zu Ausfällen kommt.

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Landmaschinen sind extremen Bedingungen ausgesetzt: Staub, Feuchtigkeit, große Temperaturschwankungen und permanente Vibrationen belasten die Technik. Dabei müssen die Geräte während der Erntezeit oft 16 Stunden am Tag laufen – Ausfallzeiten sind kaum tolerierbar.

Moderne Systeme nutzen daher eine Vielzahl intelligenter Sensoren. Vibrationssensoren an Getrieben und Lagern erfassen kleinste Unregelmäßigkeiten, Temperatursensoren überwachen Motoren und Hydrauliksysteme, Drucksensoren erkennen Undichtigkeiten oder verstopfte Filter.

Ein Beispiel lieferte Caterpillar mit sensorgestützten Kettenlaufwerken im vergangenen Jahr. Das System empfiehlt eine erste Sichtung bei 40 % Verschleiß und einen Austausch bei 100 % Verschleiß. Laut Andreas Kurz, Senior Produktmanager Laufwerke bei Zeppelin, sind "aktuell [...] bereits 64 Cat Maschinen damit in Deutschland im Einsatz. Ein Sensor hat auch schon ausgelöst und so konnte ein Maschinenausfall sowie eine Reparatur verhindert werden".

Die eigentliche Revolution liegt nicht in den Sensoren selbst, sondern in der datengetriebenen Auswertung. Algorithmen erkennen individuelle Verschleißmuster – ein Mähdrescher auf steinigem Boden verhält sich anders als einer auf Lehmboden.

Ziel ist, anhand aktueller und historischer Daten den Zeitpunkt vorherzusagen, an dem ein Schaden wahrscheinlich wird. Neben Sensordaten fließen Faktoren wie Einsatzdauer, Wetterbedingungen oder Fahrverhalten ein. Je länger ein System im Betrieb ist, desto präziser werden die Vorhersagen. Schon ein leicht erhöhter Vibrationswert kombiniert mit minimal steigender Temperatur kann Wochen vor einem Ausfall Alarm auslösen.

Digitale Zwillinge gelten laut DLG-Brand-Managerin Petra Kaiser als eine der wichtigsten Innovationen im Off-Highway-Sektor. Sie ermöglichen als virtuelle Simulationen realer Maschinen auch die Analyse von Ausfallszenarien für bisher nicht beobachtete Fälle.

Über Telematik vernetzte Maschinen lassen sich in Serviceökosysteme einbinden. Werkstätten können automatisch alarmiert werden und Ersatzteile bestellen, noch bevor der Landwirt das Problem bemerkt.

"Störungen und Defekte im Vorfeld erkennen und Wartungsmaßnahmen zeitnah ergreifen – das sind nicht nur für Landmaschinenhersteller, Lohnunternehmer und Landwirte ausschlaggebende Faktoren, um effizient zu arbeiten", so Kaiser.

Die Entwicklung geht in Richtung stärkerer Vernetzung und Automatisierung. Zukünftig sollen Systeme ganze Maschinenparks koordinieren können. Erkennt das System einen Wartungsbedarf, kann automatisch eine Ersatzmaschine eingeplant werden.

Auch die Integration mit Smart-Farming-Daten wird zunehmen: Wetterprognosen, Bodensensoren und Satelliteninformationen können in die Wartungsplanung einfließen. Wenn sich optimale Erntebedingungen abzeichnen, könnte das System präventiv Wartungsempfehlungen ausgeben.

Bereits vor einem Jahrzehnt wurden die Grundlagen gelegt. Damals zeigte SAP am Beispiel der Wasserwerke Los Angeles, wie sich durch vorausschauende Wartung Techniker mit passenden Ersatzteilen gezielt disponieren lassen.

Wie effektiv Predictive Maintenance sein kann, zeigt ein aktuelles Beispiel aus dem ÖPNV. Ein Verkehrsunternehmen mit über 10 Millionen Fahrgästen pro Monat hat KI-gestützte Wartungsvorhersagen systematisch eingeführt. Ein Machine-Learning-Modell analysiert kontinuierlich Diagnosedaten der Fahrzeuge, erkennt frühzeitig Defekte und löst automatisch Informationsprozesse für Fahrgäste und Disponenten aus.

Die Architektur umfasst Machine-Learning-Modelle, Datenpipelines, Infrastruktur für Machine Learning Operations (MLOps) sowie Prozesse für Monitoring und kontinuierliches Training – Konzepte, die sich auch auf Landmaschinen anwenden lassen.

(vza)