KI nimmt uns die Jobs weg – wenn wir Glück haben

Angesichts der demografischen Entwicklung sollten wir begrüßen, wenn KI künftig Jobs ersetzt, statt sie dabei zu bremsen, findet unser Autor Bertram Sändig.

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Ein Mann steht vor dem Hologramm eines Humanoiden.

(Bild: Shutterstock)

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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Technologieprognosen können wie Drohungen klingen: „Die KI wird deinen Job ersetzen.“ Wenn man den Tech-Eliten zuhört, scheint dies keine Frage des Ob, sondern nur noch des Wann zu sein. Die Prognosen aus dem Silicon Valley sind eindeutig und radikal.

Ein Beitrag von Bertram Sändig

Bertram Sändig leitet das ML-Team bei ontolux (Neofonie GmbH).

Sam Altman, der Kopf hinter OpenAI, plädierte schon 2021 in seinem Essay „Moore’s Law for Everything“ dafür, dass wir uns auf eine Welt vorbereiten müssen, in der KI den Großteil der Wertschöpfung übernimmt – und wir als Konsequenz zwangsläufig ein bedingungsloses Grundeinkommen brauchen, finanziert durch die astronomischen Gewinne einiger weniger KI-Konzerne.

Elon Musk stößt ins selbe Horn. Arbeit, so Musk, werde in Zukunft „optional“. Jensen Huang, CEO von NVIDIA, riet jüngst Eltern davon ab, ihren Kindern das Programmieren beizubringen – die KI werde das übernehmen. Und Emad Mostaque von Stability AI setzte noch einen drauf: In fünf Jahren, so seine provokante These, gäbe es gar keine menschlichen Programmierer mehr.

Diese Rhetorik dient wahrscheinlich auch dem Aktienkurs. Wer seine KI als allmächtig inszeniert, freut die Shareholder. Doch selbst abzüglich des Hypes bleibt der Kern plausibel: Die Technologie ist mächtig genug, um unsere Arbeitswelt zu erschüttern.

Dass diese Prognosen Angst machen, ist verständlich. Arbeit ist für uns mehr als Einkommen. Sie ist Identität, Zugehörigkeit und Stolz. Es überrascht also nicht, dass der Ruf nach der „Notbremse“ immer lauter wird. Über 1.000 Wissenschaftler und Unternehmer, darunter Elon Musk und Steve Wozniak, forderten 2023 etwa in einem offenen Brief eine sofortige, sechsmonatige Pause beim Training von KI-Modellen, die mächtiger sind als GPT-4. Das Motiv: Angst vor Kontrollverlust.

Auch in Deutschland regt sich Protest. So forderte die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di einen „Einsatz-Stopp generativer KI“ in Betrieben, solange Fragen zu Urheber- und Persönlichkeitsrechten nicht geklärt sind. Wir sehen hier moderne Varianten der Maschinenstürmer der Industrialisierung: der Versuch, den Status quo einzufrieren, um den disruptiven Schmerz zu verhindern.

Ich möchte hier aber eine unbequeme These vertreten: Egal, wie unsympathisch und fremd uns die Tech-Elite im Silicon Valley erscheinen mag – wir sollten hoffen, dass sie recht behält.

Denn wir sind auf den massiven Wandel, den sie beschreiben, angewiesen. Wir müssen ihn nicht nur tolerieren, sondern aktiv beschleunigen. Moratorien oder übervorsichtige Regulierung würden einer übertriebenen Immunreaktion des Körpers gleichen, wobei der Versuch, das „Fremde“ abzuwehren, am Ende am Organismus weit mehr Schaden anrichtet als die Krankheit selbst.

Lassen wir die Science-Fiction-Szenarien aus dem Silicon Valley kurz beiseite und schauen auf die deutsche Realität: Wir steuern auf eine demografische Klippe zu, die in der Geschichte moderner Industrienationen fast beispiellos ist. Um die Tragweite zu verstehen, braucht es einen Blick auf einen simplen Mechanismus der Volkswirtschaftslehre.

Wirtschaftskraft entsteht vereinfacht aus zwei Dingen: Wie viele Menschen arbeiten – und wie produktiv sie sind. In den vergangenen Jahrzehnten hatten die OECD-Staaten eine „demografische Dividende“: Die Babyboomer traten in den Arbeitsmarkt ein, vergrößerten das Arbeitsangebot, hielten Löhne stabil und steigerten gleichzeitig die Nachfrage. Dieser Zyklus hat sich nun vollständig umgekehrt.

Der Internationale Währungsfonds und die OECD warnen: Ohne Gegenmaßnahmen wird das globale Wachstum zwischen 2025 und 2050 um rund 1,1 Prozentpunkte niedriger ausfallen als zuvor – und etwa drei Viertel dieses Einbruchs gehen direkt auf den demografischen Wandel zurück.

Warum? Weil eine alternde Volkswirtschaft in drei Richtungen gleichzeitig ausblutet:

  1. Arbeitskräftemangel: Weniger Erwerbstätige bedeuten weniger Produktionskapazität. Das ist der am schnellsten sichtbare Schaden.
  2. Strukturwandel: Eine alternde Gesellschaft kauft weniger Autos und mehr Pflege. Wir verschieben uns also von gut automatisierbaren Industriegütern hin zu bisher schwer skalierbaren Dienstleistungen.
  3. Kapitalverzehr: Rentner „entsparen“, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Das reduziert den globalen Kapitalstock und treibt tendenziell die Zinsen. Genau in dem Moment, in dem wir massiv Kapital bräuchten, um in Technologie zu investieren, wird Geld teurer.

Wer wissen will, was das in der Praxis bedeutet, muss nach Südkorea schauen – zum „demografischen Nullpunkt“. Mit einer Fertilitätsrate von weltweit niedrigsten 0,72 (weit entfernt von den nötigen 2,1) droht das potenzielle BIP-Wachstum bis 2050 gegen null zu tendieren.

Südkorea reagiert mit der aggressivsten Automatisierungsstrategie der Welt: über 1.000 Industrieroboter pro 10.000 Beschäftigte – globaler Spitzenwert. Nicht, weil Roboter billiger wären. Sondern, weil es ohne sie gar nicht mehr geht. Und gleichzeitig zeigt uns das Land noch ein weiteres Problem: Während die Bevölkerung schrumpft, wandern hochqualifizierte Talente ins Ausland ab. Technik kann den Verlust an Masse kompensieren, aber nur schwer den Verlust an Innovationskraft.

Das ist der Grund, weswegen wir KI und die daraus folgende Automatisierung begrüßen sollten – auch wenn sie extrem disruptiv und beängstigend wirkt. Die Alternative – der verzweifelte Versuch, den Status quo allein mit unserer schwindenden menschlichen Arbeitskraft zu retten – steuert auf einen rechnerisch unvermeidbaren Kollaps zu.

Eine naheliegende Antwort auf dieses Dilemma lautet: Migration. Doch die verfügbaren Daten zeichnen ein ernüchterndes Bild. Aladin El-Mafaalani, Professor für Migrations- und Bildungssoziologie an der TU Dortmund, zeigt, dass in den kommenden 15 bis 20 Jahren jährlich rund 1,2 bis 1,3 Millionen Menschen in den Ruhestand gehen, während lediglich etwa 800.000 junge Menschen neu in den Arbeitsmarkt eintreten. Eine strukturelle Lücke von 400.000 bis 500.000 Arbeitskräften pro Jahr.

Gleichzeitig weist er darauf hin, dass die Migration der vergangenen Jahrzehnte diese Schieflage nur teilweise kompensieren konnte. Selbst optimistische Zuwanderungsszenarien schließen die entstehende Lücke daher rechnerisch nicht. Hinzu kommt, dass Deutschland im globalen Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte mit Ländern wie den USA und Kanada konkurriert – und dabei oft die schlechteren Karten hält.

Fehlende Digitalisierung, hohe Steuerlast, kafkaeske Bürokratie und eine hartnäckige Allergie gegen die englische Sprache im Arbeitsmarkt – all das schmälert den gewaltigen Pull-Faktor, den unsere hübschen Lederhosen haben mögen. Auf eine Strategie zu wetten, für die sowohl die politische Akzeptanz als auch die Standortattraktivität fehlt, ist keine Strategie, sondern träumerische Hoffnung.