Französisches Parlament will Verbreitung von P2P-Software verbieten

Nach einer Marathonsitzung hat die Nationalversammlung die Aussprache über den umstrittenen Entwurf zur Reform des Urheberrechts beendet, der nun von zahlreichen Kuriositäten gekennzeichnet ist.

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Nach einer Marathonsitzung hat die französische Nationalversammlung um 3.55 Uhr des heutigen Freitagmorgens die Aussprache über den heftig umstrittenen Entwurf zur Reform des Urheberrechts beendet. Über den fertigen Gesetzestext, der noch einmal mit mehreren Änderungsanträgen ergänzt wurde, sollen die Abgeordneten am kommenden Dienstag endgültig abstimmen. Der im Verlauf einer insgesamt gut 100-stündigen Debatte produzierte Entwurf ist aber von zahlreichen Kuriositäten entlang der Hauptstreitpunkte zur rechtlichen Behandlung von Tauschbörsen, Systemen zum digitalen Rechtekontrollmanagement (DRM) und der Privatkopie geprägt.

Dies zeigt sich am deutlichsten beim drohenden allgemeinen Verbot von DVD-Kopien, das einerseits nun doch entgegen der Absicht der französischen Regierung nicht absolut sein und Verbrauchern Möglichkeiten zum Vervielfältigen für private Zwecke offen lassen soll. Andererseits sieht der Entwurf aber vor, dass erst ein einzusetzendes Mediationskomitee über die konkrete Anzahl der erlaubten Privatkopien entscheiden wird. Dieses kann nach dem Willen des Gesetzgebers auch beschließen, dass doch keine einzige Vervielfältigung freigegeben wird.

Die größten Auswirkungen dürfte ein beschlossener und nicht mehr für eine erneute Debatte geöffneter Änderungsantrag entfalten, der aufgrund seiner Herkunft und Lobby-Unterstützung allgemein nur noch als Vivendi-Universal-Paragraph bezeichnet wird. Ihm zufolge soll mit bis zu drei Jahren Haft und einer Geldstrafe von bis zu 300.000 Euro belegt werden, wer "wissentlich" und öffentlich Software verbreitet, die "offensichtlich darauf ausgerichtet ist", den unautorisierten Zugang zu geschützten Werken oder anderen Objekten zu gestatten. Selbst die Verbreitung von Hinweisen zu solchen Programme kann demnach genauso streng geahndet werden. Der klar gegen P2P-Software gerichtete Artikel soll laut dem für das Gesetz zuständigen Parlamentsberichterstatter, Christian Vanneste, aber nicht Programme betreffen, die Telekooperation, Forschung oder den Austausch nicht vergütungspflichtiger Werke ermöglichen.

Kritiker sind dennoch der Auffassung, dass der Paragraph Kollateralschäden verursachen dürfte. Das Infozentrum EUCD.info (European Copyright Directive) geht davon aus, dass mit der "surrealistischen" Klausel neben Chat-Programmen letztlich sämtliche Server-Software und -Protokolle wie P2P, HTTP, FTP oder SSH ins juristische Zwielicht abgleiten. Da alle Applikationen angesprochen würden, welche für das Verfügbarmachen geschützter Dateien in Frage kommen, könnte dies auch gängigen Praktiken zur Veröffentlichung freier Software einen Todesstoß versetzen. Betroffen sein könnten den Gegnern der Klausel zufolge auch Open-Source-Applikationen zum Abspielen von Multimedia-Dateien wie VLC vom VideoLAN-Projekt, da diese den Zugriff auf DVDs mit DeCSS-Verschlüsselung erlauben. Laut dem oppositionellen sozialistischen Abgeordneten Patrick Bloche ist zu befürchten, dass "französische Firmen, Ingenieure und Forscher auswandern und Software jenseits unserer Grenzen entwickeln werden". Andere Parlamentarier sprachen von einem "Todesstoß für freie Software".

Das Ruder noch herumreißen konnte die Opposition mit Hilfe einiger Abgeordneter aus der Regierungspartei UMP am frühen Morgen beim ebenfalls heftig umkämpften Artikel 7, der sich mit dem Schutz für technische Kopierblockaden und DRM beschäftigt. So hat das Parlament Änderungsanträge mit einer relativ breiten Klausel für die Herstellung von Interoperabilität verabschiedet. Demnach müssen die technischen Ausrüster von Kopierschutzmechanismen alle technischen Informationen herausgeben, die für das nahtlose Zusammenspiel verschiedener Systeme und Abspielgeräte erforderlich sind. Allerdings nicht direkt an private Nutzer, sondern zunächst an eine gerichtliche Vermittlungsstelle, die über die Weitergabe der Schlüsseldaten entscheiden soll. Mit der Vorkehrung, die insbesondere Firmen wie Microsoft, Apple oder andere DRM-Großanwender träfe, stünde der Dekompilierung von Schutzmechanismen wenig im Wege. Der Änderungsantrag, dessen Vereinbarkeit mit dem Vivendi-Universal-Artikel offen ist, steht aber noch in einer Zusatzdebatte zur Disposition.

Unterschiedliche Reaktionen hat auch das vorläufig abgesegnete Szenario der "abgestuften Antwort" auf Rechtsbrecher in Tauschbörsen hervorgerufen. Ihm zufolge könnten Nutzer, die einmalig "ein oder mehrere" Werke aus P2P-Netzen saugen und dabei erwischt werden, mit 38 Euro Strafe davonkommen. Doch schon beim meist standardmäßig miterfolgenden Upload von Dateien drohen bereits 150 Euro Bußgeld. Die Strafen erhöhen sich beim stärkeren Konsum an sich kopiergeschützter Werke per Filesharing bis hin zu 300.000 Euro Geldstrafe und Gefängnis bis zu zwei Jahren für Personen, die Nutzer in großem Stil zum illegalen Treiben in Tauschbörsen anleiten oder Raubkopien gewerblich unters Volk bringen.

Während Vertretern der Unterhaltungsindustrie die Einstiegsstrafen als zu gering erscheinen, halten Verbraucherschützer den gesamten Ansatz für falsch. Sie beklagen, dass mit dem System faktisch ein Auskunftsanspruch gegen Provider installiert werden soll und die Industrie dabei trotz der vorgeschlagenen Einschaltung einer zusätzlichen staatlichen Vermittlungsinstanz wertvolle Informationen für weitergehende zivilrechtliche Klagen erhalten könnte. Zudem monieren die Konsumentenvertreter, dass eine Überprüfung des Zusammenhangs zwischen eingesammelten IP-Adressen und der Identität der damit in Verbindung gebrachten Nutzer nicht vorgesehen sei. (Stefan Krempl) / (pmz)