Zahlen, bitte! 85 geheimnisvolle Zeichen der Cherokee-Silbenschrift
Um den Kontakt mit den britischen Kolonisten zu verbessern, entwickelte der Cherokee Sequoyah eine eigene Stammes-Schrift mit 85 Zeichen.
Die Cherokee sind noch heute das größte indigene Volk Nordamerikas. Gegen die "sprechenden Blätter" der Engländer und der abtrünnigen Kolonisten, mit denen sie Verträge schlossen, entwickelten der Cherokee Sequoyah eine eigene Schrift auf der Basis der von ihnen gesprochenen Sprache.
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Seine Silbenschrift mit 85 Zeichen war schneller zu erlernen als der Buchstabensalat der englischen Sprache mit seinen 26 Zeichen und sorgte bald dafür, dass um 1828 der Großteil der Cherokee lesen konnte. Anders erging es seinen Zahlzeichen auf der Basis der gesprochenen Zahlen von eins bis neunzehn. Sie gerieten bald in Vergessenheit. Erst 2012 wurden sie wieder durch das Cherokee Language Consortium in den Unterricht an Schulen eingeführt und dabei um die Zahl 0 ergänzt.
Noch in seiner Zeit als Krieger bei der Unterstützung britischer Truppen gegen die Franzosen hatte der Cherokee Sequoyah (britischer Name George Guess oder Gist) bemerkt, wie sich die Truppenteile mithilfe von Kurieren und "sprechenden Zetteln" verständigten. Er debattierte mit seinen Gefährten, wie das funktionieren könnte. Während sie an einen Zauber im Papier glaubten, dachte er mehr an Zeichen im Sinne der Piktogramme, die die Sioux und Ojibwe verwendeten, um Geschichten zu erzählen.
(Bild: Lehman and Duval, es ist eine 1850 erstellte Kopie: Das von Charles Bird King gemalte Original aus dem Jahr 1828 ging bei einem Brand unwiederbringlich verloren. )
Nach einer Knieverletzung kampfunfähig geworden, begann Sequoyah mit der Entwicklung einer solchen Schrift, brach sie aber ab, nachdem er etwa 2000 Zeichen entwickelt hatte. Erst die Konzentration auf die Silben der gesprochenen Cherokee-Sprache brachte den Durchbruch. Mit Unterstützung seiner besser hörenden Tochter Akoya entwickelte er 86 Zeichen (PDF-Datei), die er dem Cherokee Council präsentierte. Sie wurden 1825 akzeptiert und verbreiteten sich schnell dank der ab 1818 erscheinenden Zeitung Cherokee Phoenix. Nach Berechnungen von Brad Montgomery-Anderson konnten vor dem Trial of Tears, der gewaltsamen Umsiedlung der Cherokee nach Oklahoma, 90 Prozent der Cherokee lesen.
Die Sprache der Cherokee besitzt einzelne Worte für die Zahlen Eins bis Neunzehn, bei zwanzig geht es mit Doppel-Zehn weiter. Dementsprechend entwarf Sequoyah einzelne Zeichen für die Grundzahlen und eine additive Darstellung für höhere Zahlen. Von diesem System ist nur ein einziger Entwurf erhalten geblieben, den der US-amerikanische Dichter John Howard Payne angefertigt hatte. Payne setzte sich sehr für die Belange der Cherokee ein, die er für einen der zehn verlorenen Stämme Israels hielt. Zwar akzeptierte der Rat der Cherokee die Zahlen von Sequoyah (PDF-Datei), doch konnte sich der Vorschlag nicht durchsetzen. Das System (PDF-Datei) geriet in Vergessenheit und wurde erst mit dem Vorhaben, Cherokee-Silbenschrift komplett in Unicode darzustellen, wieder aufgenommen und um Zahlen wie Null, Milliarde und Trillion erweitert. Sequoyas Systematik endete bei einer Million.
Zeile 1: 1–20 Zeile
2: 30, 40, 50, … 100
Zeile 3: 250, 360, 470, 590
Zeile 4: 1,200, 2,500, 10,000
Zeile 5: 20,000, 50,000, 100,000 Zeile 6: 500,000, 1,000,000
(Bild: CC BY-SA 4.0, MichaelSchoenitzer)
Die Sprachforscherinnen Ruth Bradley Holmes und Betty Sharp Smith erklären das damit, dass die Cherokee seit ihrem Erstkontakt mit den Spaniern arabische und römische Zahlen kannten und diese bei ihren Warengeschäften mit den Europäern nutzen mussten. Der Anthropologe Stephen Chrisomalis verwies darauf, dass die Schriftkultur (Literacy) der Cherokee akzeptiert werden konnte, während die eigene Rechenkultur (Numeracy) die Cherokee sie als rückständig in einem Amerika brandmarkte, das sich seinerzeit um Aufbruch befand.
Unter den rund 100 Zahlsystemen der Menschen, die seit Beginn schriftlicher Aufzeichnungen entwickelt wurden, waren die Zahlen der Cherokee eine Randerscheinung, so Chrisomalis. „Anstatt solche Versuche als ‚Sackgassen‘ (gegenüber dem westlichen Zahlensystem) zu bezeichnen, sollten wir sie lieber als Beweis für die Innovationsfähigkeit unserer Spezies sehen, sich die Welt zu erschließen.“
(mawi)