Mord en miniature: True-Crime-Doku „Crafting Crimes“ für Meta Quest ausprobiert
Die interaktive True-Crime-Doku „Crafting Crimes“ verleiht berühmten Kriminalfällen eine räumliche Dimension und führt damit zu den Wurzeln der Forensik.
„Crafting Crimes“ verspricht einen neuen Blick auf berühmte Verbrechen.
(Bild: Targo)
Die US-Amerikanerin Frances Glessner Lee schuf in den 1940er-Jahren aufwendige Miniaturen von Tatorten, die auf echten Kriminalfällen beruhen. Sie fertigte die Dioramen mit akribischer Genauigkeit, um Details wie Blutspuren, umgeworfene Möbel und andere Alltagsobjekte möglichst präzise nachzubilden. Aus der Distanz wirken sie niedlich wie Puppenhäuser, bis man genauer hinsieht.
Die Nachbildungen dienten als Lehrmodelle, mit denen angehende Ermittler und Gerichtsmediziner Tatorte methodisch analysieren, Schlüsse ziehen und Beweise sichern lernten. Heute wird Glessner Lee oft als „Mutter der Forensik“ bezeichnet, die Methodik und wissenschaftliche Standards der Disziplin maßgeblich voranbrachte. Da ihre Miniaturen bis heute als außerordentlich detailgetreu gelten, werden sie weiterhin in forensischen Seminaren eingesetzt.
Die True-Crime-Doku „Crafting Crimes“ für Meta Quest 3 ist von Glessner Lee inspiriert und rekonstruiert historische Kriminalfälle mithilfe von Miniaturmodellen. Als Vorlage dienen die Dioramen der zeitgenössischen Miniaturkünstlerin und True-Crime-Podcasterin Carol K. Ras, die sich der Weiterführung von Glessner Lees Arbeit verschrieben hat. Für „Crafting Crimes“ wurden ihre Nachbildungen berühmter Tatorte vollständig eingescannt und in die Mixed Reality gebracht.
Ikonische Kriminalfälle aus drei Epochen
Die True-Crime-Doku besteht aus drei Episoden, die sich ikonischen Kriminalfällen aus unterschiedlichen Epochen widmen: dem bis heute ungeklärten Mordfall um Lizzie Borden im Amerika des späten 19. Jahrhunderts, den Wonderland-Morden im Hollywood-Milieu der 1980er-Jahre sowie dem spektakulären Diebstahl der Mona Lisa im Paris der Belle Époque. Die erste Episode kann man seit Oktober kostenlos ausprobieren, die zweite ist seit vergangener Woche als kostenpflichtiger DLC verfügbar.
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Jede Episode gliedert sich in drei Abschnitte, die Mixed Reality und Handtracking nutzen. Den Auftakt bildet stets Carol K. Ras, die in einem großformatigen Videofenster mitten im Raum erscheint und in plastischer 3D-Darstellung in den jeweiligen Kriminalfall einführt. Anschließend geht es darum, den Schauplatz des Verbrechens Raum für Raum wie ein Puzzle zusammenzusetzen. Durch diese Visualisierung und Ras’ Ausführungen gewinnt man eine genaue Vorstellung der räumlichen Gegebenheiten. Ein gelungener Effekt: Bewegen wir die Hand in das 3D-Modell hinein, werden umgebende Wände und Möbel transparent und geben so den Blick in die Miniatur frei. Im letzten Abschnitt schließlich schrumpfen wir und tauchen in das fertig zusammengebaute Puppenhaus ein, wo der Tathergang von Ras chronologisch nacherzählt wird.
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Auf explizite Gewaltdarstellungen verzichtet die Erfahrung: Opfer und Täter erscheinen lediglich als Schatten, und selbst dort, wo im Hintergrund Tatortfotos zu sehen sind, etwa im Fall Lizzie Borden, ist darauf kaum etwas zu erkennen. Dadurch spielt sich das Geschehen größtenteils im Kopf des Zuschauers ab.
Narrativ spannend, aber kaum Interaktion
Durch den Wechsel der Perspektiven und den Einsatz von Darstellungstechniken, die sich die Stärken des Mediums Virtual Reality zunutze machen, werden die beiden Kriminalfälle packend vermittelt. Wie schon in früheren Arbeiten wie „Surviving 9/11“, „JFK Memento“ und zuletzt „D-Day: The Camera Soldier“ zeigt das Produktionshaus Targo, wie räumliche Darstellungsmittel historischen Ereignissen eine neue Unmittelbarkeit verleihen können.
(Bild: Targo)
„Die Raum-für-Raum-Rekonstruktion des Tatorts rückt die räumliche Dimension der Tat ins Zentrum des Verständnisses und legt dabei oft Hinweise offen, die in rein auditiven oder visuellen Formaten leicht übersehen werden“, sagt Regisseurin Chloé Rochereuil. „Gleichzeitig schafft die Ästhetik der Miniaturmodelle eine notwendige Distanz zur Gewalt. Sie erlaubt es, sich verstörenden Inhalten auf reflektierte Weise zu nähern, und wahrt dabei dennoch die Schwere der Ereignisse.“
Für uns blieb am Ende gleichwohl offen, welche besonderen Erkenntnisse sich durch die dritte Dimension und Miniaturen dieser Art aus den Kriminalfällen gewinnen lassen. Das dürfte zum einen an der kurzen Laufzeit von jeweils rund 20 Minuten pro Episode liegen, die kaum Raum für inhaltliche Tiefe lässt. Zum anderen beschränkt sich die Interaktivität auf das Zusammensetzen der Tatorte, weshalb wir „Crafting Crimes“ als interaktive Dokumentation und nicht als investigatives Spiel einordnen.
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Immerhin ist für Ende Februar ein Erkundungsmodus angekündigt, in dem Nutzer vollständig in die Miniaturen eintreten und diese frei erkunden können. Der Modus soll die Beobachtungsgabe schärfen und es ermöglichen, frei von narrativen Vorgaben eigene Zusammenhänge herzustellen – ganz im Sinne von Frances Glessner Lee.
„Crafting Crimes“ ist im Horizon Store für Meta Quest 3 und 3S verfügbar. Aktuell gibt es nur eine englische und französische Sprachversion, weitere sind in Vorbereitung. Die dritte Episode, die den Mona-Lisa-Raub des Jahres 1911 thematisiert, erscheint im März.
(tobe)