Verbrenner-Ende: Ein mögliches Aus vom Aus, das (fast) keines ist

Die Analyse zum Entwurf der EU-Kommission zur Überarbeitung des CO₂-Flottenmechanismus zeigt: Die Änderungen werden kaum eine Bedeutung haben.

vorlesen Druckansicht 169 Kommentare lesen
Motorraum Mitsubishi Outlander PHEV

Hybride, wie hier im Mitsubishi Outlander PHEV (Test), können auch nach 2034 in der EU erstmals zugelassen werden. Die Bedingungen dafür sind allerdings hoch.

(Bild: Martin Franz / heise Medien)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis
close notice

This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Gesetze sind von Menschen gemacht und können – anders als physikalische Naturgesetze – verändert werden: Die Europäische Kommission hat einen Vorschlag zur Neufassung des CO₂-Flottenmechanismus präsentiert. Dieser Entwurf wird anschließend mit dem Parlament und dem Rat im Trilog verhandelt. Gegenüber dem ursprünglichen Ziel enthält die Gesetzesinitiative aber lediglich minimale Aufweichungen: Der Rahmen für die Erstzulassung von Pkw mit Verbrennungsmotor über 2034 hinaus ist äußerst eng. Das Aus vom Aus findet nahezu nicht statt. Ein Profiteur der neuen Regeln könnte ausgerechnet Volkswagen sein.

Konkret sieht der Kommissionsvorschlag vor, dass der Durchschnitt der im Europäischen Wirtschaftsraum neu zugelassenen Pkw ab 2035 nicht um 100 Prozent gegenüber dem Ausgangsjahr 2021, sondern um 90 Prozent reduziert werden muss. Hier zeigt sich bereits, wie gering die geplante Überarbeitung ist.

Zwar dürfen formal sämtliche Antriebe mit Verbrennungsmotor (hybridisiert oder nicht) auch ab 2035 im Rahmen der verbliebenen zehn Prozent erstmals in der EU zugelassen werden. Die EU-Kommission hält trotzdem am Klimaschutzziel fest: Die CO₂-Emissionen dieser Pkw müssen nachweisbar entweder durch CO₂-arme und in Europa produzierte Stähle (sieben Prozent) oder durch klimaneutrale Kraftstoffe (drei Prozent) kompensiert werden. Die wenigen e-Fuels, die absehbar produziert werden, könnten zum Beispiel in einem Porsche oder einem Ferrari verbrannt werden.

Mehr Flexibilität bekommt die Autoindustrie außerdem in den Jahren 2030 bis 2032: Wie in der Abrechnungsperiode von 2025 bis 2027 kann ein Verfehlen der CO₂-Ziele in einem Zulassungsjahr durch ein entsprechendes Plus in einem anderen Jahr ausgeglichen werden. Normalerweise müssen die Vorgaben in jedem Jahr eingehalten werden.

Eine Besonderheit ist die Einführung der Fahrzeugkategorie M1e: Für Elektroautos bis 4,2 m Länge soll es Supercredits geben; sie werden in der CO₂-Bilanz mehrfach angerechnet. Das ist der Versuch, eine europäische Kei-Car-Klasse nach dem Vorbild Japans einzuführen, wo die Grenzabmessungen mit 3,4 m Länge und 1,48 m Breite jedoch erheblich geringer sind. Dazu gibt es ähnliche Anpassungen bei leichten und schweren Nutzfahrzeugen sowie günstige Kredite für Investitionen in die Batterieproduktion. Das ist die Sachlage. Was die Vertreter der politischen Lager aus dem milden Veränderungsvorschlag der EU-Kommission dagegen machen, ist teilweise absurd.

Der Erste, der die Idee bejubelte, war Manfred Weber (CSU), der zurzeit der Partei- und Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volksparteien (EVP) ist. Er ging in der vergangenen Woche zur Bild-Zeitung, um der Sache den richtigen Dreh zu geben: „Zigtausend Industriearbeitsplätze“ würden so gesichert, behauptet Weber, und er betont: „Für uns ist und bleibt das Auto ein Kultobjekt, kein ideologisches Kampfobjekt“. Der EVP-Vorsitzende Weber wollte mit dieser Aktion offensichtlich die Deutungshoheit bekommen. Seht her, wir haben den Verbrennungsmotor gerettet. Ihr könnt beruhigt schlafen.

Dass es genau diese konservative Parteienfamilie war, die in Parlament und Rat nur wenige Jahre zuvor den aktuell gĂĽltigen COâ‚‚-Mechanismus verabschiedet hat, scheint er vergessen zu haben. Dass das ganze Konstrukt ausdrĂĽcklich technologieoffen gestaltet war, auch. Denn die Politik hat nicht den batterieelektrischen Antrieb vorgeschrieben, sondern lediglich Rahmenbedingungen formuliert.

In den meisten der 27 EU-Staaten werden Autos oder Zulieferteile gebaut. Es hatte damals keinen nennenswerten Widerstand aus diesen Staaten gegeben, unter anderem, weil endlich Planungssicherheit hergestellt wurde, und die wird von der Autoindustrie im Grundsatz geschätzt. Hier setzt auch die Kritik an, die Jan Dornoff vom International Council on Clean Transportation (ICCT) am Entwurf der EU-Kommission übt: Es brauche „technologische Klarheit statt Verwirrung“, so Dornoff. Aus der Autoindustrie selbst dagegen ist nur wenig Kritik zu hören. Das könnte daran liegen, dass die meisten Inhalte weitgehend im Sinn der europäischen Hersteller sind.

Ein Beispiel dafür ist der Renault Twingo, dessen Preis für den französischen Markt nur wenige Stunden zuvor veröffentlicht wurde: In der höchsten Ausstattungsvariante Techno inklusive bidirektionalem Ladegerät und zeitgemäßen Fahrassistenten kostet der Twingo dort 21.090 Euro. Zwar beträgt die Reichweite im WLTP nur 263 km. Die Frage muss aber erlaubt sein, wie weit dieser Wert bis 2035 durch den Preisverfall sowie den technischen Fortschritt der Batterien ansteigt und wie viele Käufer mit dieser zukünftigen Reichweite in einem Auto dieser Klasse nicht leben können.

Renault kann den Twingo genau wie den R4 (Test) und den R5 (Test) für die neue Fahrzeugkategorie M1e mit Supercredits mehrfach anrechnen. Ähnlich sieht es bei Volkswagen aus. Die komplette Kleinwagenfamilie, die ab April auf die Straße kommt, ist kürzer als die 4,2 m, die für M1e vorgesehen sind: Der ID. Polo, der ID. Cross, der Skoda Epiq, der Cupra Raval und später der VW ID.1, sie alle machen Supercredits.

Videos by heise

Unabhängig von diesem Effekt ist es kaum erträglich zu sehen, wie der Erfolg von Volkswagen beim Verkauf von Elektroautos in Deutschland kleingeredet wird: Der Konzern dominiert die Rangliste, während die angeblich überlegenen Produkte aus China bisher keine Marktrelevanz haben. Wer glaubt, dass das an quasi-mafiösen Strukturen im einheimischen Neuwagenmarkt liegt, kennt die Qualitäten der Elektroautos der Konzerne BMW, Mercedes und Volkswagen nicht.

Ein reales Risiko ist allerdings die Abhängigkeit von China bei der Herstellung der Batteriezellen. Hier arbeitet die EU an Rahmenbedingungen, die zumindest dazu führen sollen, dass diese Zellen in Europa produziert statt importiert werden. Siehe oben, die Kreditvergabe. Es wäre schön gewesen, wenn die EU-Kommission für mehr Eindeutigkeit gesorgt hätte. Das Gegenteil ist abseits der Fachkreise der Fall. Bei Menschen, die nicht tief im Thema stecken, könnte der Eindruck entstehen, der Vorschlag zur Neufassung des CO₂-Flottenmechanismus würde das Ende des Verbrenners beenden. Dabei ist es in Wahrheit unwahrscheinlich, dass sich viel ändert.

(mfz)