Kommentar zum Aus des Verbrenners: Der fatale Ausstieg vom Ausstieg
Der Verbrenner soll in Neuwagen auch nach 2034 erhalten bleiben. Ein Pyrrhussieg, der Schaden anrichtet und ohne Effekt bleiben wird, meint Martin Franz.
BMW gehörte zu den Marken, die auf Technologieoffenheit pochten. Die wird es nun ein Stück weit geben, zu einem sehr hohen Preis.
(Bild: BMW)
Stellen Sie sich bitte vor, einem Vielnutzer von sozialen Medien zur Nutzung ebendieser eine Schreibmaschine anzupreisen: „Schauen Sie nur, wie schön das Farbband läuft. Und erst der präzise Anschlag der Tasten: Das ist wahre Ingenieurskunst, und die hiesige Industrie ist Weltmarktführer!“ Absurd, meinen Sie? Nun, im übertragenen Sinn ist genau das in unglaublicher Lautstärke gerade auf politischer Bühne passiert. Das Verbrenner-Ende-Ende wäre, hätte es eine tatsächliche Dimension in der Praxis, fatal für Klima, Industrie und Gesellschaft. Doch die angedachte Aufweichung ist bei Licht betrachtet kaum mehr als der Ordner wert, in dem sie demnächst abgeheftet wird.
Woher kommt die Kompensation?
Die EU-Kommission hat einen Vorschlag vorgelegt, und mehr ist es derzeit nicht, wie Autos mit Verbrennungsmotor auch nach 2034 in der EU erstmals zugelassen werden können. Bevor das in welcher finalen Form auch immer umgesetzt wird, geht es in eine weitere Verhandlungsrunde im EU-Parlament. Was exakt an deren Ende steht, wissen wir heute noch nicht. Was wir kennen, sind die Eckdaten des Vorschlags. Die Industrie dürfte die CO₂-Emissionen der Fahrzeuge selbst gegenüber dem Jahr 2021 nur um 90 statt, wie bisher geplant, um 100 Prozent senken. Die nunmehr flexibel nutzbaren, verbleibenden 10 Prozent können mit Verbrennern aufgefüllt werden, müssen aber anderweitig kompensiert werden. Sieben Prozent davon über Stahl, der mit regenerativer Energie hergestellt wurde, drei Prozent über synthetische Kraftstoffe. Wo solcher Stahl in den Massen, den die Autoindustrie täglich verarbeitet, herkommen soll, bleibt offen. Zumal die Autoindustrie nicht der einzige Interessent daran ist. Das gilt auch für synthetische Kraftstoffe, die es absehbar kaum in nennenswertem Umfang und zu marktfähigen Preisen geben wird.
Fehlende Skaleneffekte
Da beispielsweise die Tankstelleninfrastruktur bis dahin weiter schrumpfen wird, werden einige Kosten auf eine abnehmende Zahl an Nutzern umgelegt. Gleiches gilt für die Neuwagen mit Verbrenner: Die freigegebene Stückzahl wäre gering, die Einzelkosten damit hoch. Es tut mir aufrichtig leid für alle, die gestern selig mit der Vorstellung einschliefen, mit dem so lautstark verkündeten Ende des Verbrenner-Aus ginge es mit Benzin und Diesel nun doch einfach weiter wie in den zurückliegenden Jahrzehnten: Das wird nicht passieren, denn Kauf und Unterhalt dieser Modelle wird, Stand heute, richtig teuer.
Vorsicht bei hoher Lautstärke
Was dort am Dienstag vorgetragen wurde, sollte schon aufgrund der Lautstärke, mit der es vorbereitet wurde, eigentlich jeden misstrauisch machen. Denn wann immer der Pegel auf der politischen Bühne enorm steigt, ist extreme Vorsicht geboten. Dabei werden Dinge schon mal kräftig verbogen. Da freut sich der Partei- und Fraktionsvorsitzender der EVP, Manfred Weber, dass die Ideologie der bisherigen Lösung ein Ende habe – die seine Fraktion einst mitbeschlossen hat. Es gebe nun neue Mehrheiten im Parlament, die Veränderungen möglich machten. Wenn diese zusammen mit Parteien im Spektrum weit rechts von christlich-konservativ gedeihen, sollte ein verantwortungsvoller Politiker diesseits davon eigentlich ziemlich nachdenklich werden. Das hat Weber praktisch schon am 11. Dezember abgeräumt, als er einschlägigen Kollegen von mir erzählte, die bisherige Lösung habe keinen Bestand. Groß war der Jubel bei jenen, die unter Überschriften ohnehin nicht weiterlesen.
Bespielen einer Nische
Zehntausende Arbeitsplätze habe man mit der Neuregelung gerettet. Das dürfte angesichts der zu erwartenden Volumen eine, nun ja, ziemlich optimistische Schätzung sein. Denn schon aus den genannten finanziellen Gründen wird der Verbrenner in Neuwagen nach 2034 eine Nische bespielen – wenn überhaupt. Europa sei weltweit führend im Bereich der Verbrennungsmotoren, dies dürfe man nicht einfach aufgeben. Nehmen wir einen winzigen Moment einmal an, diese Einschätzung würde überall auf der Welt so gesehen: Was ist eine Spitzenposition in der Entwicklung einer Technologie wert, wenn diese, was nicht einmal von der Konservativen bestritten wird, absehbar großflächig abgelöst wird? Technologieoffen sei das jetzt endlich, was es zuvor allerdings auch schon war.
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Gefahr von enttäuschter Erwartung
Das könnte man unter Streicheln der eigenen Wähler-Klientel abtun, von der solche Lautsprecher vermutlich annehmen, dass sie erstens ziemlich vergesslich ist und zweitens auf die Details schon nicht so genau achten wird. Eine Herangehensweise, bei der Vorsicht geboten ist. Im konkreten Fall besteht die akute Gefahr, wieder einmal Erwartungen zu wecken, die später nicht mit Leben gefüllt werden. Denn der Verbrenner ist im Spätherbst seines Daseins. Der Vorschlag der EU-Kommission hat ungünstigstenfalls den Effekt, dass sich sein unvermeidliches Ende noch etwas nach hinten verlagert, und schon das ist in großem Umfang unwahrscheinlich. Der Preis für diesen Pyrrhussieg aber ist hoch: Die Scheinlösung bringt Klima und Industrie nicht voran, stellt langfristige Planungssicherheit für europäische Hersteller und Verbraucher infrage.
Beschädigte Glaubwürdigkeit
Dabei wäre es auch eine Aufgabe der Politik, unbegründete Ängste und Bedenken hinsichtlich der E-Mobilität zu entkräften. Dazu gehört der Mut, sich Debatten zu stellen und nicht, auch wenn das fraglos bequemer erscheint, nur das zu verkünden, von dem man annimmt, die eigene Zielgruppe würde das gern hören. Klimaschutz hat bei der zurückliegenden Bundestagswahl eine untergeordnete Rolle bei Wahlentscheidungen gespielt. Doch das Thema kehrt zurück, darauf ist Verlass. Die christlich-konservativen Parteien hätten die Chance, in der Bibel die passende Losung zu finden. Der Garten Eden sei nicht nur zu bebauen, sondern auch zu bewahren, ist dort zu lesen. Mit der aktuellen Entscheidung schlagen sie nicht nur das in den Wind, sondern beschädigen die Glaubwürdigkeit von nachhaltiger Politik. Dieser Schaden ist weitaus größer als die Wahlplakate, auf denen man erzählen kann: „Wir haben geliefert, was wir versprachen“.
(mfz)