Europäischer Gesundheitsdaten(t)raum: "Wer jetzt nicht anfängt, hat ein Problem"

Das Medizinregistergesetz verspricht Fortschritt, es gibt aber noch Klärungsbedarf. Ein Interview über Gesetze zur Datennutzung, Fragen zum Gemeinwohl und mehr.

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Frauen im Labor mit Tablet und wohl Forschungsumgebung. Es sieht etwas wie ein Reinraum aus.

(Bild: PeopleImages/ Shutterstock.com)

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Inhaltsverzeichnis

Bessere, datengesteuerte Medizin – mit diesem Anspruch soll unter anderem das geplante Medizinregistergesetz die Nutzung von Gesundheitsdaten für die Forschung in Deutschland vereinfachen und vereinheitlichen – zahlreiche weitere Gesetze sind entweder in Arbeit oder bereits auf den Weg gebracht worden, etwa das Gesundheitsdatennutzungsgesetz oder die Verordnung für den Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS). All diese Gesetze sollen den Zugang zu Gesundheitsdaten in Europa – und perspektivisch auch darüber hinaus – ermöglichen. Der Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums für das Medizinregistergesetz sorgt für Debatten über die Umsetzung, wie aus 67 Stellungnahmen hervorgeht.

Weit über die übliche Kritik hinaus, etwa die an mangelnder Interoperabilität oder fehlenden Mitteln, geht jedoch die fundamentale Kritik des Netzwerks Datenschutzexpertise. In seiner Stellungnahme (PDF) warnt es, dass zwar den Bedürfnissen der Forschung entsprochen werde, dabei aber „selbst die grundlegendsten Anforderungen des Datenschutzes (Zweckbindung, Transparenz, Schutzvorkehrungen, Kontrolle) missachtet werden“. Aufgrund der Unvereinbarkeit mit Grundgesetz und Europarecht müsse der Entwurf „umfassend überarbeitet werden“. Doch ausgerechnet diese wohl schärfste Stellungnahme ist auf der Webseite des Ministeriums nicht zu finden – trotz Hinweisen.

Dennis Geisthard ist Chef des Digital HUB der forschenden Pharmaunternehmen.

(Bild: vfa)

In diesem Spannungsfeld zwischen dem Versprechen auf medizinischen Fortschritt, Sorgen um den Datenschutz und handfesten wirtschaftlichen Interessen positioniert sich auch die Pharmaindustrie. Über die Pläne zur Gesundheitsdatennutzung in Deutschland und Europa, die Kritik und die zentrale Frage, wer am Ende von den wertvollen Gesundheitsdaten profitieren soll, haben wir mit Dennis Geisthardt vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) gesprochen.

Bei einer Veranstaltung der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung (TMF) wurde von Industrievertretern begrüßt, dass sich Unternehmen im Rahmen des European Health Data Space (EHDS) auf Geschäftsgeheimnisse berufen können, um Datenanfragen abzulehnen. Wie passt das zum Gemeinwohl, wenn man Daten aus einem gemeinsamen Topf bekommt, aber selbst nichts zurückgeben will?

Das Thema geistiges Eigentum ist insbesondere auf internationaler Ebene für uns natürlich wichtig. Wir haben jetzt gesetzliche Verpflichtungen, Daten zu teilen. Das bringt uns in eine Situation, wo wir alle Datensätze, die unter den EHDS-Anwendungsbereich fallen – und das sind wahrscheinlich 99,9 Prozent aller Datensätze, die wir haben – in einem Metadatenkatalog listen müssen, damit sie angefragt werden können.

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Aber die Möglichkeit, sich auf Geschäftsgeheimnisse zu berufen, schafft doch ein Schlupfloch?

Die Frage ist: Was passiert mit Datensätzen, die wir eingekauft haben, die wir als Grundlage für unsere Forschung nutzen und aus denen sich gegebenenfalls patentierbare Ergebnisse ableiten lassen? Wenn klar wird, dass Unternehmen A ganz spezifische Daten zu bestimmten Indikationen hat und Unternehmen B das sieht, entsteht natürlich Konkurrenz. Das kann Wettbewerbsverzerrungen auslösen und in Summe die Innovationskraft der gesamten Branche schwächen.

In welchen konkreten Fällen können solche Ansprüche auf geistiges Eigentum, sogenannte IP-Claims, dann geltend gemacht werden?

Das wissen wir noch nicht. Das ist die Frage, die zuerst beantwortet werden muss. Es gibt eine Industrieinitiative – die Innovative Health Initiative –, die versucht, ein Rahmenwerk und Guidelines zu etablieren, wie im Rahmen des EHDS mit IP-Rechten umgegangen werden soll. Aber eine finale Antwort haben wir bisher nicht.

Wo bleibt da das Gemeinwohl?

Jede Forschungsinitiative ist erstmal gemeinwohlorientiert, weil wir versuchen, die Versorgung besser zu machen. In welchen Fällen das dann mit einem IP-Claim belegt werden kann, sodass ein Antrag auf den Metadatensatz gesondert geprüft werden muss – das wissen wir noch nicht.

Wir wollen und können einen Konsens finden, der allen passt – in spezifischen Datenanfragen und spezifischen Datenfällen. Aber insbesondere für Legacy-Daten – also Daten, die wir vor Inkrafttreten des EHDS erhoben oder eingekauft haben – brauchen wir einen Mechanismus, der diesen Konsens ermöglicht. Sei das eine finanzielle Kompensation oder ein Teil der Gebührenordnung.

Kompensation für wen?

Wenn wir als Unternehmen einen Datensatz bei uns tragen, den wir selbst finanziert haben – entweder weil wir ihn eingekauft oder weil wir selbst eine Studie erstellt haben – dann ist die Frage: Wie wird mit den entstandenen Kosten umgegangen? Dafür muss es einen Kompensationsmechanismus geben.

Bei uns im Forum kam oft die Frage, ob nicht auch die Patienten etwas zurückbekommen sollten – schließlich sind es ihre Daten.

Absolut, das teilen wir. Wir finden auch, dass insbesondere mit Blick auf die Patienten incentiviert werden sollte, dass entsprechende Daten der Forschung zur Verfügung stehen.

In die Richtung, wer seine Daten nicht spendet, zahlt drauf?

Nein, das darf keine Malusregelung sein. Man darf keinen Nachteil dadurch haben, dass man Daten nicht teilt, aber man sollte einen Vorteil haben, wenn man Daten teilt.

Und wie will man langfristig sicherstellen, dass Nicht-Teilen keinen Nachteil bringt?

Das ist schwierig, das würde ich unterschreiben. Aber die Frage ist ja, warum Menschen manche Daten komplett bereitwillig teilen und andere nicht.

Die Bereitschaft der Patienten, Daten zu teilen, ist hoch – vor allem für gemeinnützige Forschung. Bei Pharmaunternehmen gibt es Vorbehalte aufgrund von Profitmotiven, beispielsweise teure Patente auf Medikamente, die den Zugang zu Therapien erschweren und als eigennützig empfunden werden.

Mit den Vorbehalten haben wir zu kämpfen, das macht es schwieriger. Für Europa würde ich das nicht so unterschreiben. Beispielsweise funktionieren unsere Preisbildungssysteme in Deutschland und Europa anders als im internationalen Vergleich. Und das ist gut so, solange sie adäquat Innovationen zulassen. Außerdem ist es so: Wenn ich krank bin, dann bin ich in der Regel bereit, meine Daten für Forschung zu teilen. Und dann ist mir als Patient egal, ob das für Pharmaforschung oder für öffentliche Forschung genutzt wird. Das wird bei dieser Debatte immer vergessen.

Die oft genutzte Faustregel in der Politik ist: Datenschutz ist was für Gesunde. Die Frage ist: Wenn wir präventiv schon Daten bereitstellen können, die in eine allgemeine Versorgungsverbesserung fließen, und ich als Versicherter einen direkten Mehrwert wahrnehme – dass mit meinen Daten etwas gemacht wird, was langfristig eine Verbesserung für mich oder andere bewirken kann – dann wird auch die Bereitschaft höher.

Wäre es nicht insgesamt günstiger, nicht immer mehr auf Widerspruchslösungen (Opt-out) beim Teilen von Gesundheitsdaten zu setzen, sondern in ein gutes Opt-in und vernünftige Aufklärung?

Wir hatten ja lange ein Opt-in bei der elektronischen Patientenakte (ePA). Ich habe 2022 mal eine Keynote bei einem großen gesetzlichen Krankenversicherer gehalten. Da habe ich in einem Raum voller Krankenkassenvertreter gefragt: Wer hat denn hier eine ePA? Die Händezahl war überschaubar. Und wer nutzt sie? Da blieben vielleicht zwei Hände oben – bei 120 Leuten im Raum.

Ich hatte damals selbst eine ePA, weil es mich technisch interessiert hat. Aber ich hatte nichts davon. Ich bin relativ jung, habe eine überschaubare Krankenhistorie. Und selbst die Chroniker im Raum haben sie nicht genutzt, weil sie keinen messbaren Mehrwert hatten.

Dass nicht aufgeklärt wurde, ist genau das Problem, das wir bis heute bei all unseren TI-Anwendungen haben (Anm. d. Red.: Anwendungen der Telematikinfrastruktur). Die Mehrwerte werden nicht wahrgenommen, nicht richtig kommuniziert, nicht richtig beleuchtet. Das führt dazu, dass die Nutzungsraten absolut niedrig sind. Das müssen wir verbessern.