Speicherkrise: Europa steckt kollektiv den Kopf in den Sand
Hohe Hardware-Preise durch den KI-Hype belasten Rechenzentren. Daniel Menzel berichtet von dramatischen Folgen fĂĽr Projekte.
(Bild: asharkyu/Shutterstock.com)
Erst hohe, dann unverschämte Hardware-Preise: Zusammen mit dem KI-Hype dreht sich die Kostenspirale für RZ-Ausstattung immer schneller. Die Speicherkrise ist gut für die Hersteller, aber schlecht für die meisten Kunden. Für iX-Autor Daniel Menzel bleibt es jedoch nicht bei Zahlen – er erfährt jeden Tag, wie dramatisch die Situation in Rechenzentren wirklich ist.
Die Zahlen zu Preisen und ausbleibenden Lieferungen sind das eine. Aber wie dramatisch ist die Situation denn wirklich in den hiesigen Rechenzentren?
Für Bestandsprojekte ist das bisher kaum problematisch. Natürlich knirscht man mit den Zähnen, wenn man plötzlich den mittlerweile 5-fachen Normalpreis für Nachrüstung von RAM ausgeben soll. Aber für Erweiterungs- und Neuprojekte ist die Situation meines Erachtens nicht weniger als desaströs. Ich bekomme von Ausschreibungen mit, die derzeit komplett zurückgezogen werden. Ganze Millionenprojekte, die unbestimmt auf Pause gesetzt werden. Und auch tatsächlich angehende Rechtsstreitigkeiten, weil Lieferanten eine Preisgarantie gegeben haben und die Kunden die jetzt einfordern. Das betrifft ja erst einmal „nur“ die Hardware, zieht aber natürlich einen Rattenschwanz hinter sich her, weil die Hardware ja für Dinge gebraucht wird. Die Situation ist tatsächlich derzeit… grotesk.
Welche Bereiche sind denn besonders betroffen?
Uff… ich würde sagen, eigentlich alle. Trivialantwort: Natürlich sind die Bereiche, bei denen mehr Hardware zum Einsatz kommt, auch stärker von Preissteigerungen betroffen. Da fallen mir insbesondere HPC und KI ein, aber auch (europäische) Cloud-Anbieter, die wachsen wollen. Gerade für letztere scheint es besonders schmerzhaft, da die in ihrem Konkurrenzverhältnis keine große Marge haben und daher preislich sehr eng kalkulieren müssen.
Falls es nicht die neueste und performanteste Hardware sein muss: Wie schaut es denn auf dem Gebrauchtmarkt aus?
Ich persönlich bin kein großer Freund von gebrauchter Hardware im Rack. Das kommt sicherlich auch aus meinem High-Performance-Gedanken heraus: Wir fahren mit unseren Systemen immer an der Leistungsgrenze. Und das zieht sich auf bis zu Cloud-/Enterprise-Systemen durch: Wenn ich dort richtig performante Nodes beschaffe, kosten die vielleicht initial das Doppelte, aber bringen mir dreimal so viel Workload (und damit Geld). Gebrauchte Systeme bringen mir lediglich eine höhere Stromrechnung.
Niemand gibt sich gerne mit einer miesen Situation ab: Welche Aus- oder Umwege haben denn bislang geholfen?
Im Moment habe ich das Gefühl, dass es in Europa ein kollektives Agreement gibt, den Kopf in den Sand zu stecken – hin und wieder gepaart mit lautstarkem und teilweise fatalistischem Wehklagen, dass Europa sich ja in den letzten 20 Jahren zu abhängig von anderen gemacht habe und da jetzt nie wieder rauskäme. Wirkliche Ansätze gibt es da noch nicht. Man muss aber auch bedenken: Die Preise sind in den letzten vier Monaten stark gestiegen. Das ist eine verhältnismäßig kurze Zeit für Investments. Da kann man durchaus mal ein neues Projekt ein wenig nach hinten schieben – wenn der Mittelabfluss 2025 nicht unbedingt gegeben sein muss (Förderung, öffentliche Hand, …).
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Vor allem die Hyperscaler leisten sich die höheren Preise. Werden wir gerade noch stärker in die Abhängigkeit gezwungen?
Ja. Nein, warte: Ja!!! Die Hyperscaler sitzen auf großen finanziellen Töpfen und sind es ja gewohnt, auf die Zukunft zu spekulieren. Die rechnen ihren Investoren vor, wie lange es dauert, bis die kleinen Konkurrenten in Europa verhungert sind. Sprich: wann die Talsohle durchschritten ist und wann danach der Break-Even erreicht ist. Und vor allem: wie groß der ROI dann in fünf Jahren ist. Wenn diese Zahlen hinreichend gut sind, ist der Geldstrom für die Hyperscaler gefühlt nahezu unendlich.
Ich würde sicherlich nicht soweit gehen, zu sagen, dass die Hyperscaler diese Situation zu ihrem Vorteil fabriziert haben – aber ich vermute, ganz traurig ist man darüber auf der anderen Seite des großen Teiches auch nicht.
Herr Menzel, vielen Dank fĂĽr die Antworten!
(fo)