Verriss des Monats: Die USB-Witzerklärung

Ein Gerät bleibt in einer fatalen Zwischendimension stecken - für ein witziges Gimmick ist es zu wunderlich, für ein Kunstwerk zu erklärungswillig.

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Von
  • Peter Glaser

Die Kunst des gepflegten Verreißens zweifelhafter Produkte ist ein wenig aus der Mode gekommen. An dieser Stelle präsentiert unser Kolumnist Peter Glaser einmal im Monat deshalb eine Rezension der etwas anderen Art: Den Verriss des Monats. Vorschläge für besonders zu würdigende Produkte werden gerne per Mail entgegengenommen.

Der USB-Stickzusatz "Data Stream" sieht aus als würde jemand einen Binärstrom rauchen und dabei (wie das Nicholson Baker in seinem großartigen Roman "Die Fermate" beschreibt) in der Zeit festgefroren. Was dieser Erinnerungshilfe zu entströmen scheint, ist jedoch kein Rauch, sondern eine obeliskenschlanke Traube aus laser-gesinterten Nullen und Einsen. Gedacht ist die Ziffernprotuberanz beispielsweise für USB-Sticks auf der Rückseite der 24-Zoll-Bildschirme von iMacs, die dort gern mal vergessen werden. Data Stream soll also den Knoten im Taschentuch in das digitale Zeitalter hinübertransformieren.

Und es ist gedacht "als eine skulpturale Hinzufügung". Es möchte das banale Gadget-tum verkunsten. "Daten sind überall", lässt uns der britische Designer und Data Stream-Schöpfer Chris Jackson wissen, "die bewegen sich in Wellen, berühren uns und durchfließen den Äther. In diesem Objekt ... wollte ich Information sichtbar machen". Wenn es gerade nicht im Einsatz ist, soll das Ding als Schreibtisch-Skulptur fungieren.

Die meisten USB-Sticks sind albern (hier, hier und hier), hochgradig albern (hier und hier) oder so albern, dass es eigentlich auf keinen USB-Stick mehr geht (hier und hier). Data Stream geht noch einen Schritt weiter. Das kleine Gerät versucht, aus den Niederungen von Kitsch und Scherzartikeltum emporzusteigen in die unfassbare Weite der Kunst. Für schlichten Quatsch ist der Stick zu sonderbar, aber wirklich in die Kunst hinüber schafft er es auch nicht. Er bleibt in einer Art von fraktaler Kulturzwischendimension hängen, in der er sich selbst erklärt – einer der Gründe, weswegen dem obskuren Objekt das Dasein als Kunstwerk versagt bleiben muss.

In einem Hotelzimmer in Tokio habe ich mal eine japanische Boulevardsendung im Fernsehen verfolgt, in der mich die genretypische platte Schamlosigkeit vor allem deswegen erstaunt hat, weil ich den sozialen Umgang in dem Land als ein sehr komplexes Spiel und Widerspiel von Höflichkeiten und Ritualen kennengelernt hatte. Hier nun war ein Ringkampf zu sehen, bei dem einem der Kämpfer für Augenblicke etwas auf dem Kopf verrutschte, das sich als Toupet erwies. Damit nicht genug, wurde durch mit mehrfach abgespielte Zeitlupenwiederholungen und mit dicken, roten Pfeilen auf das Missgeschick hingewiesen. Das ganze war wie ein schlechter Witz mit Witzerklärung – und genau so fühlt sich der Data Stream an. Er ist seine eigene Witzerklärung.

Der Stickaufbau ist dermaßen blöd handzuhaben, dass er, wenn man den Grad an Disfunktionalität eines Objekts negativ proportional zu seiner Kunsthaltigkeit setzt, schon mal deshalb in den Verdacht des absichtsvoll Artifiziellen gerät. Wäre Data Stream ein Kunstwerk, dann die Miniaturversion jener Schrecknisse, die "Kunst am Bau" heißen, meist todlangweilige Großgeometrien oder Giganippes wie das Pferd vor dem Berliner Hauptbahnhof.

In der guten, alten Zeit, als der PC und Windows noch auf dem Vormarsch waren, wurde man zumindest in der Informationstechnik nicht mit Kunst belästigt. Rechner waren sensationslose, hellbeige Plastikkisten, und von den Promotionfotos neugegründeter IT-Unternehmen lächelte einen der an einen grauen Monitor gelehnte jugendliche Firmengründer im gewürzfarbenen Jackett an. Die Kunst mit ihren teils hochgradig merkwürdigen Umwegen und nichtalgorithmisch kryptografierten Botschaften widerspricht der ornamentlosen, logischen, an Performance interessierten Geradlinigkeit der IT.

Aber "wie Dichter und Künstler haben die Programmierer sich der Entwicklung von Werkzeugen und Techniken verschrieben", sagte Marvin Minsky vor vielen Jahren und ahnte damals wohl noch nicht, dass auch Nichtprogrammierer wie Steve Jobs sich dereinst der Ding-Dichtung und Schaffung elektronischer Skulpturen zuwenden würden.

(Die zentrale gestalterische Leistung von Steve Jobs besteht übrigens darin, den nervtötenden runden Ecken nordischer Vollholzmöbel aus den 70er Jahren ein neues Leben als Symbol für Eleganz und Luxus (Platzvergeudung!) in den wichtigsten elektronischen Geräten des beginnenden 21. Jahrhunderts geschenkt zu haben.)

"Die Datenverarbeitung hat noch nicht ihren Galilei oder Newton, ihren Bach, Beethoven, Shakespeare oder Moliere gehabt", schrieb der Informatiker und Computerpionier Alan Kay bereits vor einem Vierteljahrhundert. Ein Blick auf den Data Stream genügt, um zu wissen, dass die Datenverarbeitung weiterhin wartet. ()