Smart Wars

Alle Wachstumshoffnungen der Mobilfunkbranche ruhen auf den Smartphones. Im Kampf um Marktanteile in dem wichtigen Segment kommt dabei zunehmend ein hohes Gut zum Einsatz: Patentierte Technologien werden nicht nur genutzt, um Lizenzen zu verhandeln.

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Von
  • Florian Müller
Inhaltsverzeichnis

Apple gegen Nokia, Microsoft gegen Motorola, die wiederum gegen Apple: Die zahlreichen Patenstreitigkeiten, die derzeit vor US-Gerichten ausgetragen werden, verdeutlichen die wesentliche Rolle, die Patente für die Mobilfunkbranche spielen. Wer ein Handy bauen will, muss alleine für die GSM/3G-Grundfunktionen schon Lizenzen für mehrere hundert Patente erwerben. Insider gehen in Einzelfällen von bis zu 3000 aus. Mit dem immer umfangreicheren Funktionsangebot aktueller Smartphones müssen die Hersteller allerdings noch mehr Patente berücksichtigen.

In der Regel geschieht das über vertrauliche Lizenzverträge zwischen Hersteller und Patentinhaber, nur selten ziehen die Verhandlungspartner vor Gericht. Doch gibt es derzeit zahlreiche offene Konflikte, die die Justiz beschäftigen. Dabei können sich die Motive der Parteien, gegen einen möglichen Vertragspartner zu klagen, unterscheiden.

Der mörderische Preisdruck könnte Hersteller davon abhalten, die von Patentinhabern geforderten Lizenzgebühren einfach zu bezahlen. Mit einer Klage kann neue Bewegung in stockende Verhandlungen gebracht werden. Genaue Zahlen nennt in der Branche niemand gern. Marktforscher schätzen die Lizenzgebühren, wenn sie die Herstellungskosten der Smartphones kalkulieren. Zum Beispiel setzte iSuppli die Lizenzkosten des Palm Pre auf über 22 US-Dollar an. Doch gibt es inzwischen mehr Rechteinhaber, die Anspruch auf einen Teil des Smartphone-Kuchens stellen. Insider schließen nicht aus, dass die Lizenzkosten pro Smartphone künftig im dreistelligen Bereich liegen könnten.

Bei der Herstellung eines Smartphones müssen Patente für alle Funktionsebenen berücksichtigt werden.

Günstiger gestaltet sich die Kostenstruktur nur für diejenigen, die aufgrund starker eigener Patentportfolios in der Lage sind, mit anderen bedeutenden Patentinhabern gegenseitige Lizenzverträge abzuschließen. Dadurch können sich die Lizenzzahlungen in Teilbereichen verringern oder sogar entfallen. Die Breite und Tiefe des Microsoft-Patentbestandes etwa öffnet dem Software-Riesen solche Türen. Ein Patentzwerg wie HTC braucht sich hingegen keine Hoffnungen zu machen. Selbst Google gehört nicht dem Kreis der großen Patentinhaber an.

Aufgrund der strategischen Bedeutung des Smartphone-Marktes zielen einzelne Patentinhaber nicht nur auf Lizenzeinnahmen ab. Sie setzen ihr Patentportfolio auch ein, um Technologien zu kontrollieren und die Konkurrenz in Schach zu halten.

Die meisten Patentstreitigkeiten im Smartphone-Bereich werden vor US-Gerichten ausgetragen. Europa ist ein Nebenschauplatz, auf den die Streithähne manchmal ausweichen, um den Druck zu erhöhen. Derzeit stehen Apple und Nokia zum Beispiel auch in London vor Gericht. Bei der Wahl des Gerichtsstandorts dürfte einerseits eine Rolle spielen, dass Schadensersatzzahlungen in den USA traditionell sehr hoch ausfallen. Darüber hinaus ist das fragmentierte europäische Patentwesen ein Problem. Ein Patent des Europäischen Patentamts (EPA) ist effektiv ein Bündel nationaler Patente. Diese müssen in jedem Mitgliedsstaat einzeln eingeklagt werden – mit möglicherweise unterschiedlichem Ausgang.

Doch dauern die Verfahren vor US-Gerichten meistens mehrere Jahre. Als Alternative hat sich die US-Außenhandelsbehörde (US International Trade Commission, USITC) profiliert. Die USITC kann bei Rechtsverletzungen Importverbote gegen betroffene Produkte verhängen. Damit soll die US-Industrie vor der Konkurrenz durch die Einfuhr illegaler Waren geschützt werden. Da auch die amerikanischen Hersteller im Ausland produzieren lassen und ihre Produkte importieren, sind sie auf diesem Weg ebenso angreifbar.

Über Schadensersatz- und andere Ansprüche müssen immer noch die ordentlichen Gerichte entscheiden, aber ein Importverbot ist ein starker Hebel. Noch ist es in der Mobilfunkbranche dazu nicht gekommen. Doch die Gefahr ist nicht zu unterschätzen, wie der langjährige Patentstreit zwischen den Chipherstellern Broadcom und Qualcomm zeigte, in dem es um Grundfunktionen der Akku-Verwaltung ging. Ein von der USITC verhängtes Importverbot für Geräte mit den umstrittenen Qualcomm-Chips hätte dazu geführt, dass unter anderem Motorola seine Handys nicht mehr hätte einführen dürfen. Erst in der letzten Berufungsinstanz wurde das Importverbot gekippt.

Im Smartphone-Bereich tummeln sich verschiedene Patentinhaber: Neben Mobilfunkpionieren wie Nokia und Motorola sind inzwischen auch Branchenneulinge wie Apple mit wichtigen Patenten vertreten. Dazu kommen Unternehmen wie Broadcom und Qualcomm, die Rechte an wesentlichen Chip-Technologien besitzen. In der Vergangenheit ist vor allem Qualcomm mit der aggressiven Durchsetzung seiner Patentrechte aufgefallen. Ihr geistiges Eigentum auf Mobilfunktechnik lassen sich die Südkalifornier mit 5,5 Prozent vom Umsatz des Lizenznehmers vergüten.

Im Spiel sind auch sogenannte Patentverwerter, die keine eigenen Produkte schützen lassen, sondern nur ihre Rechte an zusammengekauften Patenten geltend machen. Der börsennotierte Patentverwerter Acacia Research hat bei Auktionen ein diversifiziertes Portfolio zusammengekauft und in den letzten Jahren gezielt Smartphone-Patente erworben. Microsoft hat kürzlich 74 Patente unter anderem von Acacia in Lizenz genommen, die ursprünglich von Herstellern wie Palm, PalmSource oder Geoworks angemeldet worden waren.

Solche Lizenzabschlüsse steigern das Selbstbewusstsein dieser auch „Patenttrolle“ genannten Verwerter, die ihre Patente nicht selbst in Produkten oder Dienstleistungen einsetzen. Der Begriff klingt niedlich, doch können diese Firmen auch Branchengrößen das Leben schwer machen, wie Blackberry-Anbieter RIM in seiner Auseinandersetzung mit NTP erfahren musste. Der Verwerter hatte erfolgreich seine Patente auf drahtlose E-Mail-Kommunikation geltend gemacht und eine Verfügung gegen RIM erwirkt. Die bevorstehende Abschaltung des Blackberry-Dienstes in den USA konnte RIM mit der Zahlung von 612 Millionen US-Dollar in letzter Minute abwenden.

Mehr als vier Jahre nach seinem spektakulären Erfolg gegen RIM hat NTP im Juli zum Rundumschlag gegen die Branche ausgeholt und eine Klage gegen Apple, Google, HTC, LG, Microsoft und Motorola eingereicht. Auch hier geht es um Verfahren der drahtlosen E-Mail-Kommunikation, die der Gründer von NTP „erfunden“ zu haben behauptet.

Seit dem Blackberry-Prozess hat sich die Rechtslage in den USA allerdings verändert. Die Hürden für reine Patentverwerter liegen wieder höher durch ein Urteil im Rechtsstreit zwischen den Online-Auktionsanbietern eBay und MercExchange aus dem Jahr 2006, in dem es um von MercExchange patentierte Verfahren (u. a. die „Sofort kaufen“-Funktion) ging. In zwei Instanzen hielten die Gerichte eBay zwar für schuldig, wollten aber MercExchange keinen Unterlassungsanspruch zuerkennen. Der US Supreme Court stellte in der Sache klar, dass bei der Entscheidung über einen Unterlassungsanspruch bestimmte Bedingungen berücksichtigt werden müssen, etwa ob dem Kläger durch die Patentverletzung ein irreparabler Schaden entsteht. In dem Prozess selbst ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, doch viele Patentinhaber dieser Art müssen sich einstweilen mit einem Schadensersatzanspruch begnügen.

Ein Patentverwerter, der im Auftrag vieler bedeutender Industrieunternehmen handelt, ist MPEG LA. Die von ihm vertretenen Patentinhaber umfassen zahlreiche namhafte Technologieunternehmen wie Apple, Microsoft, Siemens, Sony und Toshiba. Soweit die von MPEG LA in Form von „Patentpools“ betreuten Codecs in Smartphones ausgeliefert werden, bezahlen die Hersteller bereits Lizenzgebühren. Nach der Vorstellung von Googles angeblich patentfreiem WebM-Paket (dessen Video-Codec auch unter dem Namen VP8 bekannt ist) im Frühjahr sprach MPEG LA allerdings öffentlich davon, gegebenenfalls auch für WebM einen Patentpool einzurichten. Man geht also in MPEG-LA-Kreisen davon aus, dass WebM eigene Patente verletzt.

Apple setzt im Smartphone-Patentkrieg seine geschützte Multitouch-Technik ein.

Auch Nokia spielt im Patent-Ringelreihen eine wichtige Rolle. Der Marktführer verliert Anteile an neue Wettbewerber und leidet unter schwindenden Margen. Die Finnen wollen über die Lizenzierung ihrer Patente an der Konkurrenz mitverdienen. So tobt zwischen Apple und Nokia eine Schlacht, in der Nokia einige Patente auf eher ältere Mobilfunk-Technologien (tendenziell mehr Hard- als Software) einsetzt, während Apple seine Multitouch- und andere neuere Patente verletzt sieht. Jeder setzt Patente vorwiegend aus seiner Blütezeit ein. Für ein markttaugliches Smartphone braucht ein Hersteller jedoch die Technologien beider Parteien.

Viele Grundlagenpatente aus der frühen Mobilfunk-Ära lassen sich jedoch nicht oder nur eingeschränkt gegen Konkurrenten einsetzen. Zum einen können Gerätehersteller die benötigten Chips bei Anbietern wie Qualcomm einkaufen, die die lizenzrechtlichen Fragen für ihre Produkte geklärt haben. Angreifbar sind somit nur andere Komponenten wie etwa Antennen. Zum anderen haben sich einige Inhaber solcher Patente gegenüber Standardisierungsorganisationen verpflichtet, allen Marktteilnehmern Lizenzen zu angemessenen Konditionen (RAND, „Reasonable And Non-Discriminatory“) anzubieten. Derartige Einschränkungen betreffen neuere Patente, wie zum Beispiel Apples Multitouch-Technologie, im Regelfall nicht.

Noch viel stärker als Nokia hat die Marktentwicklung den Fotografie-Veteranen Eastman Kodak getroffen. Moderne Handys enthalten Kameras, die für den Massenmarkt leistungsfähig genug sind. Kodak kann diese Substitution nicht verhindern, will aber Lizenzgebühren eintreiben. Während eine Reihe von Anbietern bereits an Kodak zahlen soll, sträuben sich andere noch. Kodak hat deshalb im Januar eine Klage gegen Apple und RIM eingereicht.

Bis vor Kurzem hätte kaum jemand damit gerechnet, dass auch der Datenbank-Spezialist Oracle im Smartphone-Patentgeschäft mitmischen und als Kläger (gegen Google) auftreten würde. Durch die Übernahme von Sun hat Oracle einige Patente erworben, die sich zwar aus der Java-Entwicklung ergaben, jedoch keineswegs nur diese eine Programmiersprache betreffen. Diese Patente betreffen Laufzeitumgebungen und Klassenbibliotheken, die von Anwendungen benötigt werden.

Gemalto, der neueste Patentkläger auf dem Smartphone-Sektor, schlägt in eine ähnliche Kerbe wie Oracle. Der französische Hersteller von SIM- und Smartcards hat sich einige Verfahren patentieren lassen, um Hochsprachen wie Java auf Geräten mit knappen Ressourcen auszuführen. Drei diesbezügliche Patente soll Androids virtuelle Maschine Dalvik verletzen. Neben Google verklagte Gemalto auch die Hersteller HTC, Samsung und Motorola. In der Klageschrift behauptet der Patentinhaber, jegliche Entwicklung von Android-Anwendungen sei eine Patentverletzung.

Auch Microsoft nimmt Android ins Visier. Der Software-Riese hat bereits Lizenzvereinbarungen mit einigen bedeutenden Herstellern von Android-Smartphones abgeschlossen, darunter HTC, Samsung und LG. Mit der Anfang Oktober erhobenen Klage gegen Motorola demonstriert der Konzern allerdings auch seine Bereitschaft, nötigenfalls vor Gericht zu ziehen. Diese Form von Entschlossenheit hat auch Apple mit seinen Klagen gegen HTC und jüngst auch Motorola unter Beweis gestellt. Motorola hatte bereits einen Präventivschlag gegen Apple geführt.

Apple und Microsoft setzen jeweils auf proprietäre Betriebssysteme. Der iPhone-Hersteller vermarktet seines ausschließlich als Komponente seiner Geräte, während Microsoft – wie im PC-Geschäft – OEM-Lizenzen vergeben möchte. Bei beiden zeichnet sich ein Schwerpunkt in der Durchsetzung ihrer Patentrechte ab: Android.

Florian Müller gründete die NoSoftwarePatents-Kampagne. Er beschäftigt sich in seinem „FOSS Patents“-Blog mit Patentfragen rund um Open Source und kommentiert die Patentsituation von Android
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Kommentar: Android am Scheideweg

Obwohl Patentklagen fast immer mit Lizenzvereinbarungen enden, gibt es starke Anzeichen, dass zum Beispiel Apple gegen HTC und Motorola ein aggressiveres Ziel verfolgt: Der iPhone-Hersteller will offenbar die Herstellung von Android-Smartphones mit Multitouch-Steuerung behindern.

Auch bei Oracles Klage gegen Google ist fraglich, ob sich die Differenzen durch ein Lizenz-Abkommen beilegen lassen. Vielleicht geht es Oracle nur um eine Beteiligung an den Verkaufserlösen von Anwendungen im „Android Market“ oder an den Suchmaschinen-Umsätzen, die Google dank Android erzielt. Beobachter fürchten aber, dass Java für mobile Anwendungen am Ende dieses Rechtsstreits nicht mehr das sein wird, was es derzeit ist. Keine stabilen Perspektiven für die Entwickler der Anwendungen, die den Reiz dieser Plattform ausmachen.

Für Google sind die Patentangriffe auf Android ein gravierendes, vielleicht unlösbares Problem. Der Suchmaschinenriese selbst verfügt nur über rund 500 US-Patente, Apple hingegen über etwa 2000, bei Microsoft sind es sogar 16 000. Googles Patentportfolio ist nicht nur klein, sondern auch wenig diversifiziert: überwiegend deckt es Suchmaschinen-Technologien ab. Damit ist im Smartphone-Geschäft kein Staat zu machen.

Google muss aufgrund dieser Schwäche tatenlos zusehen, wie Microsoft über die Lizenzierung auch an Android-Geräten mitverdient und wie Apple seine Multitouch-Patente exklusiv für sich beansprucht. Zahlreiche andere Patentinhaber sind noch zu Werke, von sogenannten „Trollen“ bis zu Technikpionieren der Kategorie Eastman Kodak. In der Konsequenz dürften Android-Telefone künftig weniger Funktionen haben und gleichzeitig teurer werden. Die Vision eines freien Smartphone-Betriebssystem droht entgegen aller rosigen Prognosen der Marktforscher zu scheitern.

Microsoft ist mit seinem breit aufgestellten Patentportfolio – das alle Ebenen oberhalb der Mobilfunk-Grundfunktionen abdeckt – in der besten Position, mit jedem Konkurrenten Cross-Lizenzen auszuhandeln. Hersteller erwerben mit Windows Phone 7 eine Garantie, dass etwaige Patentansprüche zuvor von Microsoft geklärt wurden. Vergleichbares bietet Android nicht – und kann es auch absehbar nicht.

Die Lizenzgebühr für Windows Phone 7 (kolportiert werden 15 US-Dollar pro Gerät) könnte sich schon bald als gutes Geschäft empfehlen, wenn die damit verbundene Garantie weitere Lizenzzahlungen in möglicherweise dreistelliger Höhe spart. Bei Android könnten die Kosten unterm Strich ein Mehrfaches von Windows Phone 7 betragen.

Open-Source-Aktivisten befürchteten seit Langem, dass Softwarepatente den Ausschlag zugunsten proprietärer Konkurrenten geben könnten. Auf dem Smartphone-Markt könnte dies tatsächlich eintreten. Insbesondere im nächsten Jahr wird sich abzeichnen, wohin die USITC in einigen Schlüsselprozessen tendiert. Dann könnten bereits preisliche Auswirkungen spürbar werden und gegebenenfalls einzelne Funktionen aus Android entfernt werden müssen.

Mitleid mit Google ist jedoch nicht angebracht: Dessen Suchmaschine hat selbst vom Patentschutz profitiert. Ohne das PageRank-Patent wäre vermutlich nicht einmal die mit Risikokapital finanzierte Ausgründung aus der Stanford-Universität geglückt. Bei Android bekommt Google nun aber die Kehrseite der Medaille zu spüren.

(vbr)