SIMsalabim

Apple könnte das SIM-Kärtchen, mit dem sich ein Mobiltelefon bei einem Netzbetreiber einbucht, überflüssig machen und stattdessen das Modul komplett ins iPhone integrieren. Beobachter diskutieren die Absichten des Smartphone-Herstellers kontrovers, während das Unternehmen schweigt. Einleuchtende Argumente findet man allerdings in einem kaum noch beachteten Patentantrag Apples.

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Von
  • Dusan Zivadinovic
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Apple betreibt zusammen mit dem Sicherheitsspezialisten Gemalto die Integration der SIM-Funktion in Mobilfunkgeräte, sodass Kunden künftig etwa ein iPhone komplett über Apples iTunes-Software aktivieren könnten. Das meldete Ende Oktober die Nachrichtenseite Gigaom unter Berufung auf Mitarbeiter europäischer Mobilfunknetzbetreiber.

Mit einem integrierten SIM könnte man künftig den Provider per Mausklick in iTunes wählen und im Gegenzug würden die Zugangsdaten für dessen Netz im iPhone landen. Weder Apple noch Gemalto äußerten sich bisher dazu, aber die Umsetzung der Idee könnte weitreichende Folgen haben.

Ein Ansatz, das integrierte SIM zu nutzen, ergibt sich aus dem Know-how von Gemalto im Bereich der Near Field Communication (NFC). Die NFC-Technik beschreibt unter anderem eine berührungslose Form der Geldtransaktion, die auf RFID gründet.

Für den Einkauf im hauseigenen iTunes Store hat Apple schon ein Authentifizierungs- und Abbuchungsverfahren etabliert; weltweit rund 180 Millionen Nutzer haben ihre Kreditkarte bereits bei Apple registriert. Aber damit lässt sich nur in Apples Shop einkaufen. Mit NFC würde das iPhone zur digitalen Geldbörse; die Authentifizierung gegenüber Transaction-Servern beliebiger Betreiber würde dann über das SIM erfolgen. Apple hat auch in diesem Bereich Patente eingereicht und anscheinend iPhone-Prototypen mit NFC im Test. Mit der millionenstarken Nutzerbasis könnte sich Apple leicht als Zwischenhändler für den digitalen Einkauf etablieren. Außerdem könnte Apple Synergien mit der hauseigenen Werbeplattform iAd schaffen.

Für eine SIM-Integration sprechen aber auch diverse kleine Vorteile. Ein integriertes Subscriber Identity Module, kurz SIM, belegt weniger Platz. iPhone-Besitzer müssten nach dem Kauf (online oder im Einzelhandel) nicht auf die SIM-Karte warten und Providern wäre die Provisionierung erspart, also die Zuordnung von Kunden- und SIM-Daten in ihren Datenbanken, der Kartenversand und die Aktivierung. Stattdessen würde Apple die iPhones komplett provisionieren, und Provider müssten SIM-Karten nur dann liefern, wenn Kunden denselben Vertrag mit einem anderen Handy nutzen möchten.

Das integrierte SIM, auch Soft-SIM genannt, besteht aus einem beschreibbaren und einem nichtbeschreibbaren Teil. Der Clou ist, dass sich anders als bei herkömmlichen SIMs beim Soft-SIM die Zuordnung von Kundendaten zu Mobilfunknetzen ändern lassen. Dafür müssten Netzbetreiber lediglich die IMSI (International Mobile Subscriber Identity), Krypto-Keys und einige weitere Parameter für den Eintrag in das Soft-SIM zur Verfügung stellen.

Im Kleinen provisioniert Apple das iPhone schon – etwa beim Update von Netzbetreiber-Einstellungen. Beim Gedanken an eine komplette Provisionierung sträuben sich manchen Beobachtern aber die Nackenhaare: Damit, so der Argwohn, wolle das Unternehmen den Kunden sowohl den Geräte- als auch den Provider-Wechsel erschweren. Befürworter des Verfahrens erhoffen sich davon eine drastische Vereinfachung der Provider-Wahl. Dafür spricht, dass Apple im Kampf um Smartphone-Marktanteile ein Interesse an hoher Verbreitung hat und von seiner Politik der Provider-Bindung inzwischen Abstand nimmt.

Die Provider-Wahl per Mausklick lässt an einen im Jahr 2006 eingereichten Patentantrag denken, in dem Apple eine dynamische Betreiberauswahl beschreibt: Mittels der Dynamic Carrier Selection könne der iPhone-Nutzer jederzeit den vor Ort günstigsten Anbieter wählen [1].

In diesem Szenario berücksichtigt das Handy Parameter wie Daten- oder auch Gesprächstarife. Während es eingebucht ist, füttert es einen Server mit seinen Koordinaten und erhält im Gegenzug die für diesen Ort günstigsten Angebote, die automatisch eingestellt werden können. Betreiber können ihre Gebote wie bei Auktionen ändern. Die Tarifinformation erscheint auch im Display des Geräts, sodass Nutzer den Betreiber auch manuell auswählen können. Provider könnten mittels der Technik die Rentabilität verbessern. Wenn beispielsweise Netzelemente tagsüber in Vororten brachliegen, weil viele Kunden in der Stadt arbeiten, könnten sie Ausfälle durch gesenkte Tarife mildern. Umgekehrt könnten Teilnehmer in Ballungsgebieten mittels der Technik temporär überlastete Netze meiden.

Der Patentantrag sieht vor, dass ein Mobilfunkgerät zwar mit einem Heimnetz assoziiert sein kann, aber nicht muss. Anscheinend bedenkt Apple damit die Option, als Mobile Virtual Network Operator zu arbeiten, ähnlich Tchibo oder Aldi, die kein eigenes Netz unterhalten. Anders als letztere würde Apple aber mit mehr als einem Betreiber zusammenarbeiten. Die Betreiber stellen ihre Rechnung an Apple, Kunden zahlen über iTunes.

In Ansätzen gibt es solche Angebote beispielsweise von MaxRoam oder auch Truephone für Vielreisende. Sie bieten herkömmliche SIM-Karten für den multinationalen Betrieb. Gezahlt wird im Voraus, und einem SIM lässt sich auch mehr als eine Rufnummer zuordnen. So sind Mobilfunknomaden zu lokalen Tarifen erreichbar.

Ein wesentliches Merkmal des Patentantrags ist das Anmeldeverfahren beim Betreiber. Dafür bringt das Mobilfunkgerät ab Werk Netzwerkadressen mit, anhand welcher es Server von Betreibern erreichen kann, die Handys auf Anfrage ihre Zugangsdaten und ihre Rufnummer per Funk zuschicken (Over The Air, OTA). Anschließend darf das Handy das gewählte Netz für die öffentliche Kommunikation nutzen.

Soft-SIMs, die solche Funktionen ermöglichen, haben manche SIM-Hersteller schon vor Apple entwickelt – und in die Schublade gelegt, denn Netzbetreiber sperren sich aus Sicherheitsgründen gegen die OTA-Provisionierung. Zu groß sind die Bedenken, dass die SIM-Credentials (Zugangsdaten) dabei in falsche Hände geraten könnten. Zudem müssten sie ihre Infrastruktur für die dynamische Betreiberwahl öffnen.

Der aktuelle Ansatz unterscheidet sich vom Patentantrag dadurch, dass das Soft-SIM seine Credentials über eine verschlüsselte Internet-Verbindung erhält, die iTunes oder ein dediziertes Gerät vermittelt; die Credentials könnten Server liefern, die Gemalto außerhalb der Infrastruktur der Netzbetreiber unterhält. Nutzer würden von einem solchen Dienst erwarten, dass sie ihre Mobilgeräte wie bisher unter Beibehaltung der Rufnummer wechseln können. Dafür müsste Apple einen Mechanismus zur Auflösung der Geräte- und Betreiberzuordnung bieten.

Die Attraktivität des Dienstes hinge aber wesentlich davon ab, wie viele Betreiber mitspielen würden. Man würde sich wünschen, dass Apple alle ins Boot holt. Aber den Verlockungen der besseren Netzauslastung und des einfacheren Zugangs stehen wohl nach wie vor Sicherheitsbedenken entgegen und auch Befürchtungen, dass der dynamische Wechsel den Preiskampf verschärfen könnte. Bei derzeit rund 800 GSM-Betreibern weltweit hätte Apple reichlich Überzeugungsarbeit zu leisten. Aber immerhin gelang der Firma bei der Musikindustrie schon einmal eine Umwälzung, die zuvor niemand für möglich gehalten hätte.

[1] Fadell Tony, Dynamic Carrier Selection, United States Patent Application 20080085707 (dz)