Social Muffel

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Gerald Himmelein

Social Muffel

Bringen wir es hinter uns: Ich bin nicht bei Facebook.

Eine unglaubliche Enthüllung, ich weiß. Kaum zu glauben, dass sich ein Redakteur bei einem renommierten IT-Blatt dazu bekennt, nicht dabei zu sein. Jemand, der einen so wesentlichen Trend nicht nur verschläft, sondern das auch noch zugibt und sich dann mit einem wohligen Seufzen auf die andere Seite legt. In aller Deutlichkeit: Ich habe auch kein MySpace, nicht mal einen Xing-Account.

Nicht genug, dass mir mein Social-Media-Mangel nicht peinlich wäre: Mir liegt sogar ein leichtes Lächeln auf den Lippen, während ich weiterschlafe. Denn ich bin mir durchaus bewusst, welch entspanntes Luxusleben ich führe.

Es soll Leute geben, die können gar nicht mehr ohne. Die sind so in ihren StudiFaceTwitSpace eingebunden, dass jeder Netzausfall zu Nägelkau-Attacken führt: Man könnte ja grad was verpassen. Möglicherweise hat einem eben jemand was Böses an die Pinnwand geschrieben. Oder man ist wohin eingeladen worden und merkt es nicht! Zumindest hat mir das jemand erzählt, der eine 20-Jährige kennt, die ihm gesagt hat, für sie sei ein Leben ohne Facebook undenkbar.

Alles nicht mein Problem. Die Sonne blinzelt zwischen den Vorhängen durch; ich ziehe mir die Decke über den Kopf. Gelegentlich bekomme ich Einlade-Mails: Dingser Dingsda ist auf Facebook, ob ich mich nicht dazugesellen mag (ich mag nicht). Heiner Heini lädt mich zu Xing ein (ohne Grund). Und um meiner Lieblings-Band mitzuteilen, wie mir ihr jüngstes Album gefällt, müsste ich MySpace beitreten. Dann behalte ich es halt für mich (das davor war besser).

Zugegebenermaßen habe ich auch schon einen Fuß in den Social-Media-Pool gesteckt, indem ich ein Twitter-Konto eröffnet habe. Die ersten Wochen war es noch interessant zu wissen, woran Stephen Fry gerade denkt oder wogegen Kollege @jkuri heute agitiert.

Nach zwei Monaten wuchs mir alles über den Kopf: Zu viele Leute schrieben zu viel, verlinkten auf alles Mögliche, oft auf dasselbe. Ich habe ein Dutzend Labermäuler aus der Following-Liste geworfen, drei alternative Clients ausprobiert und dann Urlaub gemacht, auch vom Netz.

Drei Wochen ohne virtuelle Freunde, danach der erste Login. Meine Abwesenheit war niemandem aufgefallen. Alle schnatterten weiter wie zuvor. Aus dem "Wir" war ein "Ihr" geworden. Ein paar Tastenhiebe hätten gereicht und ich wäre wieder Teil des Ganzen gewesen. Es hatte aber alles keine Bedeutung mehr, also habe ich es gelassen.

So bin ich Murmeltier aus Überzeugung: zu unsozial fürs Social Web. Draußen wird es langsam lauter. Autos brummen und ein paar Vögel haben den Trend nach Süden verpasst. Dann öffnet sich die Tür zum Schlafzimmer, meine Frau setzt sich an die Bettkante und muss reden. Grad hat ihr eine Freundin auf Facebook was Böses an die Pinnwand geschrieben; nur ein Satz, doch der Stachel sitzt. Weiterschlafen ist nicht mehr. Mit einem Seufzer richte ich mich auf: Irgendwie kriegen sie dich doch. (ghi)