Unser altes Problem mit der Zukunft

Zukunftsszenarien der Vergangenheit sind lustig – zum Beispiel der Blick des ZDF von 1972 auf das Jahr 2000. Dummerweise existiert der blinde Fleck von damals immer noch.

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Von
  • Niels Boeing

Vor ein paar Tagen machte mich ein Freund auf eine ZDF-Sendung von 1972 aufmerksam. Titel: "Richtung 2000 – Vorschau auf die Welt von morgen." Die Sendung, in drei Teilen auf Youtube zu sehen, war, um mit Spock zu sprechen, "faszinierend".

Wir begleiten in ihr einen Herrn B. durch seinen imaginierten Alltag in einer Zukunft, die heute unsere Vergangenheit ist. Faszinierend ist daran die Mischung aus einigen durchaus klugen Überlegungen und äußerst kruden Extrapolationen. Auch wenn die Autoren damals ausdrücklich ihre Vorschau als Szenario, nicht als Prognose, formulierten – sie lagen meistens daneben.

Das fängt mit der bekannten Blindheit an, die Internet, Personal Computing und mobile Telekommunikation nicht auf dem Schirm hatte – Herr B. arbeitet in einem Rechenzentrum, das mit Magnetband-Laufwerken arbeitet. Auch die 25-Stunden-Woche und die Rente mit 50 fühlen sich heute wie ein schlechter Witz an. In einer Süddeutschen Zeitung, die aus Herrn B.s Drucker kommt, lesen wir eine Schlagzeile von der ersten Forschungsstation auf dem Mars. Die notorische Videotelefonie fehlt selbstverständlich nicht. Auch über vieles andere kann man schön lachen.

Ein paar Punkte sind dennoch nicht so schlecht getroffen: Hochgeschwindigkeitszüge, eine Art Car Sharing, Biolandwirtschaft, der Verkauf "gespeicherten Wissens" im großen Stil, Tele-Shopping und eine drahtlose Steuerung der Heimelektronik gehören heute zum Alltag, auch wenn das konkrete Design anders ist.

Am Ende betont der Sprecher, die technischen Voraussetzungen für all das Gezeigte seien vorhanden. Das ist eigentlich der Schlüsselsatz: Das ZDF-Team entwickelte sein Szenario in erster Linie aus der Technik heraus – obwohl es ihr sogar relativ kritisch gegenüber stand.

Tatsächlich sah die Welt des Jahres 2000 – trotz Internet und eleganterer Elektronik – nicht drastisch anders aus als die von 1972. Die Städte etwa waren immer noch keine aufgeräumten, durchrationalisierten Hochhaussiedlungen ohne Passanten, sondern so durcheinander wie zuvor.

In der Hinsicht zumindest war die ZDF-Dokumentation von vor zwei Jahren "2057 – Unser Leben in der Zukunft" anders: Die Stadt in 50 Jahren ist hier mehr denn je ein Moloch, deutlich angelehnt an Corassant aus "Star Wars", Episode 1. Aber ansonsten extrapoliert auch das Update technische Konzepte aus sich selbst heraus: Hightechmedizin, Biometrie, Robotik, Superdatenspeicher, Ambient Intelligence und vieles mehr, was heute in keiner Zukunftsbroschüre von Forschungseinrichtungen und Thinktanks fehlt.

Eine Perspektive scheint bei all diesen "Vorschauen" nie eine größere Rolle zu spielen: Was für eine Zukunft wollen eigentlich die Menschen? Und was für eine Technik soll sie dahin bringen?

Ob 1972 oder heute, Technik scheint als Selbstläufer, als Macht gesetzt. Weil irgendjemand mit ordentlicher Finanzierung sie austüftelt, wird sie wohl so oder ähnlich kommen. Denn schließlich will die ganze Entwicklungsarbeit irgendwann refinanziert sein. Nicht alles klappt, weshalb Zukunftsszenarien manchmal eben wie ein Paralleluniversum aussehen.

Aber selten sehen sie so aus, als sei ihr Urheber die Menge der Bürger gewesen.

Warum ist es so schwer, Technologien als Mittel zum Zweck zu begreifen, über deren klugen Einsatz wir uns alle bewusst und selbstverständlich verständigen, auch wenn es mühsam sein sollte? Sind wir zu blöd dafür? (nbo)