Die totale Kommunikation

Das neue Kommunikationssystem Facebook Messages könnte ein Meilenstein werden. Die Idee ist zeitgemäß – aber sie wird ihren Preis haben.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Niels Boeing

Das Tempo, in dem das "Cybertriumvirat" Apple, Google und Facebook neue Dienste raushaut, ist beachtlich. Nicht immer sind es Meilensteine. Was Mark Zuckerberg vorgestern in San Francisco ankündigte, könnte aber einer werden. Das größte Social Network der Welt will das Nachrichtensystem der "nächsten Generation" einführen: "Facebook Messages" soll Email, SMS und Instant Messaging (IM) mit den Facebook-Mitteilungen zu einem bruchlosen Kommunikationsstrom vereinen.

Die Idee ist folgerichtig und zeitgemäß. Immer mehr Datendienste verschwinden in die Cloud, was dem Nutzer das Arbeiten mit eigenen Programmen erspart. Apps entkoppeln einst unterschiedliche Inhaltsformate von Anwendungen. Der Nutzer kann sich ganz auf die Inhalte konzentrieren – was unter den Oberflächen läuft, braucht ihn nicht mehr zu beschäftigen. Warum also nicht auch die gängigen Nachrichtenformate von ihren Frontends entkoppeln?

Dass sie so unterschiedlich ausfallen, verdanken sie ihrer ungleichzeitigen Entstehung. Email: Anfang der 1970er aus dem ARPAnet hervorgegangen, mit dem Protokoll SMTP 1982 für das Internet standardisiert. SMS: als Nebenprodukt im Signalisierungskanal des GSM-Standards für Mobilfunk entstanden, 1989 standardisiert, Nachrichtenlänge auf 1120 Bit beschränkt. IM: mit Vorläufern in den 1960ern älter als das Internet, seit den 1990ern in zahlreichen teilweise miteinander inkompatiblen Standards (und Teilnetzen, siehe AOL) implementiert. Jeder Kanal wird anders bedient, hat eigene Regeln.

Gegen diese Zersplitterung argumentiert Zuckerberg clever wie immer aus der Sicht des 08/15-Users. Email etwa sei "zu förmlich", zitiert ihn Wired. Man müsse sich ja um so Dinge wie Adresse, Betreffzeile, Anrede und Verabschiedung Gedanken machen. Zu umständlich. Das Nachrichtensystem der Zukunft muss für Zuckerberg "minimal" sein.

Der Nutzer soll sich keine Gedanken mehr darüber machen müssen, in welchen Kanal er eine Nachricht hineingibt. Diese Arbeit übernimmt Facebook, verspricht Zuckerberg. Wir finden den Adressaten, und du schreibst, wie du willst.

Das kommunikative Multitasking so zu reduzieren – diese Aussicht wird die Facebook-Gemeinde begeistern. Das Leben ist schon unübersichtlich genug. Als Zuckerl gibt's noch eine @facebook.com-Emailadresse.

Funktioniert Facebook Messages wie versprochen, dürfte das Netzwerk mit derzeit einer halben Milliarde registrierten Nutzern rasant weiterwachsen, der Weg zur totalen globalen Kommunikationsinfrastruktur wieder ein Stück freier geworden sein. Gut für Facebooks Werbegeschäft und Datenhandel. Ärgerlich für Google, zumal Facebook einen Export seiner Daten in Google-Dienste weiterhin ablehnt.

Die Bequemlichkeit von Facebook Messages wird wohl über die in diesem Jahr lauter gewordenen Datenschutzbedenken gegenüber Facebook siegen. Die sind allerdings nur allzu real, wie etwa die "Gaydar"-Studie 2009 zeigte.

Oder so ein Erlebnis: Kürzlich bekam ich eine Einladung gemailt, Facebook beizutreten. Sie ging an eine Emailadresse, die ich nirgendwo bei Facebook hinterlassen habe (ich habe keinen persönlichen Account). In der Mail standen neben dem Absender zehn "Personen auf Facebook, die du vielleicht kennst": Ich kannte sie alle und einige sogar sehr gut. Das Sozial-Profiling funktioniert – in diesem Fall nur über eine @mac.com-Emailadresse, die andere offenbar aus ihren Datenbeständen importiert hatten. Ich vermute, sie werden sich dessen kaum bewusst sein.

Wenn Facebook dank Messages zur umfassenden Kommunikationsdrehscheibe wird, schreitet diese Vernetzung von persönlichen Datenfragmenten noch weiter voran. Auch von Nutzern, die kein Facebook-Account haben. So oder so – dem Sog von Facebook werden wir uns immer weniger entziehen können. Und wer weiß: Am Ende werden noch diejenigen in der Minderheit sein, die Facebook nicht nutzen. Und Minderheiten sind schnell verdächtig. (nbo)