Alzheimer-Früherkennung per Hirnscan

Bislang lässt sich die Demenzerkrankung nur durch indirekte Faktoren diagnostizieren. Neue Verfahren könnten das bald ändern.

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Von
  • Emily Singer

Bislang lässt sich die Demenzerkrankung nur durch indirekte Faktoren diagnostizieren. Neue Verfahren könnten das bald ändern.

Die Entwicklung wirksamer Medikamente zur Alzheimer-Bekämpfung ist nach wie vor extrem schwierig. Das dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit daran liegen, dass sich bislang nur schwer feststellen lässt, in welchem Stadium der Erkrankung sich Teilnehmer klinischer Studien befinden – nicht selten ist es schlicht zu spät für ein Eingreifen, glauben Forscher und Pharmafirmen.

"Medikamente wie der Gamma-Sekretase-Hemmer von Lilly scheiterten, weil sie an der falschen Patientengruppe getestet wurden", meint Alzheimer-Experte Sangram Sisodia, Direktor des Zentrums für molekulare Neurobiologie an der University of Chicago. Personen, bei denen die Krankheit schon in einem mittleren oder späten Stadium angekommen sei, könne nicht mehr geholfen werden.

Einblicke, die bildgebende Verfahren liefern, könnten das Problem lösen helfen. Zwei Studien, die auf einer Konferenz der Society for Neuroscience in San Diego in der vergangenen Woche vorgestellt wurden, machen Hoffnung. Dabei identifizierten Forscher frühzeitig Veränderungen im Gehirn von Patienten, die später an Alzheimer erkrankten. Diese Merkmale könnten bald verwendet werden, um Patienten für klinische Studien auszuwählen, bevor sie unheilbare Demenzsymptome entwickelt haben.

"Gehirnveränderungen, die den Fortschritt der Krankheit vorhersagen, könnten helfen, Alzheimer früh genug zu diagnostizieren, bevor es zu unumkehrbaren Schädigungen kommt", sagt Sarah Madsen, Forscherin an der University of California, Los Angeles (UCLA), die an einer der beiden Studien beteiligt war.

Die jüngsten Forschungsvorhaben konzentrieren sich dabei auf Personen, die an einem Zustand leiden, der als milde kognitive Störung bekannt ist. Dabei treten Gedächtnisverluste und andere Hirnprobleme auf, die ein Vorläufer von Alzheimer sein können. Nicht jeder mit diesen Symptomen muss die Krankheit dann aber auch entwickeln.

Eine verlässliche Methode, mit der dies vorhergesagt werden kann, würde den Medikamentenentwicklern dabei helfen, die richtige Personengruppe klinischen Tests an Alzheimer-Wirkstoffen zu unterziehen. Konzentrieren sich Studien nur auf diese genau ausgewählten Patienten, lassen sich wirksame Therapien leichter ermitteln. Gleichzeitig würde man bei Menschen, die Alzheimer letztlich doch nicht entwickeln, kein Risiko eingehen.

Sarah George, Forscherin am Rush Medical Center in Chicago, die die zweite in San Diego vorgestellte Studie durchführte, analysierte Hirnscans von 47 Personen mit milden kognitiven Störungen. 22 davon entwickelten in den nächsten sechs Jahren Alzheimer. George konzentrierte sich dabei auf die Substantia innominata, einen Bereich des Gehirns, der bei Alzheimer besonders stark angegriffen wird. Bestehende Medikamente zur Behandlung der Krankheit setzen unter anderem auf einen chemischen Botenstoff namens Acetylcholin, den Nervenzellen in diesem Bereich des Gehirns freisetzen.

George entdeckte zwar keine Unterschiede im Volumen der Substantia innominata bei beiden Patientengruppen, doch gab es Unterscheidungsmerkmale in den Teilen des Gehirns, mit denen diese Nervenzellen direkt verbunden sind. Menschen, die Alzheimer entwickelten, zeigten eine deutliche Ausdünnung in drei angeschlossenen Bereichen der Hirnrinde, die mit Gedächtnis, Aufmerksamkeit und der Integration von sensorischen und motorischen Informationen in Verbindung stehen.

University of Chicago-Experte Sisodia hält diese Ergebnisse für vielversprechend. Gleichzeitig könnten sie neue Einblicke in das frühe Alzheimer-Stadium erlauben. Tierversuche legen nahe, dass Synapsen, die Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen, der erste Teil des Gehirns sind, die bei der Erkrankung Schaden nehmen. Noch ist das nur eine Theorie. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings groß, dass Hirnregionen, die Verbindungen zur Substantia innominata unterhalten, zu schrumpfen beginnen, bevor es dieser Bereich tut. Der Grund: Ihre Synapsen dünnen aus. Sisodia warnt allerdings davor, voreilige Schlüsse zu ziehen: Noch müssten größere Studien durchgeführt werden, die ermitteln, wie genau solche Alzheimer-Indikatoren sind.

UCLA-Forscherin Madsen untersuchte Kernspintomographien von 400 älteren Personen – davon einige gesund, einige mit milden kognitiven Störungen, einige mit schweren. Alle hatten bereits Hirnscans anfertigen lassen, bevor sie stärkere Symptome aufwiesen und kognitive sowie medizinische Tests durchlaufen. Madsen konzentrierte sich bei ihrer Studie auf die C-förmige Region im Zentrum des Gehirns. Dieser Nucleus caudatus spielt eine zentrale Rolle für die Bereiche motorische Kontrolle und Aufmerksamkeit.

Mit Hilfe mathematischer Werkzeuge verglich Madsen die Größe und Form dieses Hirnbereichs über die drei Personengruppen hinweg. Dabei ergab sich, dass der Nucleus bei Menschen mit Alzheimer am stärksten schrumpfte – er war sieben Prozent kleiner als bei gesunden Personen. Menschen mit milden kognitiven Störungen zeigten rund vier Prozent Abnahme im Vergleich zur Kontrollgruppe. Jene, die im nächsten Jahr Alzheimer entwickelten, hatten stets einen kleineren Nucleus caudatus als die, die gesund blieben.

Bevor sich diese neu entdeckten Merkmale für klinische Studien zur Probandenauswahl nutzen lassen, müssen die Forscher die frühen Veränderungen aber noch besser dokumentieren, meint Alzheimer-Experte Sisodia. Entsprechende Studien laufen schon. So untersuchen Forscher in Kolumbien Familien, die Träger einer genetischen Mutation sind, die die Entwicklung von Alzheimer nahezu garantiert. Weil Wissenschaftler ungefähr wissen, wann diese Mutation zum Beginn der Erkrankung führt, können sie das Gehirn dieser Patienten auf frühe Veränderungen untersuchen.

"Vor Pharmaversuchen benötigen wir noch eine solidere Datenbasis", meint Sisodia. Dort könne man nun die Veränderung von einer gesunden Person mit perfekter Gehirnleistung hin zum tatsächlichen Ausbruch der Erkrankung untersuchen – "inklusive der zellulären Entsprechungen". (bsc)