Tiefsee-Ölförderung läuft weiter wie bisher

Rund ein halbes Jahr nach dem größten Unfall in der Geschichte der Offshore-Förderung geht die Ölindustrie wieder zum Tagesgeschäft über. Weil die Technik für Tiefseebohrungen in der Branche als ausgereift gilt, gibt es nur wenige technische Neuerungen, die künftige Katastrophen verhindern könnten.

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Rund ein halbes Jahr nach dem größten Unfall in der Geschichte der Offshore-Förderung geht die Ölindustrie wieder zum Tagesgeschäft über. Weil die Technik für Tiefseebohrungen in der Branche eigentlich als ausgereift und sicher gilt, gibt es nur wenige technische Neuerungen, die künftige Katastrophen verhindern könnten, berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe 12/2010 (seit Kurzem am Kiosk oder hier portokostenfrei online zu bestellen).

"Die Offshore-Technik ist bereits sehr robust, vielleicht eine der robustesten überhaupt", sagt beispielsweise Michael Economides, Professor für Erdölingenieurwesen an der University of Houston. Das Procedere ist in Jahrzehnten immer weiter verfeinert worden und hat sich bewährt; darin sind sich Experten einig. Das größte Problem, das die Ölindustrie beschäftigt, ist denn auch kein konzeptionelles, sondern ein finanzielles: "Je tiefer Sie hinunter wollen, desto schwerer wird Ihre Ausrüstung – und desto teurer die Operation", sagt Matthias Reich, Bohrtechnik-Experte an der TU Bergakademie Freiberg. Die technische Entwicklung konzentriert sich deshalb vor allem darauf, schneller zu bohren und mehr aus den Lagestätten herauszuholen als bisher.

Forschung an neuen Sicherheitssystemen findet hingegen nur vereinzelt statt: So entwickelt etwa die norwegische Industrieforschungsorganisation Sintef einen Bohrsimulator, an dem Bohrcrews künftig den Umgang mit schwierigen Situationen trainieren sollen – so wie Piloten heute selbstverständlich die Landung einer Boeing 747 zuerst im Flugsimulator probieren. Statoil soll den Bohrsimulator noch in diesem Jahr testen.

Die Norweger haben sich zudem einer Initiative der anderen Branchenriesen ExxonMobil, Chevron, Shell und ConocoPhillips angeschlossen. Bis Ende 2011 wollen die Konzerne für rund 1 Milliarde Dollar ein "Containment System" aufbauen. Es soll bereits vorgefertigt an der US-Küste deponiert werden, um dann im Golf von Mexiko innerhalb von 24 Stunden zum Unfallort verschifft werden zu können.

Das Konzept umfasst im Wesentlichen zwei Teile: Ein zusätzliches Verschlussmodul, das auf einen defekten BOP montiert werden soll, und eine gewaltige Stahlglocke als letzte Sicherung. Das Verschlussmodul soll das ungewollt austretende Öl über Steigleitungen in bereitstehende Tankschiffe leiten. Das System soll eine ausströmende Ölmenge von bis zu 100.000 Barrel am Tag bewältigen. Lässt sich dieses Modul nicht anbringen, soll das Bohrloch samt BOP mit Hilfe der gewaltigen Stahlglocke versiegelt werden.

Das allerdings hatte auch BP schon vergeblich versucht. Für Christoph von Lieven, Offshore-Experte bei Greenpeace Deutschland, ist das Containment deshalb nur "ein weiterer Versuch der Augenwischerei", weil es Unglücke wie das der Deepwater Horizon nicht schon im Ansatz verhindert: "Das erste und größte Problem sind die Tiefseebohrungen selbst."

Etwa ein Drittel aller neuen Öl-Funde entfiel im vergangenen Jahrzehnt bereits auf Felder in der Tiefsee. Die dort förderbaren Reserven beziffert die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe auf etwa 10 Milliarden Tonnen, das entspricht rund 73 Milliarden Barrel. Optimistische Schätzungen gehen davon aus, dass sich die Öl-Ressourcen in der Tiefsee sogar auf bis zu 100 Milliarden Tonnen oder 730 Milliarden Barrel belaufen – das wäre fast viermal so viel wie die 28 Milliarden Tonnen, die bislang aus küstennahen Offshore-Vorkommen gefördert worden sind und entspräche knapp zwei Drittel aller derzeit nachgewiesenen Ölreserven. (wst)