Sichtbar unscharf

Nur in Deutschland konnten Immobilienbesitzer und -bewohner vorab Einspruch gegen die Veröffentlichung von Bildern ihrer Häuser und Wohnungen einlegen. Was jetzt online zu sehen ist, stößt manchem auf.

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Von
  • Peter König
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Prinzipiell funktioniert Google Street View in Deutschland genauso wie in den 26 anderen Ländern, für die der Internet-Konzern die systematisch aufgenommenen Panoramafotos von kompletten Straßenzügen online gestellt hat: Man tippt die gewünschte Adresse in den Suchschlitz auf Google Maps, klickt dann auf die Ortsmarke und findet in der aufpoppenden Sprechblase einen Link zum passenden Street-View-Panorama, in dem man sich umschauen und per Doppelklick zum nächsten Rundumbild hangeln kann.

Die Android-Anwendung Google Maps Navigation führt nun auch mit Hilfe von Street-View-Bildern – die ungenau eingezeichneten Abbiegehinweise verwirren aber eher.

Auf mobilen Geräten gibt es die Straßenbilder ebenfalls, nur der Zugang funktioniert anders: Beim iPad oder bei Android-Smartphones legt man beispielsweise seinen Finger etwas länger auf die gewünschte Stelle der Karte. Auf dem Bildschirm des Apple-Tabletts erscheint dann eine Ortsmarke mit dem roten Symbol eines Männchens, auf das man zum Eintauchen ins Panorama tippt. Googles Fahrzeug- und Fußgängernavigation Maps Navigation Beta für Android ab 1.6 zeigt bei Ankunft das Street-View-Foto der Zieladresse. Klickt man während der Navigation auf die obere Leiste und dann auf die eingeblendete Figur, startet der Street-View-Modus. Darin kann man sich durch eine Bildfolge aller Abbiegungen der Strecke durchklicken oder sie während der Fahrt einblenden lassen. Die ins Bild eingezeichneten Abbiegehinweise treffen allerdings selten die tatsächliche Spur und sind deshalb keine große Orientierungshilfe.

Auf welcher Plattform auch immer man Street View benutzt – das Kern-Bildmaterial ist in allen Fällen identisch. Allerdings fehlen in den mobilen Versionen die Zusatzfotos des Ortes aus Internet-Communities wie Panoramio und Flickr.

In Deutschland stößt man bei Street View auf Häuser, die wie hinter Milchglas versteckt erscheinen. Hier hat der Besitzer oder einer der Bewohner im Vorfeld Einspruch gegen die Abbildung erhoben – aus den unterschiedlichsten Gründen, wie diverse Mails an c’t belegen: Während manche die Angst vor Einbrechern umtreibt, wollen sich andere dagegen wehren, dass ein Unternehmen ungefragt Bilder von Privathäusern als Teil eines kommerziellen Produkts veröffentlicht. Wieder andere stören sich eigentlich nur an der Balkongestaltung des Vormieters und nehmen die Pixelung als kleineres Übel in Kauf.

Street View macht vor Rotlichtvierteln nicht halt und zeigt auch die Hamburger Herbertstraße (oben). Die Miniaturen im Bild weisen auf zusätzliche Bilder aus Fotocommunities wie Panoramio hin. Fährt man mit der Maus darüber, überlagert das entsprechende Foto das Google-Panorama (unten). Personen auf den Community-Fotos sind in der Regel klar erkennbar, die Verpixelung auf dem Screenshot stammt von uns.

Aus ähnlichen Gründen stehen manche Immobilienbesitzer vor einem Dilemma: Da Google seit Sommer 2008 in Deutschland auf Fotosafari ist, erscheint ein frisch renoviertes Schmuckstück auf Street View wahrscheinlich noch als die Bruchbude oder ewige Baustelle, die es einmal war und die keiner kaufen oder mieten will. Auf der anderen Seite bindet inzwischen beispielsweise das Web-Portal Immoscout24, einer der offiziellen Partner von Google zum Deutschlandstart, Street View in seine Webseiten ein und wirbt damit, dass Interessenten Umgebung und angebotenes Objekt bequem von zu Hause aus inspizieren können – bei gepixelten Bildern fällt letzteres weg.

Manchem Hausbesitzer wurde die Entscheidung von seinen Mietern abgenommen: Nach den von Google aufgestellten Regeln für den Einspruch reichte ein einziger Antrag, um ein ganzes Haus verschleiern zu lassen, zudem waren Besitzer und Bewohner gleichermaßen einspruchsberechtigt. Ein unberechtigter Antrag wurde hingegen anscheinend im Fall der Parteizentrale der Grünen in Berlin umgesetzt. Die Partei selbst hätte nichts gegen die Veröffentlichung der Hausansicht gehabt, erklärte Malte Spitz vom Bundesvorstand der Grünen in seinem Blog. Offenbar habe sich ein „Fremder“ als „Betroffener“ ausgegeben und den Antrag auf Verpixelung gestellt. Das Einspruchsverfahren ließ hierfür Raum (siehe Artikel auf heise online unter dem c’t-Link am Ende dieses Artikels). Google ist der Antragsteller zwar bekannt, man werde solche Informationen aber nur herausgeben, wenn man rechtlich dazu verpflichtet würde, sagte Google-Pressesprecherin Lena Wagner auf Nachfrage von c't.

Auch der umgekehrte Fall kommt vor: Häuser sind klar zu sehen, obwohl ein berechtigter Antrag auf Verpixelung gestellt wurde, Nummernschilder sind lesbar, Passanten zu erkennen. Am einfachsten meldet man solche Fehler bei Google über den Link „Ein Problem melden“, der in Street View stets links unten im Fenster erscheint.

Erscheint ein Gebäude trotz widersprechendem Antrag klar in Street View, ist das nicht immer ein Versehen: Google räumt das Einspruchsrecht nur natürlichen Personen ein, Gewerbe und öffentliche Gebäude fallen nicht unter den Datenschutz. Diese Unterscheidung hat Folgen: Uns ist ein Fall bekannt, in dem der Antrag auf Pixelung eines Privathauses, das zusätzlich eine Arztpraxis beherbergt, zunächst stattgegeben wurde – beim Start von Street View war es nicht erkennbar. Dann erhielten seine Bewohner und Besitzer praktisch zeitgleich zum Start des Panoramadienstes einen Brief von Google, der erläuterte, dass dem vorliegenden Antrag nicht stattgegeben werden könnte, denn es handle sich „offensichtlich um ein Geschäftsgebäude bzw. ein Gewerbegrundstück.“ Die Folge: Das Haus taucht inzwischen wieder klar erkennbar in Street View auf.

Zwar können seine Bewohner als natürliche Personen noch einmal Einspruch gegen die Veröffentlichung erheben. Allerdings nährt der geschilderte Fall Zweifel daran, dass Google die unverpixelten Bilder von Gebäuden, für die ein Einspruch vorliegt, bereits vernichtet hat. In einer der 13 Zusagen der Firma gegenüber dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz Johannes Caspar verpflichtete sich Google, diese sogenannten Rohdaten vor dem Veröffentlichungstermin zu löschen, sofern der Einspruch mindestens einen Monat vor der Veröffentlichung bei Google eingegangen ist. Da die Vorab-Einspruchsfrist für die 20 größten deutschen Städte am 15. Oktober endete und Street View am 18. November online ging, müssten für diese Städte bereits alle Rohdaten gelöscht sein, falls Google sich an die Abmachung hält. Bei später gestellten Anträgen räumt die Vereinbarung Google eine Frist von zwei Monaten ein, um die Rohdaten zu vernichten.

Für Irritationen bei vielen Nutzern dürfte sorgen, dass auf Street View neben den brav gepixelten Bildern eine Fülle von Fotos zu sehen sind, die klar erkennbare Gesichter zeigen und auch Fassaden von Häusern, die Google auf Antrag unkenntlich gemacht hat. Diese Bilder stammen aus Foto-Communites wie Flickr, Picasa oder Panoramio, wurden durch deren Nutzer mit Geokoordinaten versehen und unter einer Lizenz hochgeladen, die eine Wiederverwertung durch Google erlaubt. Die meisten davon erscheinen in einem Bildchenstapel rechts oben im Street-View-Fenster und öffnen sich erst auf einen Klick. Andere hingegen schweben als Miniatur direkt vor dem Panorama und entfalten sich, wenn man mit dem Mauszeiger darüberfährt.

Beherbergt ein Haus im Erdgeschoss ein Geschäft und hat ein Bewohner Antrag auf Verpixelung gestellt, erscheint das Gebäude im oberen Teil unscharf, wie hier bei Googles Niederlassung in München.

Datenschützer Johannes Caspar forderte aufgrund dieser engen Verzahnung unterschiedlicher Bilderquellen, dass Google die Einsprüche gegen Veröffentlichung von Fotos von Häusern und Personen bei Street View auch bei den eingebundenen Community-Fotos umsetzen müsse: Für die Betroffenen mache es letztlich keinen Unterschied, ob die über Google Street View veröffentlichten Bilder von Google oder von Dritten stammten. Street-View-Produktmanager Andreas Türk erteilte dieser Forderung im Gespräch mit c’t allerdings eine klare Absage: „Wir werden keine Zensur an User Generated Content betreiben.“ Die Bilder aus den Foto-Communities seien frei im Netz verfügbar, Google zeige sie in Street View lediglich an, so wie die Google-Suche im Internet verfügbare Webseiten Dritter anzeige.

Von Googles auf Antrag eines Mitbewohners verschleierter Münchner Niederlassung findet man inzwischen in Street View ein Panoramio-Foto. Es stammt vom 21. 11. 2010 und der Username des Fotografen ist Programm – er nennt sich Pro-Pixel.

www.ct.de/1026042

(pek)