Blutspur des Alters

Niederländische Forensiker können erstmals anhand von Blutresten an einem Tat- oder Unfallort herausfinden, wie alt eine Person ist.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 2 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Jennifer Chu

Niederländische Forensiker können erstmals anhand von Blutresten an einem Tat- oder Unfallort herausfinden, wie alt eine Person ist.

Was Forensiker aus Spuren an Unfall- oder Verbrechensorten herauslesen können, ist schon beeindruckend. Dank einer Forschungsarbeit aus den Niederlanden können sie ihrem Arsenal nun ein weiteres nützliches Werkzeug hinzufügen: Die Bestimmung des Alters einer Person nur anhand von Blutspuren.

Derzeit sind Ermittler hierfür noch auf Knochen oder Zähne angewiesen. Oft genug bleiben an Tatorten allerdings nur Blutspritzer zurück. Aus denen können Spezialisten die DNA eines Opfers isolieren, die ihnen immerhin mittlerweile dessen Augen-, Haut- und Haarfarbe sowie das Geschlecht verrät.

Von der DNA lässt sich jedoch nicht auf das Alter schließen: „Das liegt daran, dass sich die DNA selbst mit dem Alter normalerweise nicht ändert“, sagt Manfred Kayser, Leiter der forensischen Molekularbiologie an der Universitätsklinik in Rotterdam, dem Erasmus Medisch Centrum. „Allerdings ändert sich die Aktivität mancher Gene mit den Lebensphasen.“

Diese Veränderung sei aber nur über die RNA festzustellen, die Moleküle, die den Bauplan eines Proteins vom Gen an die Zellmaschinerie der Ribosomen übermitteln. Gerichtsmedizinische Labors seien für derartige Untersuchungen noch nicht ausgerüstet, sagt Kayser, also habe man nach einem anderen Zugang gesucht.

Mit seinen Kollegen wühlte er sich durch die wissenschaftliche Literatur, um Hinweise auf altersbedingte molekulare Veränderungen im Blut zu finden. Fündig wurden die Wissenschaftler schließlich im Thymus. Das oberhalb des Herzens sitzende Organ, das zum lymphatischen System gehört, produziert verschiedene Arten von T-Zellen (T-Lymphozyten). Sie sind für die Immunabwehr von körperfremden Stoffen und Erregern zuständig.

Bei ihrer Ausdifferenzierung bilden T-Zellen verschiedene Rezeptoren aus. In diesem Prozess werden verschiedene Gene umorganisiert. Einige überschüssige Gene formen daraufhin ein ringförmiges DNA-Fragment, den „signal joint t-cell receptor excision circle“ (sjTREC), das sich im Blut nachweisen lässt. Mit zunehmendem Alter schrumpft der Thymus und produziert allmählich weniger T-Zellen - damit reduziert sich auch die sjTREC-Menge im Blut.

Kayser vermutete daher, dass er in dem sjTREC einen geeigneten Marker gefunden haben könnte. Mit seinem Team entwickelte er ein Verfahren um die Menge der sjTREC-Moleküle im Blut zu bestimmen. Dann machten sie an 200 Blutproben, die von Säuglingen bis zu 80-Jährigen stammten, die Probe aufs Exempel. Ergebnis: Sie konnten aus der sjTREC-Menge das Alter mit einer Ungenauigkeit von plus-minus neun Jahren bestimmen. Kayser stellte einen zweiten Satz aus Blutproben zusammen und lagerte sie eineinhalb Jahre, bevor er sie dem Test unterzog.

„Die Ergebnisse waren im Prinzip identisch“, sagt der Molekularbiologe. „Wir wollten damit zeigen, dass die Lagerung von Blutproben die Altersbestimmung nicht beeinflusst.“ Die Ergebnisse hat Kayser nun im Journal Current Biology veröffentlicht.

„Der wissenschaftliche Ansatz ist innovativ“, lobt George Sensabaugh, Forensiker und Biomediziner an der University of California in Berkeley, die Forschungsarbeit. Der Test sei eine gute Ergänzung für die vorhandenen Forensikverfahren. „Allerdings eignet er sich nur für eine begrenzte Anzahl von Fällen“, fügt Sensabaugh hinzu.

Einen Täter aus einer Reihe von Verdächtigen wird man damit wohl noch nicht überführen können. Bei großen Katastrophen könne es aber helfen, Opfer und Vermisste zu identifizieren, sagt Victor Weedn, Pathologe in der rechtsmedizinischen Behörde des US-Bundesstaates Maryland. In solchen Situationen seien Altersbestimmungen sehr nützlich. „In Kriminalfällen würde es helfen, wenn man zwei unterschiedlich alte Verdächtige hat“ – wie bei den beiden Heckenschützen von Washington im Oktober 2002.

Kayser und seine Gruppe wollen nun nach weiteren molekularen und genetischen Altersanzeichen suchen, um die Ungenauigkeit von knapp 20 Jahren weiter einzugrenzen. „Mit einer verbesserten Technologie könnte das gelingen“, sagt Weedn. „Der Anfang ist jedenfalls gemacht.“

Das Paper:
Zubakov, D. et al., "Estimating human age from T-cell DNA rearrangements", Current Biology, 23.10.2010. (nbo)